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Opposition der Siebziger in Polen

Ein Beitrag zur Integration neuerer Theorien sozialer Bewegungen

Published online by Cambridge University Press:  01 August 2008

Hella Dietz*
Affiliation:
Wiss. Mitarbeiterin am Institut für Soziologie Georg-August-Universität, Göttingen [hdietz@gwdg.de].

Abstract

Starting with Hans Joas’ theory of creative action and Alberto Melucci's theory of collective identity (with slight modifications), the paper specify the conditions for a useful application of newer theories of social movements. Using this (neo-) pragmatist perspective, and drawing on the example of the development of civic opposition in Poland, it endeavours to question and expand the explanatory potential of the theories of relative deprivation, political opportunity structures, network analysis and framing analysis.

Résumé

Partant des théories de l'action créatrice selon Hans Joas et de l'identité collective d'Alberto Melucci, l'auteur entend spécifier les conditions d'application pour de nouvelles théories des mouvements sociaux. Dans cette perspective néopragmatique, elle prend l'exemple du développement de l'opposition civique en Pologne pour tester le potentiel explicatif des théories de la frustration relative, de l'opportunité politique et des analyses de réseau ou de cadrage.

Zusammenfassung

Ausgehend von der Theorie des kreativen Handelns von Hans Joas und der (leicht modifizierten) Theorie der kollektiven Identität von Alberto Melucci, sollen die Bedingungen zur sinnvollen Anwendung neuerer Theorien sozialer Bewegungen spezifiziert werden. Aus dieser (neo-)pragmatistischen Perspektive wird das Erklärungspotential der Ansätze der relativen Deprivation, der politischen Gelegenheiten, der Netzwerkanalyse und des framing anhand des empirischen Beispiels der Entstehung der zivilgesellschaftlichen Opposition in Polen kritisch hinterfragt und erweitert.

Type
Creativity of social movements
Copyright
Copyright © A.E.S. 2008

1. Einleitung

Die dominierenden soziologischen Theorien berücksichtigen die Kreativität des Handelns nur am Rande – im Rahmen der Rational-Choice-Theorie etwa mit Hilfe des Konzepts der Unsicherheit. Im Anschluß an den amerikanischen Pragmatismus hat Hans Joas eine alternative Handlungskonzeption vorgeschlagen, welche von der dem Handeln inhärenten Kreativität ausgeht und zugleich beansprucht,

[...] die Randbedingungen für die sinnvolle Anwendung der anderen Handlungsmodelle [zu] spezifizieren, da sie die in diesen stillschweigend enthaltenen Annahmen deutlich macht.

(Joas Reference Joas1996, S. 15f.)

Die folgenden Ausführungen zielen darauf ab, einen Beitrag zur Konkretisierung der (neo-)pragmatistischen Theorie zu leistenFootnote 1, indem sie das Erklärungspotential von Theorien sozialer Bewegungen aus (neo-)pragmatistischer Perspektive diskutieren und Randbedingungen für deren sinnvolle Anwendung spezifizieren. Dazu werde ich im nächsten Abschnitt den (meta-)theoretischen Ausgangspunkt explizieren und mit Hilfe der (leicht zu modifizierenden) Theorie der kollektiven Identität von Alberto Melucci konkretisieren. In den Abschnitten drei bis sechs werde ich die Ansätze der relativen Deprivation, der politischen Gelegenheiten, der Netzwerksanalyse und des Framings anhand eines empirischen Beispiels – der Frage nach einer angemessenen Erklärung für die Entstehung der zivilgesellschaftlichen Opposition der siebziger Jahre in Polen – diskutieren und autreisen, wie sich diese Ansätze in eine (neo-)pragmatistische Theorie integrieren lassen.

2. Die (neo-)pragmatistische Theorie

Der (Neo-)Pragmatismus geht davon aus, daß Handelnde im Normalfall arationalen Gewohnheiten folgen und nur im Falle des Scheiterns dieser Handlungsabläufe neue Handlungsmöglichkeiten erschließen. Mittel und Präferenzen sind nicht a priori gegeben, sondern werden in einem quasi-dialogischen Prozeß in der und geprägt durch die Situation erschlossenFootnote 2. Kreativität wird demnach nicht einfach als weiterer Handlungstypus, sondern als inhärentes Merkmal menschlichen Handelns konzipiert, das den anderen Handlungsmodellen den ihnen angemessenen Stellenwert zuzuweisen vermag.

In der (neueren) Bewegungsforschung findet Kreativität insbesondere in der Konzeption von Alain Touraine Beachtung. Um die skizzierten (neo-)pragmatistischen Überlegungen zu konkretisieren werde ich eine Weiterentwicklung von Touraines Ansatz – die Theorie der kollektiven Identität von Alberto Melucci – zugrunde legen, in der Touraines umstrittene Untersuchungsmethode revidiert und Identität nicht als gegebene, sondern als Ergebnis eines interaktiven Prozesses konzipiert wird. Auch auf Touraines Studie zur Solidarność werde ich nur am Rande eingehen, da sie erst 1980 einsetzt und von daher kaum Aussagen über die Entstehung der zivilgesellschaftlichen Opposition der siebziger Jahre erlaubt.

Melucci geht davon aus, daß soziale Bewegungen keine homogenen Entitäten, also keine Subjekte in dem Sinne sind, wie wir gewöhnlich unterstellen, wenn im Fall Polens von “dem KOR”Footnote 3 gesprochen wird, als würde “das KOR” protestieren, Gelegenheiten nutzen, Entscheidungen treffen. Soziale Bewegungen sind vielmehr zusammengesetzte Handlungssysteme, die durch die folgenden drei Merkmale gekennzeichnet sind:

Zuallererst muß kollektives Handeln mit Solidarität verbunden sein, was aus Sicht der Akteure bedeutet, ein Teil einer einzigen sozialen Einheit zu sein. Das zweite Merkmal ist die Präsenz eines Konflikts, also einer Situation, in der zwei oder mehr Akteure um die Kontrolle über Ressourcen, die sie als wertvoll erachten, innerhalb eines Feldes konkurrieren. [...] Die dritte Dimension ist die Überschreitung von Grenzen der Verträglichkeit eines Systems sozialer Beziehungen.

(Melucci Reference Melucci, Klein, Legrand and Leif1999, S. 115; Hervorheb. H.D.)Footnote 4

Eine soziale Bewegung ist damit zwar nicht homogen, deren Aktivisten sehen sich aber dennoch als Teil einer Einheit – die Bewegung ist somit andererseits mehr als das Ergebnis der Aggregation individueller Präferenzen. Die Produktion dieses geteilten Handlungssystems ist ein interaktiver kreativer Prozeß, dessen Ergebnis Melucci kollektive Identität nennt.

Kollektive Identitätsbildung ist ein delikater Prozeß und bedarf des ständigen Einsatzes; es ist ein Prozeß, in dem die Akteure die allgemeinen kognitiven Deutungsmuster erst produzieren, die sie dann in die Lage versetzen, ihre Umwelt einzuschätzen und Kosten wie Nutzen ihrer Handlungen berechnen zu können.

(Melucci Reference Melucci, Klein, Legrand and Leif1999, S. 117)

In Abgrenzung zu Melucci bestreite ich die gesellschaftstheoretisch begründete Einschränkung des Geltungsbereichs der Theorie auf Neue Soziale Bewegungen (siehe 1). Außerdem gehe ich davon aus, daß nicht nur kognitive Deutungsmuster, sondern auch Werte und Emotionen von zentraler Bedeutung für die Konstitution der kollektiven Identität sind (siehe 2).

1. Melucci schließt in seinen gesellschaftstheoretischen Überlegungen an die Konzeption von Touraine an, der davon ausgeht, daß es in jedem Gesellschaftstyp einen zentralen Konflikt gibt, der von einer Protestbewegung artikuliert wird. In der Industriegesellschaft ist es die Arbeiterbewegung, die den Konflikt zwischen Arbeit und Kapital artikuliert. In der heutigen Gesellschaft, die Touraine als programmierte Gesellschaft bezeichnet, ist die Ökonomie keine von der Gesellschaft getrennte Sphäre mehr, sondern greift auf alle Lebensbereiche über. Daher verschiebt sich der Konflikt von einem Konflikt über Produktionsmittel hin zu einem Konflikt über den Zugang und die Verteilung von Wissen, und es sind die Neuen Sozialen Bewegungen, die diesen Kampf um selbstbestimmte Gestaltung aller Lebensbereiche gegen die Technokratie artikulierenFootnote 5.

Melucci übernimmt die gesellschaftstheoretische Annahme, daß sich die neuen sozialen Bewegungen als Träger eines neuen zentralen Konflikts in der von ihm nun als Informationsgesellschaft bezeichneten Gesellschaft von den “alten” sozialen Bewegungen der industriellen Gesellschaft unterscheiden werdenFootnote 6. Er nimmt zudem an, daß dieser neue Gesellschaftstypus durch ein konstitutiv anderes Handlungsvermögen gekennzeichnet ist, das eine neue Theorie zur Analyse dieses Handelns erfordert. Zwar sei jeder Konflikt, der ein System geteilter Regeln überschreitet, immer ein Konflikt um Identität, insofern er Anerkennung für das fordert, was die Akteure selbst anerkennen; doch der soziale Wandel habe ein Handlungsvermögen hervorgebracht, das nicht nur darauf gerichtet ist, die äußere Natur zu beherrschen, sondern auf menschliches Handeln selbst einzuwirken, Handlungsbedingungen zu reflektieren und selbst zu produzieren.

Also wird das soziale und individuelle Potential für Handeln selbst ein Gegenstand von Handeln, in einer reflexiven und sich selbst verändernden Spirale, jemand handelt hinsichtlich der Fähigkeit, handeln und planen zu können; soziale Systeme entdecken ihre Möglichkeiten für offenes, “elastisches” und selbstbezügliches Handeln.

(Melucci Reference Melucci, Klein, Legrand and Leif1999, S. 122)

Dem Einwand, daß sich die Merkmale dieses neuen Handlungsvermögens auch in “alten” sozialen Bewegungen nachweisen lassenFootnote 7, begegnet Melucci wiederum mit der Differenzierung, daß soziale Bewegungen nicht an sich neu oder alt sind, sondern verschiedene Orientierungen in sich vereinen, die verschiedenen historischen Schichten der gegebenen Gesellschaft zuzuordnen sindFootnote 8.

Im Unterschied zu Melucci gehe ich davon aus, daß die gesellschaftstheoretisch motivierte Suche nach einem neuen Konflikt nicht notwendigerweise mit der metatheoretischen Vorentscheidung verbunden sein muß, und der neue Gesellschaftstypus auch mit einem konstitutiv neuen Handlungsvermögen einhergeht. Mir scheint, daß sich gegen diese Annahme der notwendigen Verknüpfung von neuer Gesellschaftsform, neuem Konflikt und neuem Handlungsvermögen bei Melucci im Grunde dieselbe Kritik anführen läßt, die Johannes Berger gegen Habermas' Konzeption der Verknüpfung von Handlungstypus und Funktionsbereich der Gesellschaft formuliert hat, nämlich daß die Kontrastierung zweier Handlungstypen den Blick auf deren konstitutive Verschränkungen verstellt und die eindeutige Zuordnung dieser Handlungstypen zu Funktionsbereichen – hier: zu Gesellschaftstypen – die Wechselwirkungen verschiedener Integrationsmechanismen – hier: Konfliktmechanismen – verfehltFootnote 9.

2. Auch Melucci betont, daß in der interaktiven Produktion von kollektiver Identität neben kognitiven Definitionen aktive Beziehungen und emotionale Investitionen eine Rolle spielen, spezifiziert aber weder, wie diese emotionalen Erfahrungen mit den kognitiven Deutungsmustern zusammenhängen, noch, wie sie zu rekonstruieren seienFootnote 10. Im Unterschied zu Melucci gehe ich überdies davon aus, daß Deutungsmuster nicht nur kognitive Muster sind, sondern immer auch Wertungen enthalten, die ich im Anschluß an Hans Joas als Imaginationen kontingenter Möglichkeiten fasse: Menschen reflektieren die Situationen, die sie erleben, sie idealisieren kontingente Möglichkeiten, die diese Situationen bieten und orientieren ihr künftiges Handeln an diesen Imaginationen, die sie Werte nennen. John Dewey hat betont, daß diese Werte (wie alle Ideen) zwar unabhängig von der jeweiligen Situation, nicht aber unabhängig von allen denkbaren Situationen existieren. Sie erscheinen uns wirklich, weil wir kritische Momente erlebter Situationen in sie projiziert haben. Hans Joas hat darauf hingewiesen, daß wir, um die Entstehung von Werten, genauer: von Wertbindungen, erklären zu können, nach Erfahrungen fragen müssen, in denen das subjektive Gefühl, daß etwas wertvoll sei, seinen Ursprung hatFootnote 11.

Um die einzelnen Theorien sozialer Bewegungen in diese (neo)pragmatistische Theorie zu integrieren, werde ich forschungschronologisch vorgehen. Ich beginne mit dem in der US-amerikanischen Forschung als überholt geltenden Ansatz relativer Deprivation – zum einen, weil er in der Literatur zur Herausbildung der polnischen Opposition häufig Verwendung findet, zum anderen, weil er – ergänzt um eine Theorie der kollektiven Identität – auf die Ursachen der immer wieder auftretenden Protestbewegungen verweist, die in anderen Ansätzen nicht (mehr) berücksichtigt werden.

3. Relative Deprivation

Der Ansatz der relativen Deprivation ist einer jener Ansätze, die in sozialen Bewegungen einen (irrationalen) Bewältigungsmechanismus für wie auch immer geartete Spannungen in einer Gesellschaft sehen und von Doug McAdam unter dem Begriff structural strains (strukturelle Spannungen) zusammengefaßt wurdenFootnote 12. Er versteht sich als Weiterentwicklung des sozialpsychologischen Frustrations-Aggressions-Modells: die Kluft zwischen den eigenen Erwartungen in bezug auf das Handlungsergebnis – die antizipierte Gratifikation – und den (geringeren) tatsächlichen Gratifikationen resultiert in Frustration. Wird ein bestimmtes Frustrationsniveau erreicht, schlägt diese wiederum in Aggression – hier: sozialen Protest – um. Als relative Deprivation wird Frustration dann bezeichnet, wenn sie nicht aus dem Vergleich von Erwartung und Ergebnis, sondern aus dem Vergleich zwischen dem Ergebnis der eigenen Handlungen und der Handlungen anderer resultiert. In der Definition von Walter Runciman:

We can roughly say that a person is relatively deprived of X when (i) he does not have X, (ii) he sees some other person or persons, which may include himself at some previous or expected time, as having X (whether or not this is or will be in fact the case); (iii) he wants X, and (iv) he sees it as feasible that he should have X.

(Runciman Reference Runciman1966, S. 10)

Am Beispiel Polens: das Konzept der relativen Deprivation lenkt die Aufmerksamkeit auf eine aus enttäuschten Erwartungen resultierende Unzufriedenheit. Sie verweist auf eine paradoxe Folge der wirtschaftspolitischen Strategie des Regimes unter Edward Gierek. Während der Arbeiterproteste 1970/71 hatte Gierek mit den Protestierenden einen “stillschweigenden Vertrag” ausgehandelt. Die Arbeiter nehmen von politischen Forderungen Abstand, das Regime garantiert ihnen im Gegenzug Wirtschaftswachstum und steigenden Lebensstandard. Damit gelingt es Gierek, die Erwartungen der Protestierenden von politischen Forderungen weg und auf materiellen Wohlstand hin zu lenken. Anfänglich gelingt es, diese Erwartungen zu erfüllen. In den ersten Jahren steigt der Lebensstandard – finanziert von westlichen Krediten – kontinuierlich. Auf dem Schwarzmarkt werden westliche “Luxusgüter” wie Jeans, Schallplatten, Elektrogeräte und Schokolade verkauft. In den Kneipen wird Coca-Cola angeboten, in den Kinos werden westliche Filme gezeigt, und viele junge Polen erhalten die Erlaubnis, für einige Monate zum Arbeiten in den Westen zu fahren (na saksy). Dieser anfängliche Erfolg verleitet westliche Beobachter zu der Einschätzung, Polen habe als einziges kommunistisches Land in Konsumversprechen und wirtschaftlicher Prosperität den “Heiligen Gral” der Legitimität gefundenFootnote 13. Systemkritische Polen hingegen beklagen, die polnische Jugend habe sich nun endgültig mit der Kleinen Stabilisierung (mała stabilizacja) abgefunden, sie sei pragmatisch und politisch völlig desinteressiertFootnote 14.

Als das Wirtschaftswachstum jedoch Mitte der siebziger Jahre zu sinken beginnt, lassen sich die Konsumsteigerungen nur noch um den Preis exorbitant steigender Auslandskredite aufrechterhalten: 1971 belaufen sich die Auslandsschulden gegenüber westlichen Kreditgebern auf 1,1 Mrd. $, 1975 sind es 8 Mrd., 1978 bereits 17,8 Mrd. Es ist abzusehen, daß sich diese Strategie langfristig nicht aufrechterhalten lassen wird. Das Regime hofft aber, durch die vorangegangenen Lohnerhöhungen und das größere Güterangebot genügend Glaubwürdigkeit gewonnen zu haben, um Preiserhöhungen für Grundnahrungsmittel durchsetzen zu können, die noch immer auf dem Niveau von 1967 fixiert sind – schließlich würde es den Menschen auch nach den Preiserhöhungen noch immer wesentlich besser gehen als in den vorangegangenen Jahrzehnten. Doch als die Regierung im Juni 1976 Preiserhöhungen um bis zu 60 % ankündigt, wird dies nicht als erträgliche Einschränkung empfunden, sondern als Zeichen dafür gewertet, daß sich die steigenden Erwartungen künftig nicht erfüllen lassen werdenFootnote 15. In den Preiserhöhungen kulminiert somit eine spezifische Form der relativen Deprivation – eine temporale relative Deprivation, die sich vorrangig auf die Benachteiligung gegenüber der erwarteten eigenen zukünftigen Position bezieht.

Bereits am Morgen nach der Ankündigung von Preiserhöhungen beginnen Arbeiter in ganz Polen zu streiken. In Ursus blockieren sie die Eisenbahnschienen, die nach Osten führen. In Radom, nicht weit von Warschau, setzt eine protestierende Menge das regionale Parteikomitee in Brand. Der sichtlich erschütterte Premierminister Jaroszewicz gibt am selben Abend die Rücknahme der Preiserhöhungen bekannt, die Proteste von Radom und Ursus werden gewaltsam niedergeschlagen. Die Prozesse gegen die beteiligten Arbeiter werden wiederum zum Anlaß für einige Warschauer Intellektuelle, das Komitee zum Schutz der Arbeiter (Komitet Obrony Robotników, KOR) Footnote 16 zu gründen, das zur wichtigsten sozialen Bewegung der politischen Opposition der siebziger Jahre und zu einem der Wegbereiter der Solidarność werden sollte.

Der Ansatz relativer Deprivation ist – zu Recht – kritisiert worden. Um dennoch nicht auf eine Erklärung der Ursache von Unzufriedenheit verzichten zu müssen, werde ich die Theorie der kollektiven Identität nutzen, um den Ansatz zu reformulieren (1). Anschließend werde ich die Grenzen des so modifizierten Ansatzes für die Erklärung der Entstehung der politischen Opposition aufzeigen (2).

1. Der Ansatz relativer Deprivation vernachlässigt, daß die Wertmaßstäbe zur Bewertung der Ergebnisse des eigenen Handelns und des Handelns anderer nicht objektiv gegeben sind, sondern aus einer wie immer rudimentären Vorstellung von Gerechtigkeit abgeleitet werden müssen. Auf die Existenz eines solchen Bewertungsmaßstabes verweist implizit auch Melanie Tatur, wenn sie darauf hinweist, daß die Erwartungen an die eigene künftige Position und das eigene künftige Einkommen auch deshalb “ungebührlich” steigen, weil die Undurchsichtigkeit des Verteilungsprinzips zur Loslösung der Erwartungen von disziplinierenden Vorstellungen wie etwa der Abhängigkeit der Einkünfte von der eigenen Leistung oder vom Gewinn des Betriebs geführt habeFootnote 17. Zudem unterstellt der Ansatz, daß Unzufriedenheit automatisch zu Protest führe. Zunächst scheint es jedoch nicht weniger plausibel, auf die Kluft zwischen Erwartungen und Ergebnissen oder zwischen früheren und jetzigen Ergebnissen anders zu reagieren: zu resignieren, die Unzufriedenheit zu sublimieren oder die Aggression auf einen symbolischen Gegner zu lenkenFootnote 18. Dies läßt sich auch empirisch plausibilisieren; denn Unzufriedenheit ist ein viel häufigeres Phänomen als soziale BewegungFootnote 19. Die Theorie relativer Deprivation führt hier den Begriff der Schwelle (threshold) ein, der besagt, daß es erst dann zu Protest kommt, wenn die Unzufriedenheit ein bestimmtes Niveau erreicht hat. Es bleibt jedoch unklar, wann dieser Punkt erreicht ist.

Mit Hilfe der Theorie der kollektiven Identität lassen sich drei Bedingungen spezifizieren, die erfüllt sein müssen, damit die Akteure die Ereignisse auf eine Weise bewerten, die in Protest umschlägt. Es muß eine zeitliche Kontinuität des Akteurs geben, um die verschiedenen Wahrnehmungen von Erwartungen einerseits und Handlungsergebnissen andererseits in Zusammenhang zu bringen. Der Grund für die relative Deprivation muß formuliert, und es muß ein konkreter anderer Akteur für die Frustration verantwortlich gemacht werden. Deutungsmuster müssen artikuliert werden, die den Anspruch auf das Objekt begründen, der wiederum die Grenzen der Verträglichkeit des Systems überschreiten muß; denn nur, wenn der Anspruch die Grenzen des Systems überschreitet, macht es aggressive, nicht institutionalisierte Mobilisierung notwendig, und nur durch diesen Bezug auf die Grenzen der Verträglichkeit des Systems, in dem gehandelt wird, ergibt das Konzept der Schwelle SinnFootnote 20.

Am Beispiel Polens: Die Arbeiter in den Fabriken sehen eine zeitliche Kontinuität zwischen dem Versprechen Giereks 1970 und den jetzigen Preiserhöhungen, die sie als Bruch jenes “stillschweigenden Vertrages” empfinden. Die Legitimität des Anspruchs auf stabile Preise läßt sich aus ebenjenem Vertrag ableiten und wird durch die “Propaganda des Erfolgs” noch verstärkt. Damit ist zugleich der Gegner bezeichnet; denn mit den Preissteigerungen hat das Regime den stillschweigenden Vertrag gebrochen. Indem die Arbeiter in Ursus die Schienen nach Osten blockieren, zeigen sie zudem, daß sie ihren Protest auch gegen die (Abhängigkeit von der) Sowjetunion richten.

2. Diese Skizze der zugrunde liegenden Handlungs- und Deutungsmuster zeigt zugleich die Grenzen des Erklärungsmodells. Mit dem um eine Theorie der Identität erweiterten Ansatz läßt sich erklären, warum es zur Protestbewegung der Arbeiter gekommen ist. Diese Protestbewegung ist jedoch (noch) keine soziale Bewegung im Sinne Meluccis; denn die drei Bedingungen für den Umschlag von Unzufriedenheit in Protest unterscheiden sich in zwei entscheidenden Punkten von der Definition einer sozialen Bewegung. Erstens genügt es nicht, daß es eine zeitliche Kontinuität des Akteurs gibt, die Teilnehmer einer sozialen Bewegung müssen sich zudem als Teil einer Einheit empfinden – eine Bedingung, welche die Arbeiter 1976 nicht erfüllen:

The social dissatisfaction visible in the acts of protest was a sum of individual dissatisfactions. What was lacking was a clear symbolic binding medium that would link the particular elements and thus form one entity. [...] Participants in the events, thinking about their actions, did not describe themselves as representatives of a whole that did not possess the right to decide about itself: be it the employees of a given institution, the working class, or the entire nation.

(Bakuniak und Nowak Reference Bakuniak and Nowak1987, S. 408)Footnote 21

Zweitens genügt es nicht, daß ein anderer Akteur für die Unzufriedenheit verantwortlich gemacht wird, die Unzufriedenheit muß auch auf bestimmte Entscheidungsmechanismen oder Charakteristika des Systems zurückgeführt werden, die der Änderung bedürfen; denn nur dann wird ein Konflikt artikuliert – 1976 sind die Proteste jedoch hauptsächlich defensiv ausgerichtet (die Regierung wird als legitimer Distributor angesehen, der “uns wegnehmen will, was sie uns versprochen hat und worauf wir ein Anrecht haben”). Die Proteste beziehen sich somit auf eine einzelne Entscheidung und sind (noch) nicht Zeichen eines Konflikts mit dem Regime, bei dem der Entscheidungsmechanismus in Frage gestellt würde. Obwohl die wirtschaftlichen Forderungen der Arbeiter die Grenzen der Verträglichkeit des Systems (zumindest langfristig) übersteigen, handelt es sich (noch) nicht um eine soziale Bewegung, sondern um eine protestierende Masse, die sich (kurzfristig) durch wirtschaftliche Zugeständnisse befrieden läßtFootnote 22.

Der um die Rekonstruktion des zugrundeliegenden Handlungssystems ergänzte Ansatz relativer Deprivation kann somit erklären, warum es zu den Protesten der Arbeiter kommt, muß jedoch durch andere Ansätze ergänzt werden, um zu erklären, wie es zur Entstehung der milieuübergreifenden politischen Opposition der siebziger Jahre kommt, die diese Unzufriedenheit organisiert.

4. Politische Gelegenheitsstrukturen

In den USA werden Mitte der siebziger Jahre – inspiriert durch die Neue Linke und die Studentenproteste der sechziger Jahre – zwei auf den Prämissen der Rational-Choice-Theorie beruhende Ansätze entwickelt, die mit der zentralen Annahme der Theorien struktureller Spannungen brechen. Da Unzufriedenheit ein häufig auftretendes Phänomen ist, soziale Bewegungen hingegen nicht, müsse nicht nach dem Warum der Entstehung sozialer Bewegungen gefragt werden, sondern nach dem Wie. Sie gehen davon aus, daß Präferenzen für Wandel a priori gegeben sind und richten ihre Analyse explizit nicht auf deren Inhalt oder deren Entstehung; denn Unzufriedenheit – oder in der Sprache der Rational-Choice-Theorie: Präferenzen, die auf sozialen Wandel gerichtet sind – gebe es zu allen Zeiten in allen Gesellschaften, mehr noch:

For some purposes we go even further: grievances and discontent may be defined, created, and manipulated by issue entrepreneurs and organizations.

(McCarthy und Zald Reference McCarthy and Mayer N.1977, S. 1215)

Soziale Bewegungen erscheinen somit nicht als Ausdruck (irrationalen) Verhaltens, sondern als Resultat rationalen Handelns. Beide Ansätze gehen davon aus, daß Akteure ihre Präferenzen auf sozialen Wandel unter Berücksichtigung der externen Bedingungen und der Handlungsstrategien anderer Akteure auf zweckrationale Weise zu verwirklichen suchenFootnote 23.

Für den Ansatz der Ressourcenmobilisierung ist die gesellschaftliche Unterstützung in Form von Ressourcen entscheidend. Der Ansatz geht davon aus, daß Bewegungsunternehmer der Bewegungsorganisationen auf einem Bewegungsmarkt um Ressourcen konkurrieren, und daß sich die auf Zielerreichung gerichtete Aktivität – trotz zugestandener Unterschiede zwischen verschiedenen Organisationsformen – als Funktion der von einer Bewegungsorganisation kontrollierten Ressourcen darstellen läßtFootnote 24. Für den Ansatz politischer Gelegenheitsstrukturen sind es hingegen bestimmte Änderungen in der politischen Struktur beziehungsweise im politischen Prozeß. Der Ansatz geht davon aus, daß neue Verbündete, die Veränderung der Entscheidungsstrukturen et cetera, zu sogenannten windows of opportunity werden können, die dann von rationalen Akteuren ausgenutzt werden.

Der Ressourcenmobilisierungsansatz ist zur Erklärung der Entstehung der politischen Opposition der siebziger Jahre in Polen kaum geeignet, da er konstitutiv von einer demokratisch organisierten Gesellschaft ausgeht, in der die Medien unabhängig sind, Versammlungs- und Meinungsfreiheit (weitgehend) gewährt werden und Bewegungsunternehmer auf einem Bewegungsmarkt um Ressourcen konkurrieren. Auch wenn sie den Ressourcenbegriff auf nichtmaterielle Ressourcen erweitern – McCarthy und Zald sprechen nicht nur von Geld, sondern auch von Legitimität, Arbeit, technischen und anderen Hilfsmitteln (facilities), Cress und Snow von moralischen, materiellen, informationellen und menschlichen RessourcenFootnote 25 – wird Ressourcen innerhalb des Rational-Choice-Paradigmas ein ganz bestimmter Stellenwert zugeschrieben: Sie bleiben Mittel, mit deren Hilfe Bewegungsunternehmer auf einem freien Bewegungsmarkt Unterstützer mobilisieren. In autoritären Systemen müssen jedoch nicht nur die Mittel zur Mobilisierung gegeben sein, die potentiellen Bewegungsunternehmer müssen einen Bewegungsmarkt und damit die Bedingung der Möglichkeit ihres eigenen Handelns vielmehr selbst erst schaffen.

Der Ansatz der politischen Gelegenheitsstrukturen ist zwar ebenfalls im Hinblick auf demokratische Systeme entwickelt worden, läßt sich aber durch einige kleine Modifikationen gut auf autoritäre Systeme übertragen. In beiden Systemtypen ist die Präsenz oder Abwesenheit von Bündnispartnern und der Zugang zu den Medien relevant. Anstelle der “Konstitution des Parteien- und Verbändesystems” und “organisatorisch-administrativen Verfahrensbedingungen, die es ermöglichen, die Implementierung von Politiken zu stören”Footnote 26, wird bei der Untersuchung autoritärer Regime auf Spaltungen der (Partei-)Eliten und auf die Repressionsressourcen des Regimes verwiesenFootnote 27.

Am Beispiel Polens: das Konzept der politischen Gelegenheitsstrukturen lenkt die Aufmerksamkeit auf die Veränderungen des politischen Feldes. Die beginnende Annäherung von USA und Sowjetunion vermindert die Spannungen des Kalten Krieges; die Stellung der katholischen Kirche ist durch das II. Vatikanum gestärkt; Giereks Regime ist durch die Kredite stärker von der “guten Meinung” im Westen abhängig; die 1975 unterzeichnete Schlußakte der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) garantiert die bestehenden Grenzen in Europa, bietet einen Rahmen für ökonomische Kooperation zwischen Ost und West und schreibt die Garantie der Menschen- und Bürgerrechte fest.

Die politischen Veränderungen beeinflussen die politischen Gelegenheitsstrukturen in Polen auf dreifache Weise: sie vermindern den Willen des Regimes zu Repression (1); sie schaffen einflußreiche internationale Verbündete (2), und sie vergrößern den Informationsfluß in Polen (3).

  1. 1. Giereks Strategie, die Bevölkerung durch kreditfinanzierten Konsum zufriedenzustellen, hat ihn in besonderer Weise vom guten Willen und der “guten Meinung” im Westen abhängig gemacht. Er versucht, sich dieses guten Willens durch die Politik der repressiven Toleranz (Staniszkis Reference Staniszkis1984) zu versichern und hofft, daß die Nachteile durch die Vorteile aufgewogen würden.

    Among the latter was the image of “the most liberal ruling elite in Eastern Europe”, which increased Poland’s access to foreign credits.

    (Staniszkis Reference Staniszkis1984, S. 166)
  2. 2. Die Schlußakte von Helsinki, in deren drittem Korb – nicht zuletzt auf Betreiben des Vatikans – die Einhaltung grundlegender Menschen- und Bürgerrechte festgeschrieben ist, schafft oppositionellen Gruppierungen, die sich auf diese Rechte berufen, mächtige Verbündete: die westlichen Unterzeichnerstaaten – insbesondere die amerikanische Carter-Regierung – und die westlichen Medien. Diese Aufmerksamkeit wird zu einem Druckmittel in der Hand der Opposition und bietet einen gewissen persönlichen Schutz für die Aktivisten.

  3. 3. Die mit Giereks Wirtschaftspolitik einhergehenden Lockerungen und die durch den Helsinki-Prozeß vorangetriebene Öffnung zum Westen führen dazu, daß immer mehr Menschen in den Westen reisen können, Zugang zu westlichen Publikationen haben usw.

Auf den ersten Blick scheint der Ansatz der politischen Gelegenheitsstrukturen somit gut geeignet, um die Rekonstruktion der Herausbildung übereinstimmender Präferenzen aus dem ersten Kapitel und die Analyse relativer Deprivation zu ergänzen: die Entstehung der politischen Opposition der siebziger Jahre läßt sich als schlüssige Reaktion rationaler Akteure mit einer Präferenz für Wandel auf neue politische Gelegenheiten rekonstruieren. Nach der Unterzeichnung der Schlußakte der KSZE protestieren polnische Intellektuelle mit der Denkschrift der 59 (Memoriał 59) gegen geplante VerfassungsänderungenFootnote 28 und fordern mit Bezug auf die Schlußakte, daß Gewissensfreiheit, Freiheit der Religionsausübung, Recht auf unabhängige Gewerkschaften, Streikrecht, Meinungs- und Informationsfreiheit – insbesondere: unabhängige Verlage, Abschaffung der Zensur – sowie Freiheit der Wissenschaft aufgenommen werden sollen. In den folgenden Jahren werden zahlreiche oppositionelle Gruppierungen gegründet, die sich explizit auf die Schlußakte oder zumindest auf die dort garantierten Menschenrechte berufen: im Juli 1975 die Bewegung Freier Demokraten (Ruch Wolnych Demokratów), die ihr Ziel darin sieht, die Regierung an die Versprechen des Helsinki-Prozesses zu erinnern und langfristig für demokratische Reformen einzutreten; im Mai 1976 die Polnische Verständigung für Unabhängigkeit (Polskie Porozumienie Niepodległości, PPN), deren kurzfristiges Ziel die Presse- und Meinungsfreiheit ist und die langfristig das Wiederaufleben der nationalen Traditionen fordert; im September 1976 das Komitee zur Verteidigung der Arbeiter (Komitet Obrony Robotników, KOR), das zunächst konkrete Hilfe für die Streikenden organisiert, seine Tätigkeit 1977 auf die Selbstverteidigung der Gesellschaft ausweitet; im März 1977 die ebenfalls seit Herbst 1976 aktive Bewegung zum Schutz der Menschen- und Bürgerrechte (Ruch Obrony Praw Człowieka i Obywatela, ROPCiO), die stärker national orientiert istFootnote 29.

Der Ansatz der politischen Gelegenheitsstrukturen lenkt die Aufmerksamkeit auf politische Veränderungen und vermag somit zu erklären, warum es ausgerechnet 1975/76 zur Gründung oppositioneller Gruppierungen in Ostmitteleuropa kommt. Dennoch ist das Erklärungspotential des Ansatzes der politischen Gelegenheitsstrukturen begrenzt: zum einen muß er durch eine Rekonstruktion der Herausbildung der kollektiven Identität ergänzt werden, da er die Herausbildung übereinstimmender Präferenzen auf Wandel nicht erklärt, sondern als gegeben voraussetzt (1), zum anderen muß er durch eine Analyse der Deutung der politischen Gelegenheiten für diese milieuübergreifende Opposition ergänzt werden (2).

1. Der Ansatz der politischen Gelegenheitsstrukturen hat als Rational-Choice-Theorie nicht den Anspruch, die Entstehung oder Veränderung von Präferenzen zu erklären. Damit liefert er jedoch günstigstenfalls ein unvollständiges Verständnis sozialen Handelns. Am Beispiel: Denn obwohl eine Mehrheit der Polen “schon immer” regimekritisch gewesen sein mag, ist gerade das Zustandekommen der Übereinstimmung übereinstimmender Präferenzen auf Wandel in den verschiedenen, zuvor verfeindeten sozialen Milieus erklärungsbedürftig – nicht zuletzt, weil es gerade diese Übereinstimmung von Präferenzen ist, welche die polnische Opposition der siebziger Jahre von den oppositionellen Bestrebungen der fünfziger und sechziger Jahre unterscheidet. Für die Veränderung der Präferenzen Anfang der siebziger Jahre ist die Annäherung von zwei relativ kleinen Milieus von entscheidender Bedeutung: die Annäherung von progressiven – sogenannten “französischen”Footnote 30 – Katholiken und nonkonformen Linken. Beide Gruppierungen hatten in der jeweils anderen lange Zeit einen größeren Gegner gesehen als im sozialistischen Regime: die oppositionelle Linke sieht religiösen Glauben allein als politisches Instrument der Kirche und hält dem Regime immerhin zugute, den Einfluß dieser “Bastion der Reaktion” zurückzudrängen. Die Katholiken kritisieren an der Linken vor allem deren Gottlosigkeit und halten dem Regime nach 1956 immerhin zugute, der Kirche im Zuge von Gomułkas polnischem Weg zum Sozialismus aus pragmatischen Gründen Zugeständnisse zu machen, während die oppositionelle Linke auf ihrer Position eines ideologisch motivierten politischen Atheismus beharrt. In dieser Situation wird die Revision dieser Feindbilder – oder in der Begrifflichkeit des Framing: eine Veränderung des adversarial framing –, die wiederum aus den jeweiligen Selbstbildern abgeleitet werden, zur Bedingung der Möglichkeit für eine milieuübergreifende politische Opposition. Kurz zusammengefaßt: die progressiven Katholiken wenden sich seit der Zwischenkriegszeit zunehmend vom katholischen Integrismus ab. Sie stellen nicht mehr (allein) die Kirche, sondern den einzelnen Menschen ins Zentrum ihrer Überlegungen. Durch diesen Perspektivenwechsel vom Gottesrecht zum Menschenrecht oder – in den Worten von Ernst-Wolfgang Böckenförde: vom “Recht der Wahrheit” zum “Recht des Menschen” – verschiebt sich die Trennlinie zwischen Gegnern und potentiellen Verbündeten: die progressiven Katholiken wenden sich nicht mehr gegen die Gottlosigkeit der Linken, sondern gegen jede Einschränkung der Gewissens- und Glaubensfreiheit und sehen nunmehr in all jenen Gruppierungen potentielle Verbündete, die für die Gewissens- und Glaubensfreiheit oder allgemein: die Wahrung der Menschenrechte, eintreten – egal, ob sie dies als Katholiken, als Atheisten oder als Andersgläubige tun.

Die nonkonformen Linken wenden sich in Reaktion auf die Erfahrung des Stalinismus, aber auch als Antwort auf das Dialogangebot der progressiven Katholiken, zunehmend vom linken Integrismus ab. Sie stellen nicht mehr die Gesellschaft, sondern den einzelnen Menschen ins Zentrum ihrer Überlegungen. Durch diesen Perspektivenwechsel vom Primat der Politik und dem Fortschritt der Gesellschaft zum Primat des Ethischen und der Freiheit des einzelnen – oder in Anlehnung an die oben zitierte Formulierung von Böckenförde: vom “Recht der Gesellschaft” zum “Recht des Menschen” – und die Unterscheidung zwischen der (historischen) politischen Rolle der katholischen Kirche und dem spirituellen Bedürfnis der Menschen nach Religion verschiebt sich die Trennlinie zwischen Gegnern und potentiellen Verbündeten: die oppositionellen Linken, die sich nunmehr “laikale Linke”Footnote 31 nennen, wenden sich nunmehr gegen jede Verletzung der Menschenrechte, unter die sie nun explizit auch das Recht auf Religion(sfreiheit) fassen und sehen nunmehr in all jenen Gruppierungen potentielle Verbündete, die für die Gewissens- und Glaubensfreiheit oder allgemein: für die Menschenrechte, eintreten – egal, ob sie dies als Atheisten oder als Gläubige tun.

Erst dieser voraussetzungsreiche Prozeß der Revision der Selbst- und Feindbilder ermöglicht die Herausbildung eines solidarischen Akteurs, der politische Gelegenheiten nutzen und milieuübergreifend Anhänger mobilisieren kann. Zudem ist diese Annäherung prägend für die Stoßrichtung der Deutung jener politischen Gelegenheiten. Darauf werde ich im folgenden zurückkommen.

2. Der Ansatz politischer Gelegenheiten muß zudem – wie auch von einigen Vertretern des Ansatzes selbst zugestanden – um eine Analyse der Deutung politischer Gelegenheiten erweitert werdenFootnote 32; denn politische Gelegenheiten sind nicht einfach “gegeben”, sie müssen wahrgenommen und zugeschrieben werden. Da vermutlich nicht alle politischen Veränderungen als politische Gelegenheiten interpretiert werden, könnte man – in Anlehnung an das Argument von Vertretern des Ressourcenmobilisierungsansatzes, daß Unzufriedenheit immer vorhanden ist, nicht jedoch die Organisation dieser Unzufriedenheit – die Hypothese aufstellen, daß es in allen Systemen, die nicht idealtypisch totalitär sind, häufig politische Konfigurationen gibt, die ausgenutzt werden können, aber nicht ausgenutzt werden, weil sie nicht als solche wahrgenommen und gedeutet werden.

Am Beispiel: ex post scheint unstrittig, daß die Schlußakte von Helsinki zusammen mit den wirtschaftlichen Abhängigkeiten der Regierung Giereks eine einmalige politische Gelegenheit geboten hat, und daß die Strategie der offen agierenden Opposition als rationales Mittel zur Ausnutzung dieser Gelegenheit erschienen ist. Eine genauere Rekonstruktion der damaligen Situation zeigt jedoch, daß Mitte der siebziger Jahre keineswegs eindeutig war, wie die politischen Veränderungen zu bewerten sind. Die KSZE scheint zunächst eher die Teilung Europas zu zementieren und Opposition zu erschweren: sie ist anfangs ein sowjetisches Projekt, das vor allem dem Ziel dienen soll, den territorialen und politischen Status quo in den Satellitenstaaten vom Westen anerkennen zu lassenFootnote 33. Das sozialistische Regime Polens hatte selbst zu den Initiatoren gehört und die Einberufung einer europäischen Konferenz zu Sicherheit und Zusammenarbeit 1964 auf einer UN-Generalversammlung vorgeschlagen. Selbst nach der Unterzeichnung der Helsinki-Schlußakte wird die KSZE im Westen günstigstenfalls als Remis angesehen, von den Regierungen der Warschauer-Pakt-Staaten hingegen äußerst positiv bewertet, wenngleich letztere dafür durchaus unterschiedliche Gründe haben: die Sowjetunion erhofft sich engere wirtschaftliche Zusammenarbeit; Rumänien etwa hofft, das Dokument auch gegen eine direkte sowjetische Einmischung benutzen zu können, was mancher Politiker aus Polen ähnlich gesehen haben dürfte.

Wie wir heute wissen, haben die sowjetischen Politiker einerseits die Möglichkeiten der wirtschaftlichen Kooperation überschätzt, das Veränderungspotential der Verankerung der Menschenrechte andererseits unterschätzt.

Der Sprengsatz, den die Sowjetunion ins westliche Lager zu werfen gedacht hatte, explodierte in den eigenen Reihen. Die Schlußakte von Helsinki wurde zum Instrument aller Dissidenten gegen ihre eigenen Regime und gegen den Dauerwiderspruch ihres Umgangs mit den feierlich unterzeichneten internationalen Verträgen.

(Pöllinger Reference Pöllinger1998, S. 3f.)

Dieses Veränderungspotential wurde allerdings auch im Westen nicht korrekt vorhergesehen. Die westeuropäischen Staaten haben – unter entscheidender Mitwirkung des Vatikan – zwar die Verankerung der Menschenrechte im siebten Prinzip der Schlußakte und die Formulierungen des sogenannten “dritten Korbes” über Zusammenarbeit in humanitären und anderen Bereichen durchgesetzt, Beobachter sind jedoch vor allem von den Unterdrückungs- und Manipulationsmöglichkeiten der kommunistischen Regime ausgegangen und haben Risse und Machterhaltungsprobleme übersehen. Die USA wiederum haben in der KSZE anfangs nicht mehr als ein notwendiges Übel zur Bewahrung der détente gesehen. Sie änderten ihre Strategie erst nach der Gründung von Helsinki-Gruppen und anderen oppositionellen Gruppierungen in Ostmitteleuropa und der Sowjetunion und nach den daraufhin erfolgten Appellen an den US-KongreßFootnote 34.

Im folgenden Abschnitt werde ich auf die Netzwerkanalyse eingehen, um zu rekonstruieren, welche sozialen Gruppen die Opposition Mitte der siebziger Jahre organisieren. In Abschnitt sechs werde ich mit Hilfe der Framing-Analyse rekonstruieren, wie die geschilderten politischen Veränderungen von diesen Gruppierungen gedeutet werden.

5. Netzwerk-Analyse

In jüngster Zeit wird verstärkt – oft mit explizitem Bezug auf die Arbeiten Meluccis – auf die Bedeutung von Netzwerken für die Mobilisierung sozialer Bewegungen hingewiesenFootnote 35. Die Netzwerkanalyse lenkt die Aufmerksamkeit auf die tatsächlichen Beziehungen und Austauschprozesse innerhalb der sozialen Bewegung sowie zwischen Bewegungen und anderen GruppierungenFootnote 36. Sie zeigt, daß entgegen einem verbreiteten Stereotyp nicht die am meisten Benachteiligten protestieren, sondern bereits Integrierte:

Political participation is an expression of belonging to a certain social group, and the more secure the affiliation is, the more intense also the participation.

(Melucci Reference Melucci2003, S. 299)

Die Netzwerkanalyse läßt sich insofern mit Rational-Choice-Theorien vereinbaren als vorab existierende Netzwerke erklären, wie es trotz der Kollektivgüterproblematik zu Opposition kommt; denn Netzwerke stellen selektive Anreize für die Teilnahme an oppositionellen Aktivitäten zur Verfügung. Sie kann der Tendenz des Ansatzes politischer Gelegenheitsstrukturen entgegenwirken, soziale Bewegungen mit einer Folge von Protestereignissen zu identifizieren:

A network view of movements places the attention more squarely on the connectivity between events, both in terms of meaning attribution and in terms of chains of actors (connected by events) and events (connected by actors).

(Melucci Reference Melucci2003, S. 305)Footnote 37

Sie kann zudem bestimmte Erfolgsfaktoren von Bewegungen spezifizieren – hier: die Stabilität der Netzwerkstrukturen. Und sie ist im Gegensatz zur umfassenderen Theorie der kollektiven Identität relativ leicht operationalisierbar.

Auch die Netzwerk-Analyse ist in westlichen, demokratischen Systemen entwickelt worden, doch steht zu vermuten, daß die Bedeutung von Netzwerken in autoritären Systemen eher steigt: In autoritären Systemen erfüllen Netzwerke nicht nur die Funktion, materielle und symbolische Ressourcen zu verteilen, sie ermöglichen es damit zugleich, die staatliche Zensur zu umgehen; sie verringern das gefühlte Risiko von Opposition, und sie tragen durch das Teilen von Informationen, Ressourcen und Risiko dazu bei, daß sich eine kollektive Identität entwickelt. Je größer die Netzwerke werden, desto eher können sie überdies die Aufgabe eines öffentlichen Raumes übernehmen, in dem ein Oppositionsprogramm entwickelt und diskutiert werden kannFootnote 38.

Am Beispiel Polens (und im Rückgriff auf die Netzwerkanalyse der Entwicklung der polnischen Opposition in der Nachkriegszeit von Maryjane Osa): die Netzwerkanalyse zeigt, daß die früheren Protestwellen 1956, 1968 und 1970 vor allem daran gescheitert sind, daß die einzelnen Gruppierungen nicht stabil genug vernetzt waren und daher vergleichsweise einfach zerschlagen werden konnten. 1956 zum Beispiel hatte der revisionistische Klub des Krummen Kreises (KKK) die Rolle des Vermittlers übernommen – des einzigen Netzknotenpunktes, der die radikale Jugend, andere linke Reformgruppierungen und die katholischen Organisationen verband. Nahm man den KKK aus dem Netzwerk, verlor das Netzwerk ein Viertel seiner Gesamtverbindungen. Deshalb kann das Regime das Netzwerk durch die 1957 einsetzende strategische Repression des KKK mit vergleichsweise geringem Aufwand entscheidend schwächenFootnote 39. Ähnliches gilt für die Proteste 1968, als die Kommandos den zentralen Knotenpunkt bilden und bereits wenige Tage nach dem Beginn der Proteste verhaftet werden. Bis 1976 gelingt es nicht, ein milieuübergreifendes Netzwerk aufzubauen; einzig den katholischen Gruppierungen gelingt es, dauerhafte Netzwerkstrukturen aufzubauen. Diese “katholische Pyramide” wird zum “festen Inventar” der Oppositionsdomäne, das Raum zur Artikulation eines Programms und Diskussion etwaiger politischer Gelegenheiten bereitstellt.

Mitte der siebziger Jahre bildet sich aus zuvor bereits existierenden Beziehungsnetzen erstmals ein stabiles Netzwerk. Es sind drei Kategorien vertreten, die es vorher nicht gab. 1975 wird die liberale RWD und die nationale PPN gegründet. 1976 folgen die zivilgesellschaftlichen Gruppierungen des KOR und der ROPCiO – an dreien dieser Gruppierungen sind Mitglieder aus den Gruppierungen der katholischen Pyramide beteiligt. Im März 1977 ist das Netzwerk bereits stabiler als während der Protestzyklen 1956 und 1968. Es gibt nicht nur einen, sondern mehrere Vermittler: den Klub der katholischen Intelligenz (KIK), das KOR und die ROPCiO. Da diese drei zudem unterschiedliche Milieus repräsentieren, ist das Netzwerk weniger anfällig für Repression als die früheren. Zwei der drei Vermittler sind zudem Teil von mehreren Cliquenstrukturen, was die Stabilität des Netzwerks weiter vergrößertFootnote 40. Obwohl jetzt mehrere Gruppierungen in den Blick kommen, die bislang nicht analysiert wurden, ist wiederum das KOR der wichtigste Knotenpunkt; denn KOR mobilisiert Menschen aus unterschiedlichen Beziehungsnetzwerken, die wiederum Kontakte und Ressourcen mitbringen: die Kommandos um Adam Michnik und Jacek Kuroń schließen sich mit älteren Oppositionellen, die schon im KKK aktiv waren, mit jüngeren Oppositionellen der national orientierten Opposition und mit Katholiken aus den KIKs zusammen.

Aus diesen Ergebnissen folgert Maryjane Osa, daß die Bedeutung des KOR zugunsten der katholischen Organisationen relativiert werden müsse:

Analysis of opposition networks has shown that once the mainstream Catholic organizations were reestablished as a result of anti-Stalinist protest in 1956-57, they became permanent fixtures of the opposition domain. This organizational clique was endowed with the kinds of resources needed for social mobilization: independent information channels and cultural influence. Thus, KOR did not appear suddenly in a blank social space that was filled with newly cloned civic organizations after its appearance in 1976. What was reconstituted was not civil society but rather the secular left opposition. The secular Left’s rapprochement with mainstream Catholicism created a link between the two subgroups that fueled the rapid growth of the opposition domain.

(Osa Reference Osa2003, S. 155)

Demnach wird die politische Opposition in dem Moment zu einem stabilen Netzwerk, in dem die Linke die zivilgesellschaftliche Lernerfahrung der katholischen Gruppierungen nachholt und sich an den Katholizismus annähert und so dauerhafte Austauschprozesse zwischen verschiedenen, zuvor isolierten Gruppierungen ermöglicht.

Die Netzwerkanalyse hat die Aufmerksamkeit darauf gelenkt, welche Akteure die Opposition organisieren und aus welchen Netzwerken die Aktivisten mobilisiert werden. Mit diesem Ansatz sind jedoch die folgenden zwei Probleme verbunden. Erstens verschiebt der Ansatz die Frage nach den entscheidenden Faktoren zur Entstehung einer sozialen Bewegung auf die Frage nach den entscheidenden Faktoren zur Entstehung stabiler und komplexer Oppositionsnetzwerke, insbesondere wenn diese, wie im Fall Polens, die Grenzen von sich zuvor antagonistisch gegenüberstehenden Milieus überschreiten. Zweitens geht der Versuch, den Dualismus von Handlung und Struktur durch die Betrachtung von Personen und Gruppierungen zu überwinden, von der (in diesem Fall problematischen) Einheit des Akteurs beziehungsweise der Gruppierung aus.

Am Beispiel: Osas Schlußfolgerung, das KOR habe nicht die Zivilgesellschaft konstituiert, sondern linke Opposition “wiederhergestellt”, ist entweder trivial oder falsch: sie ist trivial, wenn sie besagt, daß es seit 1956 zivilgesellschaftliche Gruppierungen avant la lettre gegeben hat. Sie ist meines Erachtens falsch, wenn sie überdies besagen soll, daß das (anti-)politische Programm der zivilgesellschaftlichen Opposition nur als Programm für die Linke selbst relevant gewesen sei – und zwar aus zwei Gründen: zum einen, weil die Existenz zivilgesellschaftlicher Gruppierungen nicht gleichbedeutend ist mit der Artikulation einer politischen Strategie; zum anderen, weil sie zwar dem KOR Veränderung, der katholischen Pyramide jedoch Kontinuität zuschreibt (und zudem die Unterschiede zwischen katholischer Pyramide und etabliertem Katholizismus vernachlässigt). Dadurch schreibt sie dem KOR eine einseitige Lernerfahrung zu, obgleich es sich um einen Prozeß handelt, in dessen Verlauf sich beide Gruppierungen verändern: die laizistische Linke verändert ihr Bild des (erneuerten) Katholizismus, die französischen Katholiken verändern ihr Bild der (laikalen) LinkenFootnote 41.

Im nächsten Abschnitt gehe ich auf den Ansatz des Framing ein, mit dessen Hilfe die Entwicklung des schon mehrfach erwähnten Programms der Opposition rekonstruiert werden kann, welches milieuübergreifende Opposition ermöglicht und die politischen Veränderungen der siebziger Jahre als Gelegenheiten zu offen agierender Opposition zu deuten erlaubt.

6. Framing

David Snow und Robert Benford haben in den achtziger Jahren einen Ansatz entwickelt, welcher der im vorherigen Abschnitt kritisierten Vernachlässigung der Deutung begegnen will und sich explizit als Ergänzung anderer Ansätze versteht. Sie greifen auf die Einsicht von Mead zurück, daß Ideen, Meinungen, Sinn nicht einfach “gegeben” sind, sondern in Interaktionen mit anderen Individuen und Objekten überhaupt erst “produziert” werden. Soziale Bewegungen sind demnach nicht einfach Ausdruck von strukturellen Spannungen oder Ergebnis der Organisationsleistungen rationaler Akteure, die auf Veränderungen der exogen gegebenen politischen Gelegenheitsstruktur reagierenFootnote 42, sie werden vielmehr selbst zu Bedeutungsvermittlern (signifying agents), die Ideen und Deutungen produzieren, strukturieren und verändern und damit strukturelle Spannungen erst bewußt machen und politische Gelegenheiten erschließen. Diese Tätigkeit nennen Snow und Benford framing. Sie beziehen sich dabei auf den Begriff der frames von Erving Goffman (1974), der darunter Deutungsmuster versteht, die es Individuen ermöglichen, Ereignisse oder genauer: Widerfahrnisse (occurrences) in ihrem Lebensraum und in der Welt wahrzunehmen, zu identifizieren und zu benennen sowie das künftige Handeln anzuleiten.

Der Großteil der Framing-Analyse beschäftigt sich mit der Frage, wie kollektive Deutungsmuster von Bewegungsunternehmern strategisch genutzt werden können, um Akteure zu mobilisieren:

[I]n ways that are intended to mobilize potential adherents and constituents, to garner bystander support, and to demobilize antagonists.

(Snow und Benford Reference Snow and Benford1988, S. 198)

Die Bewegungsunternehmer verbinden diese Deutungsmuster mit existierenden Deutungsmustern von Individuen, anderen Bewegungen oder anderen sozialen Gruppierungen (frame bridging), sie schmücken diese Deutungsmuster aus (frame amplification) oder erweitern sie (frame extension). Sie analysieren, inwieweit eine soziale Bewegung die drei Hauptaufgaben des Framing erfüllt:

(1) a diagnosis of some event or aspect of social life as problematic and in need of alteration; (2) a proposed solution to the diagnosed problem that specifies what needs to be done; and (3) a call to arms or rationale for engaging in ameliorative or corrective action.

(Snow und Benford Reference Snow and Benford1988, S. 199)

Diese Beschränkung der Framing-Analyse auf strategische Prozesse ist eine häufig anzutreffende, aber meines Erachtens keine notwendige. Snow und Benford haben in ihren programmatischen Überlegungen den strategischen Prozessen zwei weitere Prozesse gegenübergestellt, die sich mit den strategischen überlappen, aber nicht mit ihnen identisch sind: 1. Diskursive Prozesse, in denen Ereignisse und Erfahrungen in interaktiven Prozessen artikuliert und miteinander verbunden werden (frame articulation) und bestimmte Ereignisse oder Ideen gegenüber anderen hervorgehoben werden (frame amplification). 2. Anfechtungsprozesse, in denen Deutungsmuster von Mitgliedern der Bewegung angefochten werden (frame disputes), von deren Gegnern bestritten werden (counterframing) oder in Widerspruch mit Ereignissen geraten (dialectic between frame and event). Diskursive Prozesse lassen sich – auch wenn man der Habermasschen Konzeption einer wesentlich kommunikativ strukturierten Lebenswelt nicht folgt, sondern von der Verschränkung kommunikativer und strategisch motivierter Prozesse ausgeht – jedenfalls nicht auf zweckrationales Handeln reduzieren. Sie strukturieren vielmehr umgekehrt unsere Wahrnehmung der Situation und beeinflußen die Konkretisierung von Präferenzen. Gleiches gilt vermutlich für bestimmte, wenn auch nicht für alle Anfechtungsprozesse innerhalb der Bewegung (frame disputes).

Am Beispiel Polens: die Framing-Analyse lenkt die Aufmerksamkeit auf die Produktion jener Deutungsmuster, die der Ansatz der politischen Gelegenheiten nicht berücksichtigt. Am Beispiel Polens: Anfang der siebziger Jahre artikulieren Vertreter der nonkonformen Linken jene Deutungsmuster, welche die Zuschreibung der politischen Gelegenheiten erst ermöglichen (1). Durch diese politischen Gelegenheiten wiederum begünstigt und beeinflußt, entsteht Mitte der siebziger Jahre der collective action frame des KOR (2).

1. Bei näherer Betrachtung zeigt sich schnell, wie wichtig der Prozess der Deutung von Gelegenheiten gewesen ist: Anfang der siebziger Jahre schien es, als habe der Konsumsozialismus von Gierek jede Protestneigung erstickt. Vor allem jedoch hatte sich eine Deutung der Erfahrungen der Proteste von 1968 durchgesetzt, derzufolge in der gegebenen geopolitischen Situation jede Form der Opposition zum Scheitern verurteilt sei. Leszek Kołakowski hat diese Deutung als “These der Hoffnungslosigkeit” bezeichnet. Sein zentrales Argument lautet, daß der Despotismus, der während der Niederschlagung der Studentenproteste so deutlich hervorgetreten ist, keine zufällige, sondern eine konstitutive Eigenschaft des kommunistischen Systems sei:

These arguments hold that the main function of this system is to uphold the monopolistic and uncontrolled power of the ruling apparatus; all institutional or actual changes which have occurred, or which one could imagine occuring, will not undermine this basic principle, to which are subordinated all political and economic actions of the rulers. For the monopoly of despotic power cannot be partially abolished (this is almost a tautology since by definition a monopoly cannot be partial').

(Kołakowski Reference Kołakowski1971, S. 37)

Das Regime kann diesen Despotismus, der sich nicht nur auf die politische Kontrolle, sondern auch auf die Kontrolle der Produktionsmittel, der Investitionen und der Arbeit bezieht, nicht aufgeben, obwohl etwa die Informationskontrolle durchaus auch negative Folgen für das System selbst hatFootnote 43. Um ihn jedoch gegenüber der eigenen Bevölkerung aufrechterhalten zu können, braucht das System Feinde. In Ermangelung äußerer Feinde “erfindet” es einen internen Zustand der kontinuierlichen Bedrohung:

The renewal of acts of brutal aggression against successive groups of the population, selected by the most varied criteria, are not at all the consequences of folly, but an inherent function of the mechanism of power, which cannot do without mortal enemies.

(Kołakowski Reference Kołakowski1971, S. 41)

Dieser Mechanismus verstärkt sich, einmal angestoßen, von selbst. Die Gewalt gegen erfundene Feinde – wie etwa die “trotzkistische Verschwörung”, die die Studenten benutzt haben, um selbst wieder an die Macht zu kommenFootnote 44 – resultiert in Feindseligkeit und Opposition der Unterdrückten. Um der Gefahr entgegenzuwirken, daß sich die so Unterdrückten organisieren, muß der Apparat schließlich die Desintegration der Gesellschaft fördern und alle Formen des öffentlichen und sozialen Lebens, die nicht vom Staat verordnet wurden, zerstören.

Unter diesen Bedingungen scheint jedes Programm für politische Opposition zum Scheitern verurteiltFootnote 45: das Programm der Revisionisten, das darauf zielte, das System von innen zu reformieren, ist obsolet geworden; denn die Verantwortung für die kritisierten Verhältnisse tragen nicht mehr die Herrschenden, die man immerhin auswechseln oder beeinflußen könnte, die Schuld trägt die Funktionslogik des Systems, das wiederum aufgrund der Vormachtstellung der Sowjetunion auf absehbare Zeit nicht abgeschafft werden kann – selbst eine gewaltsame Revolution könnte nur dann erfolgreich sein, wenn sie den ganzen kommunistischen Einflußbereich zeitgleich erfassen würde. In der Begrifflichkeit des Framing ausgedrückt: aus dem skizzierten diagnostischen Rahmen der “These der Hoffnungslosigkeit” läßt sich keine realistische Strategie (kein wirkungsvolles prognostisches Deutungsmuster) und somit auch kein Aufruf zu Protest (kein motivationales Deutungsmuster) ableiten, die Revision des diagnostischen Deutungsmusters wird daher zur notwendigen Bedingung der Möglichkeit von OppositionFootnote 46.

1971 – vier Jahre vor der KSZE – entwickelt Kołakowski eine “These der Hoffnung”Footnote 47. In der Begrifflichkeit der Framing-Analyse: Er artikuliert ein neues diagnostisches Deutungsmuster (frame (re-)artikulation), aus dem sich sowohl ein prognostisches wie auch ein motivationales Deutungsmuster für Widerstand ableiten lassen. Ausgangspunkt ist Kołakowskis Auseinandersetzung mit dem Marxismus – er geht nicht mehr mit Marx von der Unreformierbarkeit des Systems aus, sondern postuliert die Veränderbarkeit sozialer Strukturen. Ähnlich wie die Marxsche Analyse der Unreformierbarkeit des Kapitalismus dazu beigetragen hat, den Kapitalismus zu verändern, will Kolakowski durch eine von Marx angeleitete Analyse der Unreformierbarkeit des Sozialismus zu dessen Veränderung beitragen. Der Sozialismus ist ebenso wie der Kapitalismus durch systemimmanente Widersprüche gekennzeichnet, die zum Motor von Veränderungen werden (können).

Der erste dieser Widersprüche beruht auf der Unvereinbarkeit zweier gleich gewichteter Ziele: Einheit und Sicherheit. Jede (institutionalisierte) Fragmentierung der Einheit des Apparats in konfligierende Lager birgt die Gefahr, daß das gesamte System auseinanderbricht. Da Cliquenbildung und Kabale jedoch ein unvermeidliches Produkt des sozialen Lebens sind, ließe sich die Einheit des Apparats nur in der absoluten Tyrannei eines Autokraten verwirklichen. Doch die stalinistische Tyrannei, die diesem Idealtypus am ehesten entspricht, vermochte dem Apparat wiederum keine Sicherheit zu gewährleisten: jeder konnte jederzeit zum Opfer werden. Daher mußte es notwendigerweise zur partiellen Destalinisierung und damit zu einem gewissen Maß an Lockerung, sprich: Reform kommen:

[A]s long as the apparatus is stable and immunized against political shocks it can, in general, disregard popular dissatisfaction. But once it has lost this stability and no longer fears the leader or its police so much, it pays for this by continual fear of society, [...] and even of small groups of intellectuals.

(Kołakowski Reference Kołakowski1971, S. 45)

Der zweite Widerspruch beruht darauf, daß das System die stalinistisch-leninistische Ideologie nicht abschütteln kann, obwohl selbst die Herrschenden aufgehört haben, daran zu glauben; denn im Gegensatz zu demokratischen Systemen, die sich durch den Mechanismus der Entscheidungsfindung legitimieren und sich daher darauf berufen können, einen immer wieder neu ausgehandelten sozialen Konsens zu repräsentieren, bleibt despotischen Systemen nur, das einmal festgelegte ideologische System zu verteidigen. Um dennoch ein Mindestmaß an Legitimität zu garantieren, greifen die Regierungen auf eine kaum artikulierte, “esoterische Propaganda” zurück: in der Sowjetunion ist dies die Idee, eine Weltmacht zu sein; in den Satellitenstaaten ist es die Angst vor den sowjetischen Panzern. Beide Varianten führen jedoch in weitere Widersprüche – zum einen widerspricht die esoterische Propaganda der offiziellen, zum anderen intensiviert sie nationale Feindseligkeiten, die in Krisenzeiten gefährlich werden können. Das wiederum hat dramatische Konsequenzen für das scheinbar so stabile System:

A system which nobody serves disinterestedly is doomed [...]. Despotic socialism is dying the slow death described by Hegel; it seems untouched but it is sinking down into an inert boredom and numbness relieved only by everyone's fear of everyone else, a fear discharged in aggression.

(Kołakowski Reference Kołakowski1971, S. 50)

Kołakowski behauptet somit, daß das Regime trotz seines Machtmonopols und trotz des äußeren Anscheins der Stabilität angreifbar ist, da es die Einheit des Apparats nicht gewährleisten und die Abhängigkeit von Legitimation nicht überwinden kann. Aus diesem diagnostischen Deutungsmuster entwickelt Kołakowski im nächsten Schritt ein neues prognostisches Deutungsmuster: die Existenz der Widersprüche allein führt nicht zu Veränderung; denn wenn das System sich selbst überlassen wird, wird es nach solchen Lösungen der obengenannten Widersprüche streben, welche die Unterdrückung verstärken: “The growth of police methods of rule is the result not of increased resistance, but, on the contrary, of its absence” (Kołakowski Reference Kołakowski1971, S. 52). Daran zeigt sich, daß der diagnostische Frame der “These der Hoffnungslosigkeit” nicht nur falsch, sondern sogar schädlich ist; denn je länger die Menschen passiv sind, desto mehr Zugeständnisse werden von ihnen verlangt: “The natural law of despotism is moral inflation” (Kołakowski Reference Kołakowski1971, S. 52). Die einzige Möglichkeit, um der moralischen Inflation entgegenzuwirken und den Despotismus einzugrenzen, ist jedoch gerade nicht Resignation, dem neuen prognostischen Deutungsmuster zufolge besteht die Lösung im Gegenteil darin, kontinuierlich sozialen Druck auszuüben und so eine für die Regierten positivere Auflösung der Widersprüche zu erzwingen:

What is important is that instruments of pressure are available and are at nearly everybody's disposal. They consist in drawing obvious conclusions from the most simple precepts – those which forbid silence in the face of knavery, servile subservience to those in authority, accepting alms with humility or other similar attitudes.

(Kołakowski Reference Kołakowski1971, S. 52)

Im Gegensatz zur alten Strategie des Revisionismus, der auf die Bereitschaft des Regimes angewiesen war, Reformen durchzuführen, ist diese neue Strategie nur von der Bereitschaft der Gesellschaft abhängig, sich zu widersetzenFootnote 48. Dieses prognostische Deutungsmuster verbindet Kołakowski in einem zwei Jahre später erschienenen Aufsatz mit älteren Konzeptionen des Widerstands (frame bridging): der sozialistische Despotismus bedroht nicht nur die Würde des einzelnen, sondern die Existenz der polnischen wie auch der russischen oder tschechoslowakischen Nation; denn die Sowjetisierung (sowietyzacja) der Sprache hat dazu geführt, daß die Sprache in rituellen Phrasen erstarrt, in denen “nichts wirklich sein kann”, in denen eine “Petersilie Symphonie” genannt wird und eine “Kakerlake Nachtigall”Footnote 49. Sprache und Nation können jedoch nur dann überdauern, wenn der sozialistischen Kunstsprache spontane Kristallisationen der eigenen Kultur entgegengesetzt werden können. Die in Kołakowskis erstem Artikel bereits angedachte Lösung, kontinuierlichen sozialen Druck auszuüben, nennt Kołakowski nun ein “Leben in Würde” (żyć w godności):

Wer sich nicht belügt, weiß ganz genau, was die Würde des einzelnen rettet, weil er oft kleinen und größeren Proben ausgesetzt ist. Für die Nation bedeutet “Leben in Würde”, kann es ernsthaft nur bedeuten, daß die Nation nur aufgrund ihrer eigenen Ohnmacht sterben kann, sie darf sich nicht – unter dem Vorwand, daß sie klein, geschwächt, von einer außenstehenden Macht unterdrückt ist – lossagen von ihrem Willen, für sich selbst ein Subjekt zu sein.

(Kołakowski Reference Kołakowski1973, S. 9; Übersetzung H.D.)

Dieses neue prognostische Deutungsmuster verbindet die Verteidigung der individuellen Würde (und die Reduzierung der Repression) mit der Verteidigung der nationalen Würde. Es unterscheidet sich von dem etablierten prognostischen Deutungsmuster der traditionalistischen Katholiken, insofern es tätigen Widerstand an die Stelle der Alternative zwischen innerer Emigration und (vergeblichem) heldenhaftem Aufstand setzt. Es bietet zugleich Anschlußmöglichkeiten für die traditionalistischen Katholiken, da es dazu aufruft, alle Arten authentischer Kultur gleichermaßen zu fördern und sich auf die beiden Begriffe Demokratie und Unabhängigkeit zu einigen:

[N]icht deshalb, weil diese verschiedenen und entzweienden Traditionen ein “gemeinsames Minimum” hätten, sondern nur deshalb, weil alles wichtig ist, was den Willen, die nationale Würde aufrechtzuerhalten gegen den Aussatz der Hoffnungslosigkeit, der Resignation, der Gleichgültigkeit, der Bejahung stärkt.

(Kołakowski Reference Kołakowski1973, S. 8; Übersetzung H.D.)

Kołakowskis “Thesen über Hoffnung und Hoffnungslosigkeit” transformieren jenes Deutungsmuster, das den Blick auf die Stärke des Systems beziehungsweise die Unbesiegbarkeit der Sowjetunion lenkt und schon die Suche nach politischen Gelegenheiten obsolet erscheinen läßt, in ein Deutungsmuster, das den Blick auf Widersprüche und Schwächen des Systems lenkt und die Deutung politischer Gelegenheiten ermöglicht. Sie sind jedoch andererseits noch keine hinreichende Bedingung für die Entstehung der politischen Opposition; denn die “Thesen der Hoffnung” mögen zwar bei vielen Zustimmung hervorgerufen haben (consensus mobilization), liefern jedoch keine Anleitung zu politischem Handeln (action mobilization), sondern beschränken sich auf einen recht allgemein gehaltenen Aufruf zu individuellem Widerstand.

2. Kołakowskis “These der Hoffnung” wird in einem 1974 in der Exilzeitschrift Kultura anonym erschienenen Artikel Polityczna opozycja w Polsce (Politische Opposition in Polen) von Jacek Kuroń aufgegriffen, der das System allerdings nicht (mehr) als despotisches, sondern als totalitäres bezeichnet – eine Kennzeichnung, die sich ab 1974/75 durchsetztFootnote 50. Kuroń verändert das prognostische Deutungsmuster in drei entscheidenden Hinsichten: erstens postuliert er, daß unter den Bedingungen des “totalitären” Systems der von Kołakowski propagierte Widerstand nicht nur ein “Präludium”Footnote 51 für eine eigentlich politische Opposition darstellt, sondern selbst zu politischer Opposition werden kann:

Den oben charakterisierten, verbreiteten Widerstand gegen den Totalitarismus kann man nicht als politische Opposition bezeichnen. [...] Aber politische Opposition bildet sich überall dort, wo Menschen sich des politischen Sinns ihres Handelns bewußt werden“;

(Kuroń Reference Kuroń1974, S. 6; Übersetzung H.D.)

denn unter den geschilderten Bedingungen eines “totalitären” Systems, das nach der Kontrolle aller Lebensbereiche strebt, wird jede öffentliche authentische Äußerung – sei es die Gründung eines Diskussionsklubs, einer Rockband, usw. –, deshalb zu politischer Opposition, weil sie ebenjenen politischen Anspruch des Regimes bestreitet: das Gesellschaftliche wird das Politische.

Zweitens wendet sich Kuroń explizit gegen Kołakowskis Postulat, man müsse alle authentischen Äußerungen gleichermaßen fördern. Zur politischen Opposition will er nur diejenigen zählen, die sich explizit “gegen Xenophobie, Nationalismus, Willkür der Herrschenden, Verschärfung der Repression und Verletzungen der persönlichen Freiheiten, et cetera wendenFootnote 52. Denn die Beschwörung der Glanzzeiten polnischer Geschichte ohne gleichzeitige Verteidigung von Toleranz und Liberalismus fördere nur Nationalismus und Xenophobie.

Drittens ruft Kuroń dazu auf, sich zu vernetzen und im Handeln nach der später für das KOR so charakteristischen Einheit von Denken und Handeln zu streben:

Willst Du kämpfen – dann lies, lies viel! Diskutiere, diskutiere viel, schreibe, tritt in Versammlungen auf und suche, suche Menschen, die Dir ähnlich sind. Fordere von Verwandten und Bekannten Bücher aus dem Ausland und leih sie Dir aus. Und vor allem kauf Dir einen Strafgesetzbuch und übertritt es nie. Denn wir – die Opposition – kämpfen für die fundamentalen Menschenrechte und deswegen auch für einheitliche, gerechte Gesetze für alle. “Sie” sind gesetzeswidrig – sollen auch nur sie das Recht mit Füßen treten!

(Kuroń Reference Kuroń1974, S. 21; Übersetzung H.D.)

Der neue Frame ermöglicht es, in bestimmten politischen Veränderungen politische Gelegenheiten zu erkennen: die Unterzeichnung der KSZE-Schlußakte läßt sich als neue Verpflichtung interpretieren, an deren Einhaltung das Regime die Bewertung seiner Legitimität im Westen knüpft und die es ebenso wie die sozialistische Ideologie nicht loszuwerden vermag, obwohl niemand an deren Inhalt glaubt. Die Teilerfolge der Proteste gegen die Verfassungsänderungen zeigen, daß das Regime auf sozialen Druck reagiert. Die Preiserhöhungen, vor allem aber deren schnelle Rücknahme nach den Arbeiterprotesten bestätigen die Annahme von der inhärenten Schwäche des Systems. Die Repressionen gegen die Arbeiter werden als Gelegenheit gesehen, durch konkrete Hilfe die ideologischen Grenzen zwischen Arbeitern und Intelligenz zu überbrücken. Die konkrete Hilfe zeigt, daß diese Konzeption von Opposition unmittelbar zur Verbesserung der Situation beitragen kann (experiential commensurability) und verdeutlicht die Konsistenz des neuen Frames (consistency). Als die Verfahren gegen die wegen Unruhestiftung angeklagten Arbeiter fallen gelassen werden, erhöht dieser Erfolg wiederum die Glaubwürdigkeit des KOR (empirical credibility).

Wenige Wochen nach der Gründung des KOR und in Reaktion auf die politischen Gelegenheiten, die sich durch den Abschluß der KSZE in Helsinki und die seit Mitte der siebziger Jahre anbahnende Wirtschaftskrise ergeben, führt Adam Michnik die bisherigen Überlegungen zu einem kohärenten Programm kollektiven Handelns zusammen. Er formuliert die bei Kołakowski und Kuroń bereits implizite Adressierung “der Gesellschaft” als Lernerfahrung aus dem Scheitern früherer oppositioneller StrategienFootnote 53:

Anstelle von Ratschlägen an die Regierung, wie sie sich selbst reformieren kann, sollte das Programm Hinweise für die Gesellschaft enthalten, wie sie vorgehen soll. Was die Regierung betrifft, so kann ihr kein besserer Rat zuteil werden als jener, der durch den sozialen Druck von unten erteilt wird.

(Michnik [1976] Reference Michnik and Irsch1985, S. 50)

Michnik schließt hier an die Überlegung von Kuroń an, daß jeder Widerstand bereits politische Opposition ist:

Die Pflicht der Opposition ist es, kontinuierlich und systematisch am öffentlichen Leben teilzunehmen, politische Tatsachen durch kollektives Handeln zu schaffen.

(Michnik [1976] Reference Michnik and Irsch1985, S. 54)

Dadurch verändert sich die Wahrnehmung der Partei. In der Partei kann es zwar keine Verbündeten geben, die Pragmatiker in der Partei können aber (langfristig) zu Partnern für einen politischen Kompromiß einer anderen Auflösung der Widersprüche werden. Zudem rückt eine neue soziale Gruppe in den Blick:

Das wesentliche Element in der Konzeption des “neuen Evolutionismus” ist die Überzeugung von der Stärke der Arbeiter; denn vor dieser Gruppe hat die Regierung Angst.

(Michnik [1976] Reference Michnik and Irsch1985, S. 50)Footnote 54

Vor diesem Hintergrund sehen die Aktivisten des späteren KOR in den Arbeiterprotesten eine wichtige politische Gelegenheit, um ihr Programm voranzutreiben. Die Aktivisten solidarisieren sich mit den Arbeiterforderungen aus den Streiks von 1976:

Es ist notwendig, sich zu verständigen und Forderungen vorzuschlagen, aber – unterstreichen wir das – wichtiger als Forderungen ist Solidarität.

(Kuroń [1976] Reference Kuroń1978, S. 30f.; Übersetzung H.D.)

Sie stellen deren Protestformen jedoch wiederum das neue prognostische Deutungsmuster der Selbstorganisation (Samoorganizacja) gegenüber: “Statt Komitees niederzubrennen, gründet Eure eigenen!”, sie unterstützen die Gründung der Freien Gewerkschaften (Wolny Związki Zawodowy) und schließen an die Diskussion über Möglichkeiten der Selbstverwaltung (Samorząd) der Reformbewegung von 1956 an.

Aus diesem Deutungsmuster des KOR ergeben sich drei “Arbeitsbereiche” für das im Anschluß an die Streiks gegründete KOR. Die Aktivisten stellen der Kontrolle des Regimes über Information und dessen Neusprech authentische Äußerungen entgegen, indem sie unabhängige Zeitschriften im sogenannten Zweiten Umlauf (Drugi Obieg) publizieren, den Untergrundverlag NOWa gründen und die Gesellschaft für Wissenschaftliche Kurse (Towarzystwo Kursów Naukowych) – die sogenannte Fliegende Universität (Uniwersytet Latający) – mit initiieren. Sie wollen dem Monopol des Regimes als Distributor materieller Güter und alleinigem Arbeitgeber solidarische Hilfe mit Entlassenen und wegen politischer Haltungen Verfolgten entgegensetzen, indem sie Geld sammeln, juristischen Beistand organisieren et cetera. Und sie wollen der Kontrolle des öffentlichen Lebens die Förderung pluraler unabhängiger Initiativen entgegensetzen, die nach außen solidarisch auftreten sollen und die das KOR – seit 1977 umbenannt in das Komitee zur Selbstverteidigung der Gesellschaft ‘KOR’ (Komitet Samoobrony Społeczeństwa “KSS”, KSS “KOR”) – koordinieren und nach außen vertreten möchte.

Mit Hilfe der Framing-Analyse lassen sich die Deutungsmuster rekonstruieren, die es ermöglichen, in den politischen Veränderungen Mitte der siebziger Jahre politische Gelegenheiten zu erkennen. Das Erklärungspotential der Framing-Analyse ist jedoch begrenzt; denn sie berücksichtigt nur (kognitive) Deutungsmuster, vernachlässigt jedoch Identitäten, Werte, Erfahrungen und Emotionen. Sie tendiert zudem dazu, diese Deutungsmuster zu reifizieren – so zu tun, als seien sie keine sozial konstruierten Ideen, sondern “Dinge” und als würden nicht Menschen mit ihren Erfahrungen und Emotionen protestieren, sondern Bewegungen (“das KOR”). Sie kann daher zwar die Plausibilität von Deutungsmustern aufzeigen, das Mobilisierungspotential dieser Deutungsmuster jedoch nicht befriedigend erklären.

Am Beispiel Polens: Entsprechend der Erfolgsfaktoren, welche Vertreter der Framing-Analyse formuliert haben, müßte das KOR enorm erfolgreich seinFootnote 55: das kollektive Deutungsmuster des KOR stimmt erstens mit persönlichen, alltäglichen Erfahrungen überein (experiential commensurability); denn die Erfahrung, zu kleineren und größeren Zugeständnissen an die eigene Ruhe gezwungen zu sein, die das Deutungsmuster des KOR wiederum als Bedrohung der eigenen Würde formuliert, ist weit verbreitet und wird unter anderem in literarischen Zeugnissen und in den Filmen des Kinos der moralischen Unruhe (kino moralnego niespokoju) aufgegriffen. Durch den Bezug auf die individuelle Würde und die Verteidigung der Nation werden zweitens Werte artikuliert, die für die potentiellen Unterstützer von zentraler Bedeutung sind (centrality). Das Deutungsmuster schließt damit drittens an die älteren kulturell tradierten Narrationen der Verteidigung der polnischen Kultur gegenüber der Fremdherrschaft an (narrative fidelity). Programm des KOR und Praktiken der Aktivisten stimmen viertens sichtbar überein (consistency): die Aktivisten postulieren nicht nur, daß es gelte, authentisch zu leben, offene Organisationen zu gründen und mit den anderen Gruppierungen solidarisch zu handeln, sie geben auf dem veröffentlichten Gründungsdokument des KOR ihre eigenen Namen an, sie nehmen Hausdurchsuchungen und Verhaftungen in Kauf, sie untermauern ihr Plädoyer für Solidarität durch konkrete Hilfe für die inhaftierten Arbeiter und ihre Familien.

Legt man diese vier Erfolgsfaktoren zugrunde, so scheint es erklärungsbedürftig, warum die Opposition des KOR (wie auch der anderen politischen Gruppierungen) auf vergleichsweise kleine, elitäre Kreise beschränkt bleibt. Einzig das fünfte Kriterium der sozialen Stellung der deutenden Akteure könnte das Mobilisierungspotential der Bewegung schmälern; denn viele der jüngeren Aktivisten sind in Polen vor allem durch die Verleumdungskampagnen der offiziellen Presse bekannt, in denen sie als von Stalinisten und Radio Free Europe verführte “Bananenjugend” verunglimpft werden. Andererseits sind die meisten der Gründungsmitglieder ältere, weithin bekannte und respektierte Persönlichkeiten, die ihre Glaubwürdigkeit als Oppositionelle mehrfach demonstriert habenFootnote 56.

Um die Frage nach dem Mobilisierungspotential befriedigend zu klären, müssen die Erfahrungen und Emotionen der potentiellen Aktivisten und Aktivistinnen genauer rekonstruiert werden; denn obwohl die Mehrheit der Polen in gewissem Sinne als regimekritisch bezeichnet werden kann und trotz der relativen Toleranz des Regimes unter Gierek muß eine oppositionelle Gruppierung nicht nur ein plausibles Deutungsmuster entwickeln, sondern auch die konkreten Nachteile der Oppositionsarbeit kompensieren und überdies ein Mittel finden, um dem Konformitätsdruck der Gesellschaft zu widerstehen; denn auch und gerade “totalitäre” Systeme generieren allein durch ihre Existenz ein gewisses Maß an Konformismus. Dieser Konformismus ist weder das Ergebnis direkten äußeren Zwangs noch individueller strategischer Abwägungsprozesse, sondern resultiert aus der unhinterfragten Natürlichkeit, welche die Routinen des Alltags für uns selbst dann haben, wenn wir ein System ablehnen:

Dabei treten bestimmte Aspekte der sozialen Anpassung (des Konformismus nämlich) auch dann in größerem Ausmaß auf, wenn das System als lästig wahrgenommen wird, wenn sich Kritik oder sogar sozialer Aufruhr zeigt, und sie erzeugen wiederum Konformismus und im Effekt einen Zustand innerer Versklavung.

(Świda-Ziemba Reference Świda-Ziemba1998, S. 305; Übersetzung H.D.)

Das gilt auch für die oben geschilderten, alltäglichen Erfahrungen der kleineren und größeren Zugeständnisse. Seit der Abkehr der Intellektuellen vom Marxismus 1968 wird immer offensichtlicher, daß kaum jemand mehr an die propagierten Werte glaubt. Dem authentischen Handeln der privaten Sphäre wird ein Scheinhandeln in der öffentlichen Sphäre gegenübergestellt – ein Handeln, das offiziell einem bestimmten, sozial akzeptierten Ziel dient, um dessen Unangemessenheit aber sowohl Zuschauer als auch die Handelnden selbst wissenFootnote 57. Um dennoch in der abgelehnten Ordnung funktionieren zu können, wird die alte Trennung von “uns”, der Gesellschaft (als einer Gemeinschaft der Menschen) und “denen”, dem Staat (als die Welt der Institutionen) zu einer Trennung im eigenen Bewußtsein. Sie bezeichnet “dieselben Beziehungen, einmal aus der Perspektive der Teilnehmer – von innen her –, das andere Mal aus der Perspektive der Klienten – von außen. Die Person wurde so der von ihr ausgefüllten Rolle entgegengestellt”Footnote 58. Als Reaktion darauf beginnen die Menschen, ihr privates und ihr öffentliches Ich im eigenen Bewußtsein zu trennen – eine Strategie, die Andrzej Wajda als soziale Schizophrenie bezeichnetFootnote 59.

Indem die Oppositionellen die Natürlichkeit der Dinge in Frage stellen und zur Überwindung der als unabänderlich empfundenen sozialen Schizophrenie aufrufen, verursachen sie bei potentiellen Anhängern eine Art “Garfinkel-Schock”Footnote 60. Ebenso wie die unfreiwilligen Probanden in den Experimenten Howard Garfinkels auf die Irritation ihrer Routinen und Handlungserwartungen zunächst mit Überraschung, Ärger, Angst, Zeichen eines Schocks oder Verwirrung reagieren, dann nach einer Erklärung für diese Irritation suchen, die die natürliche Ordnung wiederherstellen würde und sich schließlich zurückziehen oder den Schuldigen zu isolieren, zu denunzieren oder Vergeltung zu üben suchenFootnote 61, begegnen die meisten Menschen in Polen trotz ihrer prinzipiell regimekritischen Haltung den Aktivisten der laikalen Linken mit MißtrauenFootnote 62. So berichtet einer der Aktivisten in einem Interview: “It was known that they acted in association with KOR [...]. However, these people were treated as the plague”Footnote 63. Piotr Wierzbicki erinnert sich, daß ihm bewußt geworden sei, “daß die Bekannten aufhören, uns anzurufen, weil sie Angst haben, weil wir Aussätzige sind”Footnote 64. Der Schriftsteller Kazimierz Brandys schreibt in seinem Tagebuch:

Ich weiß nicht, wie weit sie sich darüber im klaren sind, wie einsam sie sind. In diesem schwatzhaften Land wird über sie häufiger geschwiegen als über die Herrschenden [...]. Auch heute ist die Mehrheit der Polen nicht sonderlich auf die Freiheit erpicht. Sie fürchtet das Risiko eines plötzlichen Umbruchs, das Risiko offener Situationen, in denen sie selbst über sich entscheiden müßte.

(Brandys [1981] Reference Brandys1996, S. 160f.)

Dieser Konflikt zwischen einem eigentlich sehr erfolgversprechenden Framing und einer konterkarierenden Angst vor etwaigen Nachteilen und einem konterkarierenden Konformitätsdruck wird im Kino der moralischen Unruhe thematisiert. Dies sei kurz am Beispiel des Films Index (Indeks) von Janusz Kijowski illustriert: ein Student namens Moneta (wörtlich: Münze) verläßt im März 1968 die Universität, als er erfährt, daß der Dekan einen Mitstudenten aus obskuren “politischen Gründen” relegiert. In einem späteren Gespräch mit dem mittlerweile ebenfalls relegierten Dekan fragt dieser: “Warum hast Du die Universität verlassen? Du warst der beste Student, den ich hatte, weißt Du das?” Darauf antwortet Moneta: “Ich wollte ehrlich leben” – und schließt somit an die Forderung Kołakowskis nach einem Leben in Würde an. Die Reaktionen seiner Umwelt ähneln den Reaktionen der unfreiwilligen Probanden bei Garfinkel: die Universitätsfreunde reagieren irritiert und brechen nach einigen Treffen, die meist in betretenem Schweigen enden, den Kontakt ab. Seine Freundin beendet die Beziehung. Der Dekan ist einer der wenigen, der offen und neugierig weiterfragt: Dekan: “Und, ist es Dir gelungen?”

Moneta: “Damals, ja.”

Dekan: “Und heute?”

Moneta: “Heute brauche ich eine Wohnung, alles ist schwierig geworden…”

Moneta hat alle seine Privilegien verloren, er muß als Kohlenlieferant arbeiten und hat kaum Geld. Als ihm ein Filmregisseur anbietet, die Geschichte, die er über einen Arbeitsunfall geschrieben hat, zu verfilmen, scheint Moneta zur Akzeptanz der natürlichen Tatsachen zurückkehren zu wollen. Er feiert diesen Erfolg mit einer großen Dinnerparty in einer Villa, man sieht ihn bei der Begrüßung seiner alten Widersacher, die seine Entschuldigung für sein früheres Verhalten offensichtlich erfreut akzeptieren. Doch in einer Rede nach dem Essen erklärt Moneta, er habe nun gelernt, wie wenig es kostet, sich kaufen und korrumpieren zu lassen und habe die Lust daran bereits verloren: Er wirft seine Gäste hinaus. In der letzten Szene läuft Moneta wie schon am Anfang des Films einen Flur entlang – es gibt für ihn keinen Ausweg aus dem Kreislauf von Aufbegehren und Anpassung.

Vor diesem Hintergrund scheint es wiederum eher erstaunlich, daß sich überhaupt eine nennenswerte politische Opposition herausbildet, die zudem von breiteren Schichten getragen wird als das auf Intellektuellenzirkel beschränkte Dissidententum in der damaligen Tschechoslowakei und in Ungarn. Anders gefragt: Wie gelingt es den Aktivisten, nicht nur kognitiv Distanz zu diesen “natürlichen Tatsachen” einzunehmen, sondern den damit verbundenen Erwartungen auch tatsächlich und dauerhaft zuwiderzuhandeln und ihre Angst zu überwinden?

Um diese Frage zu klären, greife ich wiederum auf die Studien von Garfinkel zurück; denn Garfinkel sieht Menschen ja gerade nicht als “innerlich versklavte Menschen” oder in seiner Begrifflichkeit: als judgmental dopes Footnote 65, sondern betont, daß Menschen nur unter bestimmten Bedingungen als judgmental dopes zu handeln scheinen. Ähnlich wie sich die Reaktionen der Umwelt der Aktivisten mit den Reaktionen der unfreiwilligen Probanden bei Garfinkel vergleichen lassen, lassen sich die Erfahrungen der Aktivisten selbst mit den Erfahrungen derjenigen vergleichen, die Garfinkels Experimente durchführen. Wenn das Experiment (bei Garfinkel: der Versuch, bei Gütern mit Standardpreisen den Preis herunterzuhandeln)Footnote 66 in mehrere Phasen unterteilt wird, dann fällt auf, daß das Unbehagen in der Phase der Antizipation am höchsten ist und in jeder späteren Phase immer weiter abnimmt. Die meisten der mehrmals Verhandelnden beginnen die Aufgabe ab dem dritten Mal zu genießen und berichten, daß sie zu ihrer eigenen Überraschung mit der Strategie Erfolg hatten und sie auch künftig anwenden wollen.

In Interviews, die Helena Flam Anfang der neunziger Jahre durchgeführt hat, berichten die Aktivisten retrospektiv von ähnlichen Erfahrungen. Sie berichten übereinstimmend, daß die Angst am Anfang am stärksten ist:

I believe there were no people who did not fear. The worst are the first moments, hours, days. I believe the worst hours are the first hours in an arrest, in a prison.

(Anonymus, zit. nach Flam Reference Flam1998, S. 142)

Vor allem die Initiatoren berichten, daß die erste regimekritische Handlung entscheidend ist:

Was wir schrieben, war im allgemeinen unglaublich radikal und hat die Forderungen des sogenannten Realismus nicht beachtet. [...] wir beide haben es gewagt, viel weiter zu gehen als die großen Autoritäten Kołakowski, Brus. Das half, eine bestimmte Angst in Beziehung zum Regime zu überwinden.

(Anonymus, zit. nach Flam Reference Flam1998, S. 133)Footnote 67

Garfinkel schließt aus den Erfahrungen seiner Versuchsleiter, daß Menschen oft fälschlicherweise als judgmental dopes bezeichnet werden, weil sie aus Angst vor der bloßen Vorstellung alle Situationen vermeiden, in denen sie die Möglichkeit einer Wahl hätten. Die entscheidende Frage ist daher, ob sie ein spezielles Motiv haben, das die unhinterfragten Erwartungen problematisch macht und ob sie die antizipatorische Angst überwinden können, diesen unhinterfragten Erwartungen zuwiderzuhandelnFootnote 68. In Polen ist der wesentliche Faktor für die Überwindung dieser antizipatorischen Angst die starke emotionale Bindung an die oppositionelle Gruppe. Die Aktivisten bezeichnen den Typus des Oppositionellen zwar häufig als człowiek marginesu (Mensch am Rande), doch im Gegensatz zur Filmfigur Moneta agieren sie nicht als Einzelne:

We perhaps feared less because we were many but also because KOR was very cheerful. There were a lot of jokes, wit [...] looking for funny aspects in different adventures.

(Anonymus, zit. nach Flam Reference Flam1998, S. 149)

Oder in den Worten eines anderen Aktivisten:

[T]hat we were organized in KOR was terribly important. There was a sense of security in the opposition. That they would help you, that you would not perish anonymously. It was quite essential. This KOR-movement was simply a jolly movement.

(Anonymus, zit. nach Flam Reference Flam1998, S. 148)

Kazimierz Brandys beobachtet die Oppositionellen bei einem Hungerstreik:

Das hat etwas Rauschhaftes an sich, etwas von einer kollektiven Verzückung. Ich denke nicht nur an die fünfzehn aus der Heilig-Kreuz-Kirche, ich spreche von allen, die man heute mit der Bezeichnung “Dissidenten” umschreibt. Ständig in ihrem Grüppchen, in dauerndem Wortwechsel, ununterbrochen politisierend. Es ist fraglich, ob sie noch anders leben könnten.

(Brandys [1981] Reference Brandys1996, S. 160f.)

Die Zugehörigkeit zu einer Gruppe, welche die unhinterfragte Natürlichkeit der sozialen Ordnung durchbricht, bringt ein tiefes Gefühl der Befriedigung mit sich. Piotr Wierzbicki erinnert sich:

In mir wuchs der Hochmut: Die Befriedigung darüber, auf der richtigen Seite zu sein, die Freude, zu denen zu gehören, die die Wahrheit besaßen und sich für den Dienst am Guten entschieden hatten.

(Gazeta Wyborcza vom 23. 9. 2006)Footnote 69

Die spezifische kollektive Identität des KOR erschwert es zugleich, sich aus der Opposition zurückzuziehen:

Propelled to the heights of prestige by the logic of their own activities and accomplishments, the heroes also felt anxious about falling from these heights. Many were anxious about disappointing their own selves and their supporters through a shameful act of cowardice.

(Flam Reference Flam1998, S. 164)

Dies zeigt sich wiederum in den Interviews mit den Aktivisten:

I knew they would not beat or torture me. Well, two or three years of prison hovered over me. I was afraid of something else, of not behaving well, of not coming out of it with face, of giving somebody away.

(Anonymus, zit. nach Flam Reference Flam1998, S. 165)

Entscheidend für das Mobilisierungspotential des KOR ist somit weder die (kognitive) Plausibilität des Deutungsmusters noch dessen Bezug auf relevante Werte allein, entscheidend ist, daß sich eine kollektive Identität herausgebildet hat, in der kognitive Deutungsmuster, Werte, ein spezifischer Umgang der Oppositionellen mit der unhinterfragten Natürlichkeit der sozialen Ordnung und der Transformation von Angst in eine intensive emotionale Bindung an die eigene Gruppierung einhergehen.

7. Schlußbetrachtung

Bevor ich die Ergebnisse dieses Beitrags zur Integration der (neueren) Theorien sozialer Bewegungen in eine (neo-)pragmatistische Theorie zusammenfasse, möchte ich kurz auf eine häufig geäußerte Kritik am Konzept der kollektiven Identität eingehen, nämlich daß “sich die immer wieder betonte große Bedeutung kollektiver Identität für die Herausbildung kollektiven Handelns und sozialer Bewegungen umgekehrt proportional verhält zur Klärung der Grundbegriffe und des analytischen Bezugsrahmens”Footnote 70. Diese Kritik verweist durchaus zu Recht auf die oft wenig trennscharfe Verwendung des Begriffs der kollektiven Identität – in vielen Studien wird Gehalt und Bedeutung derselben eher behauptet als rekonstruiertFootnote 71. Um sinnvoll von kollektiver Identität sprechen zu können, muß ein komplexer, oft schwer zugänglicher sozialer Prozess analysiert werden. Die Komplexität dieser Rekonstruktion, die sich letztlich immer nur auf Plausibilität, nicht jedoch auf den Nachweis kausaler Mechanismen berufen kann, ist jedoch kein prinzipielles Argument gegen dieses Programm. Im Gegenteil: aus der Perspektive der Theorie kollektiver Identität wird gerade der Versuch problematisch, das zugrunde liegende Handlungssystem nicht zu analysieren, sondern einzelne, leichter operationalisierbare Faktoren zu isolieren: “As I want to claim, behind their manifest argument they all presuppose a theory of action and identity”Footnote 72. Aus dieser Perspektive bieten jene Ansätze somit im günstigsten Fall eine Art “Short-Cut-Erklärung”, im ungünstigsten Fall führen sie zu falschen SchlußfolgerungenFootnote 73.

Der Ansatz der relativen Deprivation liefert eine Short-Cut-Erklärung für die Entstehung von Protesten, da er die Bewertungsmaßstäbe nicht rekonstruiert und die Entstehung einer sozialen Bewegung nicht erklären kann, weil er die Frage, ob ein Akteur einen Konflikt artikuliert, begrifflich nicht fassen kann. Der Ansatz der politischen Gelegenheitsstrukturen zeigt auf, welche politischen Veränderungen Opposition ermöglichen, vernachlässigt jedoch, daß diese gedeutet werden müssen und identifiziert Bewegungen als Folge von Protestereignissen. Die Netzwerkanalyse erlaubt es, die tatsächlichen Beziehungen und Austauschprozesse innerhalb der sozialen Bewegung sowie zwischen Bewegungen und anderen Gruppierungen zu rekonstruieren und zeigt mit der Stabilität der Netzwerkbeziehungen einen Erfolgsfaktor für soziale Bewegungen auf, vernachlässigt jedoch Veränderungen von Akteuren. Der Ansatz des Framing rückt die Deutungsprozesse in den Mittelpunkt der Analyse, vernachlässigt jedoch, daß nicht Bewegungen, sondern konkrete Akteure mit spezifischen Identitäten, Erfahrungen und Emotionen diese Frames entwickeln und kann daher unter anderem das Mobilisierungspotential der Bewegung nur unzureichend erklären. Eine um Werte und Emotionen erweiterte Theorie der kollektiven Identität ermöglicht es, die kreative, interaktive Konstitution der spezifischen kollektiven Identität zu rekonstruieren, indem sie die Randbedingungen für die sinnvolle Anwendung der anderen Ansätze spezifiziert und diese um die Rekonstruktion von Werten und Emotionen ergänzt.

Noch einmal am Beispiel Polens: Die Annäherung von französischen Katholiken und oppositionellen Linken hat über frühere Milieugrenzen hinweg Netzwerkbeziehungen und Solidarität geschaffen, auf deren Grundlage die oppositionelle Linke jene Deutungsmuster artikuliert, die es ihr ermöglichen, in der Ratifizierung der Schlußakte der KSZE und der Abhängigkeit der Regierung von westlichen Krediten politische Gelegenheiten für die Opposition zu sehen. Im Anschluß an die Proteste 1976, die selbst noch keine soziale Bewegung sind, da sich die Akteure nicht als Teil einer Einheit empfinden und ihre Unzufriedenheit nicht dazu führt, einen Konflikt mit dem Regime zu artikulieren, gründet die oppositionelle Linke das KOR. Die Gruppenidentität des KOR hilft den Aktivisten, die antizipatorische Angst vor Opposition zu überwinden, der Ehrenkodex des KOR führt dazu, daß die Aktivisten ihre oppositionelle Tätigkeit trotz aller Nachteile fortsetzen. Das Mobilisierungspotential des KOR ist jedoch dadurch begrenzt, daß die meisten potentiellen Unterstützer auf die mit dem Programm des KOR verbundene Irritation der unhinterfragten Natürlichkeit der Ordnung mit der sozialen Isolierung der Aktivisten reagieren.

Footnotes

1 Einen solchen Versuch der Konkretisierung hat Richard Biernacki in dem Sammelband Remaking Modernity jüngst für die historische Soziologie vorgelegt. Er illustriert den Erkenntnisgewinn einer Umstellung der soziologischen Analyse von einem Ziel-Mittel-Modell zu einem Problemlösungsmodell menschlichen Handelns (siehe auch die Rezension von Matthias König im 47. Jahrgang dieser Zeitschrift).

2 Vgl. JoasReference Joas1996, S. 236.

3 KOR steht für Komitee zur Verteidigung der Arbeiter (Komitet Obrony Robotników) und ist eine der wichtigsten Gruppierungen der zivilgesellschaftlichen Opposition in Polen.

4 Ist eines dieser Merkmale nicht erfüllt, so handelt es sich auch nicht um eine soziale Bewegung. Ist beispielsweise kein systemüberschreitender Konflikt vorhanden, so handelt es sich schlicht um Konkurrenz um Ressourcen, beispielsweise in Verhandlungen zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern um die Höhe der Lohnzahlungen. Fehlt andererseits Solidarität, so handelt es sich beispielsweise um Modeerscheinungen.

5 TouraineReference Touraine1978, S. 12ff. Touraine sieht sich durch seine Solidarność-Studie bestätigt; denn die Solidarność habe ihren Konflikt als Konflikt zwischen Gesellschaft und Staat formuliert. Bei näherem Hinsehen zeigt sich jedoch, daß die Ergebnisse aus Touraines Studie interessanter sind als Touraines eigene Interpretation erkennen läßt; denn Touraines Ergebnisse ermöglichen es, zu rekonstruieren, wie sich die Aktivisten innerhalb der Solidarność auf gemeinsame Strategien geeinigt haben und bieten einen faszinierenden Einblick in das Leben der Bewegung, der von der Annahme, sie entdeckten damit “nur” einen objektiv gegebenen zentralen Konflikt, nur unzureichend erfaßt wird.

6 Vgl. MelucciReference Melucci, Klein, Legrand and Leif1999, S. 120. Der Ansatz ist explizit als Suche nach den Charakteristika neuer sozialer Bewegungen angelegt, nicht jedoch als Versuch, gemeinsame Merkmale existierender Bewegungen zu synthetisieren.

7 Siehe etwa Calhoun 1995. Hier könnte man auch den polnischen Fall anführen, da die beschriebene Solidarność sowohl eine Arbeiterbewegung (und insofern eine “alte” soziale Bewegung) als auch eine Menschenrechtsbewegung (und insofern eine Neue Soziale Bewegung) ist.

8 Vgl. MelucciReference Melucci2003, S. 79.

11 Joas 1999, S. 22. Im folgenden verwende ich den Begriff des Wertes, wenn ich den Aspekt des Wertens in den Vordergrund stelle, den Begriff des Deutungsmusters hingegen, wenn ich den Aspekt der Strukturierung von Wahrnehmungen betone.

12 McAdam faßt mit diesem Begriff Ansätze zusammen, die jeweils unterschiedliche Spannungen thematisieren: Spannungen in der Massengesellschaft, durch Statusinkonsistenzen, durch steigende Erwartungen oder relative Unzufriedenheit. Diese Ansätze lassen sich entsprechend ihres Forschungsinteresses in zwei Gruppen zusammenfassen. Der ersten geht es um strukturell-funktionalistische Erklärungen für Kriminalität, Protest und anderes abweichendes Verhalten – sie schließt an Durkheims Verwendung des Begriffs der Anomie an und sieht soziale Bewegungen somit nicht als (erklärungsbedürftiges) kollektives Handeln, sondern als sekundären Effekt, der immer dann auftritt, wenn das soziale System nicht in der Lage ist, diese Spannungen aufzuheben. Die zweite Gruppe, der auch der Ansatz der relativen Deprivation zuzuordnen ist, zielt darauf, die (motivationalen) Voraussetzungen für die individuelle Reaktion auf diese Spannungen zu klären – sie untersucht die subjektive Wahrnehmung von als ungerecht empfundenen Benachteiligungen.

13 Thaa 1983, S. 201. Auch die DDR unter Honecker und Ungarn unter Kadár haben ähnliche Modelle eines Konsumentensozialismus entwickelt. Beide greifen auf westliche Kredite zurück, die pro Kopf gerechnet bis 1979 sogar höher sind als die polnischen Kredite (vgl. Ash, S. 17).

14 Vgl. Tygodnik Powszechny, 22.10.1972; Krzemiński und DatnerReference Krzemiński and Datner1974, S. 71-77.

15 Vgl. Pravda 1996, S. 69.

16 Die als Komitet Obrony Robotników (Komitee zum Schutz der Arbeiter) 1976 gegründete Organisation nennt sich 1977 in Komitet Samoobrony Społlecznej “KOR” (Komitee zur gesellschaftlichen Selbstverteidigung, “KOR”) um. Im folgenden verwende ich wie allgemein üblich das Akronym KOR weiter.

18 Vgl. MelucciReference Melucci2003, S. 57f.

19 Vgl. McCarthyReference McCarthy and Mayer N.1977, S. 1215.

20 Vgl. MelucciReference Melucci2003, S. 59f. Da es in einem autoritären Staat weniger Möglichkeiten einer solchen institutionalisierten Einforderung der Ansprüche gibt, könnte man vermuten, daß diese Schwelle häufiger überschritten wird. Aggression kann jedoch wiederum (abhängig vom Repressionspotential des Regimes) eingedämmt oder (abhängig vom Gelingen politischer Ritualisierung) auf innere oder äußere Feinde umgelenkt werden.

21 Melanie Tatur verweist selbst auf diesen Aspekt, wenn sie anführt, daß die relative Deprivation selbst nicht zu einer Polarisierung von Interessen geführt hat, sondern vielmehr “[…] Zu einer Fragmentierung von Interessen bis zu deren völliger Indivi-dualisierung im Neid auf den Nachbarn oder in der Aggressivität der in der Schlange wartenden Frauen auf die Schwangere, die, ohne anzustehen, an die karg gefüllten Fleischtöpfe treten darf” (1990, S. 98). Eine lokale Wir-Identität der Arbeiter bildet sich erst nach den Streiks, als sie erkennen, daß sie der Regierung immerhin die Rücknahme der Preiserhöhungen abtrotzen können (vgl. Bakuniak und NowakReference Bakuniak and Nowak1987, S. 410ff.).

22 Vgl. Bakuniak und NowakReference Bakuniak and Nowak1987, S. 407f.

23 Ich gehe mit Herbert Kitschelt (1999) davon aus, daß es sich um ein Mißverständnis handelt, wenn Sozialwissenschaftler und Sozialwissenschaftlerinnen, die mit dem Konzept der politischen Gelegenheiten arbeiten, sich explizit als nicht der Rational-Choice Theorie zugehörig bezeichnen; ein Mißverständnis, dessen Ursache Kitschelt darin sieht, daß sie annehmen, die Rational-Choice-Theorie sei nicht strukturalistisch (S. 150). Daher sind beide Ansätze mit dem Problem konfrontiert, eine Antwort auf das von Mancur Olson formulierte free rider-Problem zu finden: Da soziale Bewegungen kollektive Güter bereitstellen, von deren Nutzung niemand ausgeschlossen werden kann, werden rationale Akteure die Kosten der Teilnahme nicht auf sich nehmen, sondern die Güter als sogenannte Trittbrettfahrer mitnutzen.

24 McCarthy und Zald trennen analytisch zwischen einer sozialen Bewegung, die sie als Menge der Präferenzen definieren, die auf Wandel gerichtet sind, und der Bewegungsorganisation, die zusammen mit anderen Bewegungsorganisationen derselben Bewegungsindustrie die soziale Bewegung mobilisiert. So wird deutlich, daß eine soziale Bewegung niemals vollständig mobilisiert wird, daß der Aspekt der Organisation von zentraler Bedeutung ist und daß die Entwicklung einer Bewegungsindustrie nicht von der Größe der sozialen Bewegung (der Menge der auf Wandel gerichteten Präferenzen) oder der Intensität dieser Präferenzen abhängig ist (vgl. McCarthy und ZaldReference McCarthy and Mayer N.1977, S. 1217ff.).

25 McCarthy und ZaldReference McCarthy and Mayer N.1977, S. 1220; Cress und Snow 1996, S. 1094.

27 Vgl OsaReference Osa2003, S. 13. Allerdings ist der Einfluß der Repression keineswegs geklärt: Paradoxerweise führt intensivierte Repression keineswegs in allen Fällen zum Rückgang der Mobilisierung, sondern in einigen Fällen sogar zu deren Zunahme.

28 Die polnische Parteiführung hatte schon auf einem Parteitag 1971 Verfassungsänderungen beschlossen: analog zu den Verfassungsänderungen anderer Länder des Warschauer Paktes sollen der Status als “sozialistische Republik”, die Abhängigkeit bürgerlicher Rechte von der Erfüllung bürgerlicher Pflichten, die führende Rolle der Partei und die unantastbare brüderliche Verbundenheit mit der Sowjetunion festgeschrieben werden.

29 Das Wachstum des Netzwerkes erweitert wiederum das Gelegenheitsfenster, da es für das Regime mit jeder neuen Gruppierung kostspieliger wird, die Opposition zu unterdrücken (siehe Abschnitt fünf).

30 Der Begriff der “französischen Katholiken” wird in der Zwischenkriegszeit von den traditionalistischen Katholiken geprägt, die damit zu Recht auf den Einfluß des französischen Personalismus auf die progressiven Katholiken verweisen, die damit deren Rezipienten jedoch zugleich als “unpolnisch” diskreditieren wollen. Dennoch setzt sich der Begriff durch und wird in der Nachkriegszeit auch von den progressiven Katholiken selbst verwendet.

31 Diese Bezeichnung stammt von Adam Michnik, der damit jene Linke bezeichnet, die sich dem Christentum gegenüber öffnet. In seinem Buch Kościół, Lewica, Dialog (in Deutschland unter dem Titel Die Kirche und die polnische Linke veröffentlicht) schreibt er: “Die Mitglieder der laikalen Linken sollten mit allen Menschen guten Willens Brüderschaft schließen, das heißt auch mit den Christen – und zwar nicht trotz, sondern wegen ihres Glaubens” (1977, S. 166; Übersetzung H.D.).

32 Der Ansatz politischer Gelegenheiten kann durchaus – wie etwa von Kurzman 1996 vorgeschlagen – die Deutung der politischen Gelegenheiten berücksichtigen. Dieser Berücksichtigung sind jedoch insofern Grenzen gesetzt als innerhalb des Rational-Choice-Paradigmas immer davon ausgegangen wird, daß rationale Akteure unter Berücksichtigung der externen Bedingungen ihre a priori gegebenen Präferenzen verfolgen. Wenn man stattdessen davon ausgeht, daß sich Präferenzen erst im Handlungsverlauf herausbilden, Mittel nicht einfach aus Zielen abgeleitet werden, sondern umgekehrt auch Ziele nahelegen können et cetera, dann werden politische Gelegenheiten gerade nicht zu “Ausgeburten von rhetorischen Interpretationsstrategien der Akteure” (KitscheltReference Kitschelt, Klein, Legrand and Leif1999, S. 156) stilisiert, sondern vielmehr in demselben Maße durch die Deutungen der Situation beeinflußt und verändert, in dem die politischen Verhältnisse selbst – beispielsweise die Stärke eines Regimes – abhängig sind von den Deutungen der beteiligten Akteure.

33 Vgl. von BredowReference Bredow1992, S. 33; Pöllinger 1998, S. 3.

34 Vgl. ThomasReference Thomas1999, S. 3ff.

35 Diani definiert soziale Bewegungen als “networks of informal interactions, between a plurality of individuals, groups or associations, engaged in a political or cultural conflict, on the basis of a shared collective identity” (2003, S. 301).

36 Die Netzwerkanalyse betrachtet Mikromobilisierungsstrukturen und Makrokoordinationsstrukturen: Mikromobilisierungsstrukturen sind zwischenmenschliche Beziehungen (strong ties/weak ties in der Begrifflichkeit von Granovetter), welche die Gruppenzusammengehörigkeit fördern und über die neue Mitglieder rekrutiert werden. Diese Idee der Mobilisierung von bereits vorab existierenden Primärgruppen oder Netzwerken wird im übrigen auch von Rational-Choice-Theoretikern als Antwort auf die Frage nach dem Olson-Problem diskutiert. Makrokoordinationsstrukturen sind Beziehungen zwischen Gruppen, welche die Kommunikation und den Austausch von materiellen und symbolischen Gütern ermöglichen.

37 Außerdem kann die Netzwerkanalyse der (kognitivistischen) Tendenz des im folgenden Abschnitt zu diskutierenden Ansatzes des Framings entgegenwirken, soziale Bewegungen allein anhand ihres politischen Programms zu beschreiben; denn sie ermöglicht es, bestimmte Unterschiede zwischen diesem Programm und den Praktiken – hier: den Austauschprozessen – der Akteure zu analysieren.

38 Vgl. OsaReference Osa2003, S. 15f.

39 1957 wird das “Organ der Revisionisten” – die Zeitschrift Po Prostu – verboten, der Klub selbst wird von regimetreuen Kräften unterwandert, nach 1960 werden einzelne Mitglieder bedroht, 1963 wird er endgültig verboten.

40 Diese Cliquenstrukturen sind: KIK-KOR-ROPCiO, KIK-KOR-PPN-Tygodnik-Abgeordnetenzirkel und KIK-PPN-Tygodnik-Abgeordnetenzirkel-Więź.

41 Die Veränderung in der Ausrichtung der katholischen Pyramide läßt sich im vorliegenden Fall sicherlich auch durch eine weitere Netzwerkanalyse herausarbeiten, indem die Veränderungen der Austauschprozesse zwischen der katholischen Pyramide und den sie umgebenden Gruppierungen und Akteuren untersucht wird; denn dann käme jene Umorientierung der katholischen Gruppierungen von der Parteilinken zu den nonkonformen Linken in den Blick, die ich in Abschnitt fünf beschrieben habe.

42 “[T]he degree or extent of political opportunity in any society is seldom, if ever, a clear and easily read structural entity. Rather, its existence and openness is subject to debate and interpretation and can thus be framed by movement actors as well as by others.” (Snow und BenfordReference Snow and Benford2000, S. 631).

43 Sie kann Kommissionen oder gar ein Parlament nur unter der Bedingung zulassen, daß diesen keine Entscheidungsbefugnisse zukommen. Der Apparat kann aber unter keinen Umständen Informationsfreiheit gewähren; denn die Kosten, die aus der notorischen Fehlinformation resultieren, sind immer noch geringer als das Sicherheitsrisiko, das mit der Informationsfreiheit einhergehen würde. Eine ähnliche Logik führt dazu, daß in einer Art negativer Selektion immer mehr Experten durch Konformisten ersetzt werden. Als karrierefördernde Eigenschaften gelten nicht mehr Fachkenntnis, sondern die Bereitschaft, zu gehorchen bis hin zu Unterwürfigkeit und Feigheit, der Mangel an Initiative, die Bereitschaft, über andere auszusagen, Indifferenz gegenüber der sozialen Meinung und dem Gemeinwohl – bis es schlußendlich zu einer Art mentalen und moralischen Degradierung des Apparates kommt.

44 Vgl. EislerReference Eisler2006, S. 456.

45 Noch aussichtsloser als die “These der Hoffnungslosigkeit” ist die Lesart, daß die Proteste nicht nur zwecklos, sondern sogar von der Staatsmacht provoziert worden seien. Dieser Interpretation zufolge, die im übrigen nicht zufällig an die Strategie des Regimes erinnert, die März-Ereignisse als Projekt der alten Stalinisten – Kołakowski, Schaff, Staszewski – hinzustellen, sind die Beteiligten Opfer gezielter Manipulation geworden. Die einzige Möglichkeit, zu verhindern, wieder zur Marionette in den Händen der Mächtigen zu werden, wäre demnach der konsequente Rückzug ins Privatleben.

46 Kołakowski ist nicht der einzige, der sich zu dieser Zeit mit der Frage nach der Bedingung der Möglichkeit von Veränderung auseinandersetzt: die “bewegung” (ruch) schlägt die Gründung konspirativer Gruppierungen vor, Władysław Bieńkowski plädiert im gleichen Jahr für eine kontrollierte Revolution, die noch immer auf den guten Willen der Machthaber baut, andere ehemalige Revisionisten wie etwa der Ökonom Włodzimierz Brus und die Soziologen Zygmunt Bauman und Maria Hirszowicz publizieren Analysen, die in eine ähnliche Richtung zielen wie Kołakowskis Analyse.

47 Mein Argument ist nicht, daß diese Revision notwendig vor dem Auftreten der politischen Gelegenheit hat stattfinden müssen, sondern nur, daß sie empirisch davor stattgefunden hat. Theoretisch ist natürlich auch eine Revision des Deutungsrahmens nach Auftreten der politischen Gelegenheiten – etwa als Lernerfahrung aus den Erfahrungen in den anderen ostmitteleuropäischen Ländern – vorstellbar.

48 Kołakowski verdichtet dieses prognostische Deutungsmuster in dem Slogan: “Our own dignity gives us the right to proclaim out loud the words ‘freedom’, ‘justice’ and ‘Poland’” (1971, S. 52). Aus dieser Paraphrasierung der Losung der Französischen Revolution lassen sich bereits bestimmte Spezifika ablesen: statt einer im Sozialismus diskreditierten Rede von Gleichheit bezieht sich die polnische Opposition auf Gerechtigkeit, und im Mittelpunkt steht nicht die Brüderlichkeit des vierten Standes, sondern die Gemeinschaft der polnischen Nation.

49 Kołakowski Reference Kołakowski1973, S. 6; Übersetzung H.D.

50 Der Begriff des Totalitarismus, der aus der westeuropäischen Forschung nahezu verschwunden ist, ist in Polen zu einer Zeit aufgegriffen worden, in der das Regime nicht (mehr) im eigentlichen Sinne totalitär war. Ein totalitäres Regime gibt sich – im Gegensatz zu jeder anderen Form der Diktatur – nicht damit zufrieden, Individuen an der Äußerung gegnerischer Ansichten zu hindern, sondern verfolgt den Anspruch, diese Ansichten selbst zu ändern und Gedanken und Gewissen der Individuen zu formen. In Polen hat es diesen Anspruch nur von 1948 bis 1956 gegeben – auch wenn der kommunistische Totalitarismus in Polen in vielen Bereichen weit davon entfernt war, diesen Anspruch umzusetzen. Nach der Entstalinisierung hingegen “entstand ein Zustand, in dem die Mehrheit der Gesellschaft den Erwartungen entsprach und auf die Signale des Staates reagierte; dieser wiederum verlangte im Grunde gar nicht mehr. Man nannte dies den “neuen Gesellschaftsvertrag”: der Staat gab den Menschen zu essen, die Untertanen ließen die Herrschenden regieren” (Paczkowski, S. 405). Damit hat die nächste Phase begonnen: die des kommunistischen Autoritarismus (vgl. Brzezinski 1989, S. 255).

51 OstReference Kuroń1990, S. 64.

52 KurońReference Kuroń1974, S. 14; Übersetzung H.D.

53 Diese Strategien sind zum einen der Versuch progressiver Katholiken, dem Regime durch Zusammenarbeit Zugeständnisse abzutrotzen – der sogenannte “Neopositivismus” –, zum anderen die Strategie der Reformlinken, das Regime “von innen” zu reformieren – der sogenannte “Revisionismus”. Beide sind gescheitert, weil sie sich trotz fehlender Zugeständnisse letztendlich immer mit der Parteielite (und gegen die anderen gesellschaftlichen Gruppierungen) solidarisieren mußten: “Wenn es hart auf hart kommt, müssen sowohl Revisionismus als auch Neopositivismus, konsequent angewandt, den Standpunkt des Regimes vertreten” (Michnik [1976] Reference Michnik and Irsch1985, S. 48).

54 Sie sind sich des Paradoxes bewußt, mit einer antipolitischen Strategie langfristig politische Ziele zu verfolgen – eine Paradoxie, die David Ost in seinem Buch The Politics of Anti-Politics expliziert hat: “[T]he ‘non-political’ struggle was aimed at securing the possibility of a ‘political’ struggle. [...] The ideology of the opposition always stressed that the state could and should be ignored, that people could act as citizens even without the state’s permission. But if this opposition strategy was successful, independent civic institutions would become part of a legal public sphere. At that point, the new institutions would certainly have to deal with the state” (1990, S. 71). Für dieses langfristige Ziel spezifizieren sie jedoch kein konkretes Programm, sondern begnügen sich mit einigen abstrakten Zielvorstellungen, die zudem umstritten bleiben.

55 Vgl. dazu auch Benford 1997, S. 418ff. Die Frage nach der Motivation tritt nicht auf, solange man Framing als Rational-Choice-Ansatz ansieht; denn in diesem Fall wird unterstellt, daß der Bewegungsunternehmer strategisch motiviert ist, nach jenem Deutungsmuster zu suchen, das den größten Erfolg verspricht.

56 Zu den Gründungsmitgliedern zählen der Schriftsteller Jerzy Andrzejewski, der Literaturkritiker Jan Józef Lipski, der Ökonom Edward Lipiński, die Juristen Ludwik Cohn und Aniela Steinsbergowa, der ehemalige Vertreter der Exilregierung in Polen, Antoni Pajdak, der Überlebende des Warschauer Aufstandes, Józef Rybicki, der Historiker Adam Szczypiorski, der Journalist und Mitglied des KIK, Wojciech Ziembiński sowie der Priester Jan Zieja. Die meisten von ihnen sind oder waren Sozialisten, viele waren während des Stalinismus inhaftiert, fast alle haben sich bereits zuvor an Protestaktionen beteiligt oder in den “politischen Prozessen” als Verteidiger gearbeitet und so ihre Glaubwürdigkeit als Oppositionelle demonstriert.

57 Da durch das Scheinhandeln bestimmte Ziele gar nicht erreicht werden können, kommt es zu einem Wechselspiel von Scheinhandeln und “Alltagsarbeit” – ein Handeln, das oft unter Umgehung der formalen Bestimmungen die Voraussetzung für jenes Scheinhandeln erst schafft (vgl. TaturReference Tatur1989, S. 96).

59 Die soziale Schizophrenie führt zudem zu einer Verwischung der Konfliktlinien. So wird der Vorgesetzte als Mensch Teil der Wir-Gruppe, als Rollenträger jedoch Teil der abgelehnten Ordnung. Diese abgelehnte Ordnung wird wiederum zur “Nicht-Realität” (Kazimierz Brandys) erklärt und ausgeblendet – die Person erscheint in ihrer Rolle nicht als “sie selbst”.

60 Vgl. Świda-ZiembaReference Świda-Ziemba1998, S. 312.

61 Vgl. GarfinkelReference Garfinkel2004, S. 49.

62 Vgl. Świda-ZiembaReference Świda-Ziemba1998, S. 312. Stefan Kisielewski (1971, S. 90-97) weist darauf hin, daß diejenigen, die sich noch daran erinnern können, daß die Tatsachen einmal nicht natürlich gewesen sind, umso mehr an ihrer Aufrechterhaltung interessiert sind. Ausgangspunkt seiner Überlegungen ist die Frage, warum Menschen “die groteske Mockanterie des surrealistischen Witzes” von Wahlen, die schon entschieden sind, bevor sie stattfinden, so einfach akzeptieren. Anfangs war es notwendig, Zwang anzuwenden, doch mit der Zeit hat die friedliche Alltäglichkeit des Rituals eine psychologische Konditionierung ermöglicht, die sie an Widerstand und sogar an Verwunderung hindert. In ihrem Innersten wissen sie natürlich, daß “sie sich zum Narren halten lassen”. Doch nachdem sie es einmal getan haben, scheint es keinen Grund zu geben, es nicht noch einmal zu tun, es scheint sogar besser, sich selbst vorzumachen, daß alles in Ordnung ist. Sie werden nun beginnen, auch andere davon zu überzeugen, daß es keine andere Möglichkeit gibt – schon allein, damit diese sie nicht daran erinnern können, daß sie ihre Unschuld verloren haben.

63 Anonymus, zit. nach FlamReference Flam1998, S. 149.

64 Gazeta Wyborcza, 23.9.2006.

65 GarfinkelReference Garfinkel2004, S. 68.

66 Eine Gruppe sollte dies ein einziges Mal bei einem Gut in einem Wert von bis zu zwei Dollar tun, die zweite Gruppe sechs Mal für jeweils drei Güter im Wert von bis zu zwei Dollar und drei Güter im Wert von über 50 Dollar. 20 % derer, die nur einmal verhandeln sollten, haben sich geweigert oder den Versuch abgebrochen; bei denen, welche die Handlung mehrmals ausführen sollten, waren es nur 3 % (vgl. GarfinkelReference Garfinkel2004, S. 68f.).

67 Viele andere beschreiben ihre Entwicklung hin zu Aktivisten der Opposition jedoch eher als langsamen Prozeß, der erst nach der ersten Verhaftung oder Hausdurchsuchung zu einer Entscheidung führt.

68 GarfinkelReference Garfinkel2004, S. 70.

69 Auch dieser Aspekt der kollektiven Identität ist bereits in früheren Netzwerken sichtbar. So schreibt Kuroń retrospektiv über die Gruppenidentität der Pfadfinder: “Diese Art von Druck läßt in einer Gruppe das Klima einer Sekte entstehen und führt zu einem außerordentlich starken Zusammengehörigkeitsgefühl, zu inbrünstiger Hingabe an die Idee, womit überspitzte Anforderungen an sich selbst und eine dichotome Weltsicht einhergehen: eine gewisse Feindseligkeit gegenüber denen, die man als Gegner betrachtet, und ein an Hochmut grenzender Stolz auf die eigene Gruppe. Es wurde immer schwieriger, ein vollwertiger Walterianer zu sein. Von ihnen wurde totale Aufopferung für die große Sache verlangt, Opferbereitschaft, Entsagungen, wirklich harte, selten erfolgversprechende Arbeit.” (1991 [1989], S. 132f).

70 Siehe BaderReference Bader1991, S. 104. Roland Roth kritisiert, daß ebenso unklar bleibt, von welchem Maß an Festigkeit bei kollektiven Identitäten sozialer Bewegungen auszugehen ist, wie auch, welche Intensität gegeben sein muß, damit noch von einer sozialen Bewegung gesprochen werden kann (vgl. S. 66).

71 Siehe ThaaReference Thaa1996; FehrReference Fehr1996; TaturReference Tatur1994; eine Ausnahme ist die exzellente Studie von KubikReference Kubik1994. Außerdem kann kollektive Identität nicht “als solche” gemessen werden – es kann also erst dann von einer kollektiven Identität einer sozialen Bewegung gesprochen werden, wenn sich diejenigen Deutungsmuster, die in “latenten Phasen” entwickelt oder verändert werden, später in Protestereignissen manifestieren. Dieses Problem zeigt sich beispielsweise an Meluccis Mailand-Studie, in der Gruppierungen beobachtet wurden, die schlußendlich nicht in die Mobilisierungsphase eintreten und im Grunde angemessener als subkulturelle Milieus beschrieben werden müssen.

72 MelucciReference Melucci2003, S. 54.

73 Siehe ähnlich TurnerReference Turner1991.

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