Die beinahe unausbleibliche rhetorische Form der Lehre Jesu ist das Paradoxon. Es verleiht zahlreichen Gleichnissen jene unwiderstehliche (Anziehungs-) Kraft, die zu allen Zeiten den Rezipienten zur spontanen Verwirklichung der Gadamer'schen Trias von Verstehen, Interpretation und Anwendung bewegt. Aber gerade diese unaufhaltsame Gravitationskraft kann zur Unvorsichtigkeit verleiten und die Bemühungen des Rezipienten unversehens zu einer Applikation lenken, ohne dass dieser Operation die Erschließung der im Text des vorliegenden Gleichnisses verborgenen ‘Fremdheit’ vorausgegangen wäre, denn eine solche Erschließung würde das Anderssein der Welt des Gleichnisses sowie von dessen Rezipienten, für die der Text geschaffen wurde, sichtbar machen.Footnote 1 Zudem verdoppelt sich im Fall der Gleichnisse Jesu dieses Problem, denn die Fremdheit des Textes verbirgt sich vor allem in jenem Anderssein, welches die Worte Jesu und die Hörer Jesu charakterisiert und nicht in dem Abstand, der den textaufzeichnenden Evangelisten sowie dessen (viel späteres) Publikum von uns trennt.
Die folgende Analyse versucht, den ursprünglichen philologischen Hintergrund des jesuanischen Salz-Gleichnisses aufzuzeigen. Zunächst überblicken wir den einzigen Versuch, die aramäische Vorlage des Gleichnisses zu rekonstruieren. Bei diesem Versuch wird jener Frage besondere Aufmerksamkeit gewidmet, auf welche Weise letztendlich das Verb ‘μωραίνω’ in den griechischen Text gelangt ist.Footnote 2 Die besagte, ursprünglich im Jahr 1946 entstandene Studie stammt von Matthew Black und dient bis heute den Erforschern jenes biblischen Abschnittes als hauptsächliche Bezugsgrundlage.Footnote 3 Wenngleich Black mit einem sehr suggestiven Lösungsvorschlag hervorgetreten ist, werden wir sehen, dass er doch zu leichtfertig eine Möglichkeit ausgeschlossen hat, die wiederum ihre Bestätigung in der Rezeptions- und Übersetzungsgeschichte des Abschnittes findet. Deshalb formuliert die vorliegende Studie eine neue Hypothese zu dem aramäischen Hintergrund des Salz-Gleichnisses, die wesentlich überzeugender zu sein scheint als die Rekonstruktion von Black.
Das Neue Testament teilt das erwähnte Gleichnis an drei Stellen und in drei Varianten mit:
(Mt 5,13): Ihr seid das Salz der Erde. Wenn nun das Salz dumm wird, womit soll man salzen? (Ὑμεῖς ἐστε τὸ ἅλας τῆς γῆς· ἐὰν δὲ τὸ ἅλας μωρανθῇ, ἐν τίνι ἁλισθήσεται;) Es ist zu nichts mehr nütze, als dass man es wegschüttet und lässt es von den Leuten zertreten.
(Mk 9,50): Das Salz ist gut; wenn aber das Salz nicht mehr salzt, womit wird man's würzen? (Καλὸν τὸ ἅλας· ἐὰν δὲ τὸ ἅλας ἄναλον γένηται, ἐν τίνι αὐτὸ ἀρτύσετε;) Habt Salz bei euch und habt Frieden untereinander!
(Lk 14, 34–35): Das Salz ist etwas Gutes; wenn aber das Salz dumm wird, womit soll man würzen? (Καλὸν οὖν τὸ ἅλας· ἐὰν δὲ καὶ τὸ ἅλας μωρανθῇ, ἐν τίνι ἀρτυθήσεται;) Es ist weder für den Acker noch für den Mist zu gebrauchen, sondern man wird's wegwerfen. Wer Ohren hat zu hören, der höre!Footnote 4
Unsere vorrangige Frage betrifft den wortwörtlichen Sinn des Satzteils ‘ἐὰν δὲ τὸ ἅλας μωρανθῇ’, der in den traditionellen Bibelübersetzungen folgendermaßen wiedergegeben wird: ‘wenn das Salz nicht mehr salzt’. Das Verb ‘μωραίνω’ bedeutet bekanntlich im klassischen Griechisch ‘dumm machen’, dies ist seine einzige Bedeutung,Footnote 5 das Verb ‘μωραίνω’ ist also in dem Textzusammenhang, der durch die metaphorische Gestalt des Salzes bestimmt ist, praktisch sinnlos. Matthew Black versucht—im Gefolge von Lightfoot—dieses Problem so zu lösen, dass er hinter ‘μωραίνω’ das hebräische Verb תפל vermutet, das in erster Linie ‘ungesalzen sein’ bedeutet. Lightfoot merkt an, dass im Alten Testament das hebräische תפל idiomatisch auf unvernünftige Personen verweist. Er bezieht sich auf Klgl 2,14, wo der Text die falschen Propheten deshalb ermahnt, weil sie ‘Leerheit’ (שָׁוְא) und תָפֵ֔ל prophezeien. Da aber das Wort bei Ezechiel, der anderen Vorkommensstelle, wo תפל überhaupt mit der Prophetie in Verbindung kommt (13,10.14), ‘Kalktünche’ bedeutet, können wir ohne Weiteres annehmen, dass es in Klgl in derselben figurativen Bedeutung vorkommt. Ansonsten verweist das Wort im Alten Testament an keiner Stelle auf Personen. Tatsache ist jedoch, dass dieses Wort von der LXX mit ‘ἀφροσύνη’ und von der Vulgata mit ‘stultus’ übersetzt wird, daher kann man vermuten, dass sich unabhängig von den früheren Bedeutungen tatsächlich eine Bedeutungserweiterung in der Geschichte dieses Wortes vollzogen hat, die zum Ergebnis hatte, dass das Wort תפל auch ‘Sinnlosigkeit, Dummheit’ bedeutete. Deshalb können wir gegenüber der Annahme von Lightfoot und Black zwei Einwände erheben. Der erste wäre, dass תפל kein aramäisches, sondern ein hebräisches Wort ist.Footnote 6 Der zweite Einwand lautet, dass das griechische Wort ‘μωραίνω’ im klassischen Griechisch in keinem Fall und in keinem Kontext ‘salzlos werden’ oder ‘fade werden’ bedeutet hat! Deshalb wäre es ziemlich merkwürdig, wenn wir annehmen würden, dass die Übersetzer eine selten gebrauchte Bedeutung (dumm werden) des im aramäischen Kontext vorkommenden תפל mit einem solchen griechischen Wort (μωραίνω) widergegeben hätten, das ansonsten nichts anderes bedeutet, vor allem nicht ‘fade werden’…
Ein gleichwohl gewichtigeres Argument gegenüber der Rekonstruktion von Black ist, dass—wie auch von ihm erwähnt—im Talmud die aramäische Version des ersten Satzes des Salz-Gleichnisses vorkommt! Black spricht über diesen Satz zu leichtfertig sein Urteil aus: ‘Die im Talmud vorkommenden Worte helfen uns nicht dabei, die Sprache und Varianten des Evangeliumsspruches zu erklären’.Footnote 7 Die syrische Linie als eine der wichtigen Linien der Rezeptions- und Wirkungsgeschichte des Textes gibt davon Zeugnis, dass Jesus tatsächlich mit grosser Wahrscheinlichkeit sein Gleichnis mit diesem aramäischen Satz begonnen hat.
Der aus dem Gleichnis stammende Satz steht im Talmud in einem stark ironischen und ausgesprochen polemischen Kontext. In einer häufig zitierten Geschichte aus Bekhorot 8b erhält nämlich R. Yehoshua b. Hananya vom römischen Kaiser die Aufgabe zu beweisen, dass er klüger ist als die sechzig Weisen von Athen. So reist R. Yehoshua nach Athen und beginnt einen Dialog mit den Weisen. Die Weisen bitten ihn, ihnen ‘erfundene Geschichten’ (milei di-bedi'ei) zu erzählen, was der jüdische Rabbi denn auch tut:
Einst brachte ein Maultier einen Nachkommen auf die Welt. Auf einem Zettel, der an seinem Hals hing, stand: ‘rechtmäßig fordere ich von meiner väterlichen Familie (hundert)tausend Sus’. Die Athener Weisen fragten jedoch:
– ‘Kann ein Maultier gebären?’ Er (der Rabbi) aber antwortete so:
– ‘Das ist nur ein Märchen’ (darauf die Athener):
– ‘Wenn das Salz verdirbt, womit salzt man es (מילחא כי סריא, במאי מלחי לה)?’ Darauf antwortete er so:
– ‘Mit dem Mutterkuchen des Maultieres’.
– ‘Hat denn das Maultier einen Mutterkuchen?’—fragten sie.
– ‘Und kann das Salz vielleicht verderben—antwortete der Rabbi?’ (ומילחא מי סרי)Footnote 8
Im Talmud erscheinen die Christen nicht selten als ‘Philosophen’,Footnote 9 darüber hinaus können wir mit Peter Schäfer sagen: ‘the connection of the miraculous offspring of a sterile mule with the salt […] is suspicious’.Footnote 10 Es ist sehr wahrscheinlich, dass der obige talmudische Text nicht nur die christliche Tradition der Geburt Jesu von einer Jungfrau, sondern auch ein Gleichnis Jesu, nämlich das Salz-Gleichnis ins Visier nimmt, und zwar in der Weise, dass es mit dem Verb ‘סרי’ nicht auf die würzende, sondern auf die konservierende Kraft des Salzes hinweist. Das vorliegende aramäische Verb bedeutet nämlich ausschließlich ‘verderben, verfaulen, übelriechend werden’.Footnote 11 Aber auf diesen Talmudtext werden wir auch aus anderem Grund zurückkommen: Es ist ausgeschlossen, dass das Märchen des Rabbi über die wunderbare Geburt des Maultieres und das Märchen der Athener Weisen über das verdorbene Salz durch Zufall nebeneinander stehen, nicht zuletzt deshalb, weil keines von beiden aus dem anderen zu folgern ist. Wir werden sehen, dass wir diese beiden Sätze ruhig als Schlüsselsätze der einstigen jüdisch-christlichen Polemik betrachten können, was aber nicht das Thema der vorliegenden Studie ist.
Die Frage lautet vorläufig, ob eine kirchliche Tradition existiert, die die obige Interpretation des jesuanischen Gleichnisses tradiert und die vielleicht auch eine Antwort darauf geben kann, wie das rätselhafte Verb ‘μωραίνω’ in den griechischen Text gelangt ist. Unsere Antwort lautet eindeutig, dass es diese kirchliche Tradition gibt und zwar ist dies die von Ignatius von Antiochien und Ephraim Syrus erhaltene syrische Tradition. Damit kommen wir auch dem ursprünglichen aramäischen Sprachumfeld am allernächsten.
Ignatius von Antiochien verwendet in seinem Brief an die Magnesier das ‘Salz’-Gleichnis eindeutig in dem, der aramäischen Bedeutung von ‘סרי’ entsprechenden Sinne:
‘Ἁλίσθητε ἐν αὐτῷ, ἵνα μὴ διαφθαρῇ τις ἐν ὑμῖν, ἐπεὶ ἀπὸ τῆς ὀσμῆς ἐλεγχθήσεσθε’. (Seid salzig in ihm [in Jesus], auf dass nicht jemand von euch verderbe, und sein Geruch ihn verrate.) (Ep. ad Magn. 10,2).
Die Passivform von ‘διαφθείρω’ dient der Kennzeichnung von körperlichem Verfaulen, Verderben und Untergang. Der Verweis des Ignatius auf ‘Geruch’ spiegelt die Bedeutung ‘stinkend werden’ des Verbs ‘סרי’ klar wider. Es hat also den Anschein, dass der syrische Kirchenvater noch den ursprünglichen Inhalt des jesuanischen Idioms kannte.
Ephraim Syrus liefert uns aber auch darauf die Antwort, auf welche Weise ‘μωραίνω’ in die griechischen Handschriften gelangen konnte, wo doch in dem vermutlichen aramäischen Hintergrund des Gleichnisses das Verb ‘סרי’ stand. Er zitiert das Gleichnis Jesu in einem seiner Enkomien folgendermaßen:
‘Χαίρετε, τὸ ἅλας τῆς γῆς, τὸ μηδέποτε μαρανθῆναι δυνάμενον’ (‘Freue dich, Salz der Erde, das nie verdirbt!’)Footnote 12
Wie man sieht, gibt Ephraim Syrus den Bedeutungsinhalt des aramäischen ‘סרי’ mit dem griechischen μαραίνω wider. Dabei dient dieses griechische Wort als dichterischer Ausdruck für Verderben, Untergang (also für das Gegenteil von Haltbarkeit). Und es ist auch zu sehen, dass sich das Schriftbild von μαραίνω sowie μωραίνω außerordentlich ähnelt, ganz davon zu schweigen, dass beide Verben in dasselbe Konjugationsparadigma gehören: Ihre Form lautet im Passiv Aorist Coniunctiv μωρανθῇ und μαρανθῆ.
Wie konnte also ‘μωρανθῇ’ in den jesuanischen Satz gelangen? Ich glaube, die einfachste Antwort dafür ist, dass der erste griechische Übersetzer dieses Abschnitts den ursprünglich in der Form מילחא כי סריא, במאי מלחי לה (‘Wenn das Salz verdirbt, womit salzt man es’) stehenden Satz richtig—jedoch die Spitze von ‘סרי’ abschwächend—mit dem Verb ‘μαραίνω’ ins Griechische übersetzt hat, der dann folgendermassen klang: ‘ἐὰν δὲ τὸ ἅλας μαρανθῇ, ἐν τίνι ἁλισθήσεται;’ Es ist nun vorstellbar, dass wenig später ein Abschreiber dies zu μωρανθῇ verschrieb und dass sich dann in der handschriftlichen Tradition der Satz genau so einprägte, mit Ausnahme eines, einen aramäischen Dialekt sprechenden Zweiges der syrischen kirchlichen Tradition, namentlich Ignatius von Antiochien und Ephraim Syrus.
Es gibt noch ein weiteres philologisches Argument, das die obige Hypothese stützt und gleichzeitig bei der Beantwortung der Frage hilft, wie es dazu kam, dass die Variante ‘μωραίνω’ an Stelle von ‘μαραίνω’ in die Tradition einging. Die Vulgata des Hieronymos gibt unseren Text nämlich mit ‘evanesco’ wider, was als Spiegelübersetzung von ‘μαραίνω’ angesehen werden kann:
si sal evanuerit in quo sallietur…
Dies ist auch insofern auffällig, weil es ein lateinisches Wort gibt, das zugleich ‘fade’, ‘ungesalzen’, als auch ‘einfältig’ bedeutet: und zwar ‘insulsus’, ‘evanesco’ jedoch bedeutet keines von beiden. Wenn Hieronymos von dem תפל enthaltenden Hintergrund des Satzes gewusst hätte, und wenn er die handschriftliche Tradition mit ‘μωραίνω’ für sinnvoll und annehmbar gehalten hätte, dann hätte er vermutlich ‘insulsus’ statt ‘evanesco’ gewählt.
Zugleich hilft die Tatsache, dass es ein lateinisches Wort gibt, das gleichzeitig ‘ungesalzen’ und ‘dumm’ bedeutet, eine Erklärung für das Problem zu finden, auf welche Weise die Tradition mit ‘μωραίνω’ beliebt wurde und sich in der Tradition in der Weise verfestigte, dass zur gleichen Zeit das Wort ‘μωραίνω’ mit einer früher nicht vorhandenen Bedeutung, mit ‘fade werden’ erweitert wurde. Dies alles geschah vermutlich in Analogie zu dem lateinischen ‘insulsus’ und es ist leicht möglich, dass schon der Kopist der Variante mit ‘μαραίνω’ von diesem lateinischen Wort beeinflusst wurde, während ihm sein Fehler unterlief. Die christliche Rezeption des jesuanischen Salz-Gleichnisses wurde also nicht von dem hebräischen תפל, sondern von dem lateinischen ‘insulsus’ geprägt.Footnote 13
Tatsache ist jedenfalls, dass die mit ‘μωραίνω’ einhergehende ‘ästhetische’ Lesart so tief in die Rezeptionsgeschichte des Textes eingegangen ist, dass die biblische Wissenschaft sich bis heute nicht davon losmachen kann, dass sie sogar ersichtlicherweise auch die Talmudforschung beeinflusst, insofern die Verfasser des CAL—sich ausschließlich auf Bekhoroth 8b stützend und also durch die ästhetische Lesart des Salz-Gleichnisses beeinflusst—dem Verb ‘סרי’ die Bedeutung ‘fade werden’ beigeben… Genauso, wie dies die größten griechischen Wörterbücher mit ‘μωραίνω’ tun.
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Über die philologischen Argumente hinaus spricht auch ein weiteres Argument für die von uns vermutete Lesart des Salz-Gleichnisses, das uns schließlich zu der aus dem Talmud zitierten Geschichte und zu dem Argumentationssystem der jüdisch-christlichen Polemik zurückführt. Dieses Argument erhalten wir dann, wenn wir im Salz-Gleichnis in erster Linie einen Hinweis auf die konservierende Kraft des Salzes sehen und es gleichzeitig mit einer traditionellen Metapher des Bundes zwischen Gott und Israel in Zusammenhang bringen. Dabei kommen uns drei alttestamentliche Abschnitte zu Hilfe.
Diese drei Textstellen sind 2Chron 13.5; 4Mose 18.19 sowie 3Mose 2.13. Das Salz ist in allen drei Fällen das Symbol der Haltbarkeit und kommt ausdrücklich in Bezug auf den mit Gott geschlossenen Bund zur Sprache (börit melach: Salz-Bund). Der ‘börit melach’ wird zudem zum ‘börit melach olam’ erweitert, das heißt in den ersten beiden genannten Stellen zum ewigen Salz-Bund: Das Salz ist nicht nur die Metapher der Haltbarkeit, sondern des ausdauernden Bundes, den der Ewige mit Israel geschlossen hat. Wir können mit Recht annehmen, dass Jesus, als er seinen jüdischen Zuhörern vom Salz und dem paradoxen Verderben des Salzes gesprochen hat, damit eine traditionelle prophetische Botschaft formuliert hat. Demzufolge ist das Volk dann, wenn das Salz—das heisst der Bund zwischen Israel und Gott—verdirbt, zusammen mit dem Bund der Gefahr ausgesetzt, zertreten zu werden.
Wenn wir von der Position dieser Deutung her auf die oben zitierte Textstelle des Talmud zurückblicken, können wir sofort verstehen, wie die Geschichten vom verderbenden Salz und dem fohlenwerfenden Maultier nebeneinander geraten konnten, man kann sogar sagen, dass dieser Abschnitt des Dialogs anders gar nicht zu verstehen ist. Es scheint nämlich, dass die vorliegende Textstelle mit dem—den Athener Weisen in den Mund gelegten—Salz-Gleichnis ein zu der Zeit schon traditionelles, christliches antijudaistisches Argument und mit dem fohlenwerfenden Maultier ein gleichfalls traditionelles antichristliches Argument einander gegenüberstellt. Die Athener Weisen repräsentieren selbstverständlich den christlichen Standpunkt: Israel wird deshalb ‘getreten’, weil es den mit Gott geschlossenen Bund verdorben hat. Rabbi Yehoshua entgegnet mit einem traditionellen jüdischen Argument, das über die wunderbare Herkunft Jesu witzelt und damit einen der christlichen Grundmythen in Frage stellt.
Es scheint also, dass der Talmud—zwar in einem dem ursprünglichen Kontext fremden Kontext—den ursprünglichen philologischen Charakter und die ursprüngliche Botschaft des Gleichnisses Jesu in der Weise bewahrt hat, dass er gleichzeitig davon Zeugnis gibt, wie es über die Grenzen des Judaismus hinaus gelangt ist und zu einem frühen Locus des christlichen Antijudaismus werden konnte.