Für die Diskussion über die angemessene Paulusauslegung, die seit gut 30 Jahren die Theologie bewegt,Footnote 1 können die Briefe der paulinischen Tradition ein Lackmustest sein. Bezeugen sie, dass die sog. Lehre von der Rechtfertigung des sündigen Individuums allein aus Glauben als Herzstück der Theologie des Paulus gesehen wurde? Oder reflektieren sie vielmehr, dass es Paulus um die Frage der Inklusion der nichtjüdischen Menschen in das Gottesvolk ging, und dabei speziell um die Kritik einer Gesetzespraxis, welche die Heiden ausschloss, bzw. um die Abwehr der Forderung, dass nichtjüdische Menschen sich dem Gesetz unterstellen müssen, um Teil der Gemeinde Gottes sein zu können? Oder sind sie gar nicht aussagekräftig für die Intention der paulinischen Theologie, da sie eine veränderte missionarische und theologische Situation spiegeln, in der das, was zu Zeiten des Paulus noch umstritten war, sich durchgesetzt hatte—oder unerheblich geworden war?
Unter den doch verhältnismäßig mageren Spuren der paulinischen Rechtfertigungslehre in den nachpaulinischen SchriftenFootnote 2 kommt dem pseudopaulinischenFootnote 3 Epheserbrief Signifikanz zu, inszeniert er doch sein Schreiben nicht einfach als Fixierung der apostolischen Paratheke, sondern als Schreiben an Neubekehrte aus den Völkern, hält also die Erinnerung an das Christentum als ‘Bekehrungsreligion’ wachFootnote 4 und verwendet hierbei die reformatorischen Schlüsselworte von der Rettung aus Gnade und Glaube (Eph 2.8-10). Im Folgenden skizziere ich die Diskussion über die theologiegeschichtliche Einordnung dieser Bemerkung (1.1). Daraus folgt die Forderung, die Verse Eph 2.8-10 zunächst in ihrem eigenen Kontext auszulegen (1.2). Eine solche Exegese wird anschließend entwickelt (2), um dann die Frage nach dem Verhältnis zur Theologie des Apostels Paulus noch einmal aufzunehmen (3). Nicht die große Frage, was Anlass und Zweck der Abfassung des Epheserbriefes war,Footnote 5 aber doch das Anliegen einer Briefpassage mittels und jenseits des Traditionsbezugs möge so deutlich werden.
1. Ein Reflex der paulinischen Rechtfertigungslehre im Epheserbrief?
1.1. Zur Diskussion
In Eph 2.8f finden sich deutliche Anklänge an Formulierungen der als authentisch geltenden Paulusbriefe:Footnote 6
8 Τῇ γὰρ χάριτί στϵ σϵσῳσμ
νοι διὰ πίστϵως·
καὶ τοῦτο οὐκ ξ ὑμῶν,
θϵοῦ τὸ δῶρον·
9 οὐκ ξ
ργων,
ἵνα μή τις καυχήσηται·
Nun ist freilich schon auf den ersten Blick zu erkennen, dass der Eph hier nicht einfach unverändert paulinische Aussagen redupliziert. Das Wortfeld von Gerechtigkeit und νόμος fehlt gänzlich.Footnote 7 Der Brief spricht im Unterschied zu Formulierungen der Homologumena von der Rettung als schon geschehener, wie auch die Aussagen über bereits gegenwärtige Heilsteilhabe (bes. 2.6) den eschatologischen Vorbehalt der Protopaulinen mindestens verbal ausblenden.Footnote 8 Hier fällt besonders ins Auge, dass σῴζϵιν in Eph 2.5, 8 im Perfekt steht und von der Rettung der Glaubenden als einem zurückliegenden Geschehen spricht, während Paulus in Röm 5.8-10 die geschehene Rechtfertigung (δικαιωθῆναι) und Versöhnung (καταλλαγῆναι) von der noch ausstehenden Rettung (σωθήσϵσθαι) temporal abhebt.Footnote 9 Dennoch scheinen die Alternative von πίστις und ργα, die Rede von Gottes χάρις und seinem Geschenk sowie der Ausschluss vom Rühmen Niederschlag der paulinischen Rechtfertigungsbotschaft zu sein.Footnote 10 Umstritten ist freilich, ob der Brief damit dem theologischen Anliegen des Paulus gerecht wird. Mit beispielhaften Diskussionsbeiträgen sei der Charakter der Debatte verdeutlicht.Footnote 11
Nach Ulrich Luz,Footnote 12 der die Wirkungsgeschichte der Rechtfertigungslehre recht nüchtern als spärlich summiert, kommt die Thematik im Epheserbrief nicht aus direkter Benutzung der Homologumena, sondern aus vorpaulinischer Tauftradition, wie sie sich auch in der verwandten Passage in Tit 3.4-7 erhalten habe. Generell sei der apokalyptische Horizont der paulinischen Theologie und mit ihm auch das apokalyptische Konzept der δικαιοσύνη θϵοῦ aufgegeben, aber eine gewisse Universalität in der Ekklesiologie und das Gewicht der Paränese erhalten. Eigentlich problematisch sei, dass ‘Rechtfertigung zu einem Ausdruck der Begründung des christlichen Heilsstandes in der Taufe reduziert wird’. Zwar sei von der Rechtfertigungslehre, die für Paulus kritische Mitte der Theologie gewesen sei, das sola gratia deutlich tradiert, doch die ‘polemische Funktion der Rechtfertigungslehre, die kritisch gegen jede Form menschlicher Selbstverabsolutierung sich wendet, tritt zurück’. Dies liege nicht nur daran, ‘daß der Brief an Heidenchristen gerichtet ist, denen das konkrete Gegenüber jüdischer Religion fehlt’, denn auch Paulus habe hier bereits verallgemeinert.Footnote 13 Für Luz geht es also in der paulinischen Rechtfertigungslehre zentral nicht nur um ‘die Bewertung des Menschen vor Gott’, sondern auch um die Kritik der menschlichen Selbstüberhebung.Footnote 14
Zwanzig Jahre später, aber noch als Auseinandersetzung mit diesen kritischen Thesen kommt Michael Gese hingegen zu der Bewertung, dass in V.8a, 9 auf paulinische Sätze angespielt bzw. diese zitiert werden, in V.8b.10 dieses kommentiert werde und dabei ‘das Anliegen des Paulus zwar in veränderter, aber dennoch in adäquater Weise weitergeführt wird’.Footnote 15 Nach Gese ist Grundanliegen von Eph 2.1-10, die Heilsaussagen zu ‘objektivieren’, weshalb die Präsenz des Heils in Veränderung der Verbformen in 2.5f betont wird, ohne dass der eschatische Vorbehalt aufgegeben sei.Footnote 16 Der Verfasser des Eph rede daher in V.5, 8a, 9 abweichend von Röm 5.9f nicht mehr von zukünftiger, sondern von geschehener Rettung, um seinem Anliegen, der Objektivität des Heils, Ausdruck zu verleihen. Der Zusammenhang von Gnade und Glaube sei ganz im Sinne des Paulus dargestellt.Footnote 17 Was Rechtfertigung bei Paulus selbst bedeutet, wird von Gese als bekannt vorausgesetzt; er versteht darunter offenbar die Zueignung des Heils an die Glaubenden allein aus Gnade. Dass das juridische Konzept der δικαιοσύνη im Eph nicht begegnet, ist für Gese irrelevant. Wenn Eph 2 nicht von ργα νόμου spreche, indiziere dies nur, dass die Gesetzesobservanz keine Rolle mehr spiele.Footnote 18 Die Paulus-Zitate des Eph hätten nicht ‘Alibifunktion’,Footnote 19 sondern würden zeigen, dass der Eph mit der paulinischen Tradition vertraut sei und diese weiterführe.Footnote 20
Es fällt auf, dass in diesem Disput die Aussage des Eph selbst unumstritten zu sein scheint und deren Bedeutung kaum diskutiert wird, sondern Widersprüche davon abhängen, wie der Kern der Rechtfertigungslehre bestimmt wird, woran also die Aussage des Eph zu messen sei (Gese vs. Luz). Dies änderte sich auch nicht, als mit der sog. New Perspective on Paul die (von Gese nicht berücksichtigte) Diskussion um die Rechtfertigungslehre des Paulus entbrannte. Hier spielt insbesondere die These eine Rolle, dass Paulus selbst mit der Rede von den ργα νόμου nicht den Wunsch nach Aufrichtung einer Gerechtigkeit aus eigenen Werken kritisiere, sondern die Praxis des Gesetzes, die nichtjüdische Menschen ausschließt, namentlich Beschneidung und Speisegebote. Damit stellt sich die Frage, wie die Wendung οὐκ
ξ
ργων in Eph 2.9 gemeint sei.
I. H. Marshall hat diese Diskussion für die Frage nach der Verhältnisbestimmung von Eph und paulinischer Theologie aufgegriffen.Footnote 21 Vor allem in Auseinandersetzung mit der These Luz' betont er die Gemeinsamkeiten von Eph und den paulinischen Hauptbriefen. Auch diese würden durchaus nicht allein Rechtfertigungsterminologie verwenden, und auch für Paulus seien Rechtfertigung und Versöhnung bereits geschehen. Und beiden, paulinischen Hauptbriefen wie Epheserbrief, gehe es schließlich um Gottes Tat in Christus. Die im Eph erwähnten Werke seien zwar von den Werken des Gesetzes in spezifischer Weise zu unterscheiden. Aber nicht nur der Eph, sondern auch die Homologumena würden sich gegen den Versuch wenden, mit menschlichen Werken—und seien es die des Gesetzes—Gottes Gunst zu sichern.Footnote 22 Der Eph wird (neben den Pastoralbriefen) damit zum Kronzeugen, dass Paulus sich nicht nur mit Werken des Gesetzes auseinandergesetzt habe: ‘Paul was opposed to any view that regards works as something on which people may depend for salvation rather than purely upon divine grace’.Footnote 23
Anders beschreibt James Dunn, der Altmeister der New Perspective on Paul, die Verhältnisse: Die Formulierung οὐκ ξ
ργων statt der paulinischen οὐκ
ξ
ργων νόμου (Gal 2.16 u.ö.) zeige, dass der Eph über Paulus hinaus den Schritt zur Verallgemeinerung der Einsicht des Paulus gemacht habe. Ihm gehe es nicht mehr wie Paulus um die Problematisierung der Praxis trennender Gesetze, sondern um die universale Beschreibung des geschenkhaften Charakters des Heils. ‘… by universalizing the particular concerns of the earlier Paul (2.1-10), and by separating them from these particular concerns (2.11-22), the writer provides one of the classic statements of justification by faith as a universal and fundamental principle which should underlie any realistic religion’.Footnote 24
1.2. Metaphorik als Zugang zur Auslegung des Textes
Diese Diskussion zeigt, dass es heuristisch nicht mehr hilfreich ist, die paulinische ‘Rechtfertigungslehre’ an den Epheserbrief als Kanon anzulegen, da diese selbst in ihrer Rekonstruktion umstritten ist.Footnote 25 Dies belegen auch die sich widersprechenden Rückschlüsse vom Epheserbrief auf die Theologie des Paulus, sehen sich doch die einen darin bestätigt, dass Paulus bereits diese allgemeine Rechtfertigungskonzeption vertreten habe, die anderen darin, dass Paulus das Thema spezifisch auf die Situation von Juden und Heiden bezogen habe. Ich möchte daher hier einen anderen Weg einschlagen, nämlich die Sätze Eph 2.8-10 in ihrem Wortlaut und Kontext auszulegen, also zunächst im Rahmen von 2.1-10 und dem Briefganzen. Es wird hier nicht bezweifelt, dass Eph 2.1-10 in Redeweise und Wahl der Metaphorik von dem Text Kol 2 angeregt wurde, der seinereits auf Röm 6 rekurriert, bzw. dass Eph 2 direkt von Röm 6 beeinflusst wurde.Footnote 26 Bestritten ist aber, dass die aufgenommene Tradition auch die intendierte Lektüre determiniert.Footnote 27 Diese ergibt sich vielmehr durch die kontextuelle Rezeption, und deshalb ist hier konkret gefordert, die Metaphorik von Eph 2.1-10 als solche, d.h. als MetaphorikFootnote 28 und in ihrer Eigenständigkeit zu würdigen. In der skizzierten Diskussion wird die Differenz der Metaphorik zur paulinischen Rechtfertigungsmetapher ignoriert und die bildliche Aussage des Eph vom Kolosserbrief her verstanden. Doch sind Metaphern im Sinne der modernen Würdigung dieser Sprachform nicht nur didaktische oder rhetorische Einkleidungen, die auswechselbar wären durch Wahl eines anderen Bildspendebereichs oder gar ‘eigentliche Sprache’,Footnote 29 noch sind sie durch die Metapherntradition im Verständnis festgelegt, sondern primär durch den Aussagekontext bestimmt. Metaphern sind in der Interaktion von Bildspender und Bildempfänger unhintergehbar als Sprachform zur Beschreibung des Neuen, und sie wirken zugleich selbst auf die Konzeption, indem sie das Besprochene erst begreifbar machen.Footnote 30
Erst wenn Eph 2.8-10 in seinem Kontext interpretiert ist, lässt sich diskutieren, ob die so vermittelte Intention in den Homologumena des Paulus in anderer Form begegnet und wie sich die Rezeption der paulinischen Theologie im Epheserbrief daher skizzieren lässt. Dieser Weg führt die vorliegende Exegese zu der These, dass der Eph zwar paulinische Formulierungen aufnimmt und Aussagen des Kol verarbeitet, aber nicht, um diese zu repetieren oder sich ein paulinisches Aussehen zu geben, sondern im Interesse einer eigenständigen Argumentation: Es gilt ihm, nachdrücklich zu betonen, dass die Menschen jüdischer wie nichtjüdischer Herkunft von sich aus nicht in der Lage sind zu einem gottgefälligen Leben, sondern Gott sie mit der Auferweckung Jesu Christi gerettet und zu einem neuen Leben befähigt hat. Die Größe der Gnade Gottes steht im Zentrum der Argumentation; Ziel der Argumentation ist es aber zu begründen, warum die so Geretteten gute Werke tun können und sollen.
2. Eph 2.8-10 im Kontext von 2.1-10
Der zur Diskussion stehende Abschnitt des Epheserbriefes folgt der großen Eingangseulogie (1.3-14) und Danksagung (1.15-23), welche bereits die Erwählung und Erlösung der jüdischen und dann auch nichtjüdischen Menschen durch Gott in Christus in der dem Brief eigenen plerophoren Weise beschrieben. Bevor der Brief in 2.11-22 sein Anliegen, das ‘Zusammenwachsen’ der Gemeinschaft aus dem Judentum und aus den Völkern, anspricht, wendet er sich in 2.1-10 an die Adressatinnen und Adressaten, um ihnen ihre individuelle Rettung in Erinnerung zu rufen. Auch diese Vergegenwärtigung der Rettung aus Gottes Gnade trägt, wie die folgende Auslegung zeigen wird, zu den Briefanliegen bei: der Einheit der jüdischen und nichtjüdischen Menschen in Christus und der Ermahnung zu einem Leben entsprechend dem Willen Gottes.
2.1. Vorher—nachher: Zum Ziel der Verse (V.1-3.10)
V.1-3 blickt zurück auf die Zeit vor der Bekehrung und stellt mit V.10 zusammen eine große inclusio dar.Footnote 31 Diese macht in einer rhetorischen Klimax den großen Unterschied zwischen Einst und Jetzt sichtbar und damit die Bedeutung der Bekehrung: In Erinnerung gerufen wird in V.1-3 das einstige Leben (ποτϵ)Footnote 32, und es wird rhetorisch wirkungsvoll in seiner Hoffnungslosigkeit präsentiert: Als Anakoluth, als Satz ohne Subjekt im HauptsatzFootnote 33 und als einer der wenigen Sätze des Briefes, in denen weder Gott, Christus noch heiliger Geist erwähnt werden. Ganz anders wird dann der Schlusssatz 2.10 ‘uns’, Gott, Christus und die guten Werke syntaktisch durchkonstruiert korrelieren. Eph 2.1-10 beschreibt so die Wende vom Wandel (πϵριπατῆσαι) in den Sünden und Übertretungen bzw. vom Leben (ἀναστραϕῆναι) in den Begierden des Fleisches (V.3) zu dem Ziel (V.10), nun als Gerettete, als Geschöpf Gottes (Präs. σμϵν) in den guten Werken zu wandeln (ἵνα πϵριπατήσωμϵν), die Gott bereitet hat und zu denen die Bekehrten geschaffen wurden.
Damit ist bereits das Grundanliegen beschrieben: Nicht die Frage des Heils an sich, sondern die tätige Konsequenz der Rettung aus ethischer Hoffnungslosigkeit stellt das Ziel der Aussage dar. Die im Mittelpunkt dieser Untersuchung stehenden Äußerungen V.8f dienen diesem Ziel, denn sie begründen, warum eine Gottes Forderungen entsprechende vita activa nun möglich ist.
2.2. Ihr und wir alle: Zur Unterscheidung von Nichtjuden und Juden (V.1-3)
Hier ist freilich noch etwas zu präzisieren, was die Beschreibung der Vergangenheit angeht und damit den Auftakt der Verse: Das Gegenüber von betonter Anrede ὑμᾶς (V.1) und dem emphatischen ἡμϵῖς πάντϵς (V.3) deutet auf eine Differenz der Extension zwischen der 2. Pers. Pl. und der 1. Pers. Pl. hin. Es ist—anders als von vielen Auslegern unterstelltFootnote 34—zu unterscheiden zwischen einem inklusiven ‘wir alle’, in das sich der fiktive Adressant, der Judenchrist Paulus, einschließt,Footnote 35 und der exklusiven Adresse an die Angeredeten, die als nichtjüdische Christusgläubige entworfen werden (3.1) und auch im vorausgehenden Briefsegment (1.15ff) bereits spezifisch angesprochen wurden.
Die Frage, ob der Brief Christusgläubige jüdischer Herkunft (‘wir’) von solchen heidnischer Herkunft (‘ihr’) unterscheidet, stellt sich bereits bei der Eulogie, die nach Ausführungen in der 1. Pers. Pl. in 1.13 zur Anrede ‘auch ihr’ wechselt.Footnote 36 In 2.1-3 ist aber auch unabhängig von der Entscheidung über die Eulogie der Referenzwechsel durch den deutlichen Wechsel zum alle inkludierenden ἡμϵῖς πάντϵς indiziert, und so präludiert der Auftakt zu 2.1-10 die Thematik von 2.11-22, wo der Unterschied zwischen Christusgläubigen jüdischer und nichtjüdischer Herkunft und deren Aufhebung heilsgeschichtlich-kollektiv entfaltet wird.
Zwar wird die Differenz zwischen Nichtjuden und Juden im nächsten Satz nivelliert. Denn das, was in V.1 zunächst über die Adressatinnen und Adressaten gesagt ist (καὶ ὑμᾶς ὄντας νϵκροὺς τοῖς παραπτώμασιν καὶ ταῖς ἁμαρτίαις ὑμῶν), wird in V.5 analeptisch und konzessivFootnote 37 wiederholt in der 1. Pers. Pl. (καὶ ὄντας ἡμᾶς νϵκροὺς τοῖς παραπτώμασιν). So wird im Fortgang des Textes deutlich, dass die Beschreibung als ‘tot in Sünden’ schließlich unterschiedslos für die Vergangenheit aller Christusgläubigen gilt. Doch zeigt sich die Pointe der Verse gerade, wenn man V.1f als Aussage über die spezifisch nichtjüdische Fehlorientierung liest. Denn der Autor beschreibt in V.2 die Größen, an denen sich die nichtjüdischen Adressatinnen und Adressaten in der Vergangenheit orientierten, als Weltmacht, welche die ‘Kinder des Ungehorsams’ auch ‘jetzt’ noch beherrscht.Footnote 38 Jüdischen Menschen hingegen wird diese Orientierung an dieser Welt und ihrem Beherrscher nicht unterstellt.Footnote 39 Ihnen wird nur in der Subsumption unter das ‘Wir alle’ in V.3 vorgeworfen, den Begierden der σάρξFootnote 40 zu folgen, den Willen des Fleisches zu tun—sc. statt den Willen Gottes, der ihnen aus dem Gesetz bekannt war.
Im Duktus der Briefargumentation hat der erste Satz V.1-3 damit die Funktion darzustellen, dass zwar die nichtjüdischen Adressatinnen und Adressaten in ihrer Vergangenheit den Gottesglauben verfehlten, aber die jüdischen Menschen de facto ihnen im ethischen Leben nichts voraushatten. Ohne erkennbar zwischen jüdischen und nichtjüdischen Menschen zu unterscheiden, schließt er: ‘Wir waren von Natur aus Kinder des Zorngerichts wie auch die Übrigen’ (V.3fin). Das erinnert an die Analyse des Paulus in Röm 1-3, die zu dem Schluss kommt, dass alle unterschiedslos sündigten (3.22f). Hier wird freilich anders als in Röm 2f keine Kraft darauf verwendet, das ethische Defizit der jüdischen Menschen zu belegen, sondern dieses schlicht konstatiert, um etwas anderes herauszuarbeiten: Wie nötig die Rettung aller war und dass sie diese doch nicht aus eigenem Vermögen erwirken konnten.
2.3. Tot und lebendig gemacht: Zur Metaphorik
In der Analyse wurde die Metaphorik des Textes bislang nur nachgesprochen: ‘Tot durch Übertretungen’ verbildlicht die Situation der jüdischen wie nichtjüdischen Menschen ante Christum. Doch die Metaphorik dient nicht nur dazu, die Situation von jüdischen wie nichtjüdischen Menschen hyperbolisch zu egalisieren, sondern sie wird weitergeführt in der Beschreibung der christologischen ‘Wende’ in 2.5f, der Bedingung der Möglichkeit zu dem ethischen Handeln, auf das der Text zielt. Der Epheserbrief nimmt hier eine Formulierung von Kol 2.13 auf, die aber ihrerseits zu einem Bildfeld gehört, einer geprägten Metaphorik: Es ist die metaphorischen Zeichnung der sündigen Existenz als Totsein und der Rettung aus diesem Zustand als Weg vom Tod zum Leben.Footnote 41 Dieses Bildfeld und seine spezifische Aneignung in Eph 2 wurden m.E. in der Auslegung zu wenig beachtet.
‘Totsein’ wird in V.1-3 zum Bildspender,Footnote 42 um die Situation der sündigen Menschen zu beschreiben. ‘Tot durch Übertretungen’ lässt den biblischen Gedanken anklingen, dass der Tod der Sünde folgt.Footnote 43 Anders als wir assoziieren mögen, ist Totsein für die Antike nicht vor allem Passivität, sondern Getrenntsein vom Leben. Der tote Leichnam gilt den Kulturen der Antike als unrein. Und die Unterwelt, Scheol oder Hades, lässt die Toten von dort nicht mehr entkommen. Die Beschreibung als ‘Tote’ verdeutlicht, dass die sündigen Menschen in einer vom Leben und von Gott getrennten Welt wandeln:Footnote 44 Sagt V.2, dass die nichtjüdischen Menschen dem Äon dieser Welt folgen, so verallgemeinert V.3, dass alle, auch die jüdischen Menschen, ihrem eigenen Willen verhaftet sind. Sie sind Kinder des Ungehorsams, natürlich gegenüber Gott, und insofern tot.
Rettung kann es nur durch Gott geben: Er wird schon in den Psalmen als der angerufen, der vom Tode errettet bzw. aus dem Hades herausführt,Footnote 45 und in neutestamentlicher Zeit wird Gott immer öfter apostrophiert als der, der die Toten lebendig macht.Footnote 46 Und so wird die Rettung aus dem Tod zum Leben zur Metapher für den Weg aus der Gottferne zu Gott. Der Vater des verlorenen Sohnes, der ausruft: ‘Dieser mein Sohn war tot und ist wieder lebendig geworden’ (Lk 15.24), nimmt diese Tradition auf. Und der Beter der Hodayot schildert seinen Weg in die Gemeinschaft als Weg von der Totenwelt, dem Staub, in ewige Höhen (1QHa XI,19-21).Footnote 47 Auch die Erzählung von Josef und Aseneth verwendet unter anderen Metaphern die Tot-lebendig-Metapher. Im ‘Todesbereich’ ist hier der Götzenkult, ‘stumme und tote Götzenbilder habe ich verehrt’ (11.8), sagt Aseneth rückblickend. Joseph bittet für Aseneth mit Worten, die die Schöpfungsmetaphorik mit der Tod-lebendig-Metapher mischen, dass Gott sie wieder lebendig mache.Footnote 48 Während hier nur die Nichtjüdin dem Todesbereich entnommen werden muss, sind für den Epheserbrief jüdische wie nichtjüdische Menschen ‘tot durch Sünden’. Und anders als diese Texte nimmt Eph 2.5 die Erwartung der endzeitlichen ‘Totenauferweckung’Footnote 49 auf.
Diese Hoffnung auf ein postmortales Leben ist in vielen Schriften des Frühjudentums bezeugt und findet in der Zeit der Religionsverfolgung unter den Seleukiden klare Konturen, wenn auch keine konsistente Ausformulierung (Dan 12.1-3; 2 Makk 7). Deutlich ist aber, dass die Hoffnung auf Auferweckung individueller Toter sich verbindet mit der Erwartung einer Kompensation von Unrecht: Menschen, die für ihre Gesetzestreue sterben, werden von Gott wieder mit Leben beschenkt werden. Auferstehung zum Leben ist also eigentlich Hoffnungsgut nur für die Gerechten,Footnote 50 nicht für ‘durch Sünden Tote’. Wider alle Logik ist es, dass Gott sie auferweckt—darin liegt also die Pointe des Textes. Und so wird, wenn endlich in V.4 Gott als handelndes Subjekt auftritt, sogleich in plerophoren Worten herausgestellt, dass sein Eingreifen allein aus Erbarmen und seiner Liebe zu ‘uns’ geschieht, ‘durch die Güte zu uns in Christus Jesus’ (V.7fin).
Hier findet die jüdisch belegte Hoffnung auf Gott, der den sündigen Menschen aufgrund seiner erbarmenden Gnade rettet, eine spezifisch christliche Begründung. Jesu Restitution, das geschichtliche Heilsdatum, wird zum Bildspender für die Gnadentat Gottes an den Glaubenden. Denn die Beschreibung der Auferweckungstat Gottes spielt auf das Geschick Jesu an, wie es in Eph 1.20f erzählt wurde. So wird der Weg aus dem Totsein durch Sünden interpretiert als Teilhabe an der Erweckung und Einsetzung Christi in den Überhimmeln.
Die Differenz zur Metaphorik in Röm 6 und Kol 2 ist deshalb nicht zu nivellieren. Im Blick ist nicht das Sterben als Akt, der vom Alten befreit und insofern positiv ist (Röm 6.6f; vgl. 7.1-6; 2 Kor 5.14ff), sondern negativ gedeutetes Totsein. Und aus Kol 2.12f übernimmt der Eph zwar die Rede vom Totsein, nicht aber die Beschreibung der Taufe als BeschneidungFootnote 51 und Teilhabe am Begrabenwerden (2.13). Daher ist auch nicht aus der literarischen Abhängigkeit von Kol 2 und Röm 6 zu folgern, dass die Lesenden hier an die Taufe denken sollen.Footnote 52 Denn weder fällt das Stichwort βαπτίζϵιν κτλ. wie in Röm 6.3-11 und Kol 2.12, noch begegnet die dortige Metaphorisierung des Taufritus.Footnote 53 Im Zentrum der Metaphorik des Eph steht vielmehr die ausweglose Situation des Menschen ante Christum: Tot in Sünden lag es nicht in seiner Hand, gottgemäß zu leben, woraus folgt, dass nur Gottes Eingreifen eine Änderung ermöglichte. Dieses Handeln Gottes wird in Anspielungen auf das Christusgeschick beschrieben und so in intratextuellem Bezug auf Eph 1.20f interpretiert als Teilhabe an der Wiedererweckung und Einsetzung Christi in den Himmeln. Das geschichtliche Ereignis der Auferweckung Jesu durch Gott ist damit der Angelpunkt der Erneuerung. Wie und in welcher Weise die Adressatinnen und Adressaten dieses ‘Mitlebendigmachen, Miterwecken, Miteinsetzen in den Überhimmeln’Footnote 54 durch Gott im eigenen Leben erfahren, lässt der Text offen; hingewiesen wird nur mit διὰ πίστϵως V.8a auf den Glauben.
2.4. ‘Aus Gnade gerettet’: Teil der Tot-lebendig-Metaphorik (2.5, 8f)
Der Zweifel daran, ob der Epheserbrief der paulinischen Theologie entspricht, regt sich nicht nur angesichts der Vergangenheitstempora συνήγϵιρϵν und συνϵκάθισϵν:Footnote 55 Während Paulus in Röm 6.5 sagt, dass die getauften Menschen, die der Sünde gestorben sind, an der Auferstehung zukünftig teilhaben werden, spricht Eph 2.5f mit Kol 2.12f von der Auferweckung und Gottes Mitlebendigmachen im Aorist. Eph 2,5f geht sogar über Kol 2 hinaus mit der Aussage ‘miteingesetzt in den Überhimmeln’. Auch der bereits erwähnte Widerspruch zum Tempusgebrauch des Paulus in Röm 5.8-10 irritiert, heißt es doch in Eph 2.5, 8 perfektisch und in betonender Wiederholung τῇ γὰρ χάριτί στϵ σϵσῳσμ
νοι.Footnote 56 Die als parenthetischer ‘Zwischenruf’Footnote 57 bereits auffallende Formulierung V.5 wird anaphorischFootnote 58 mit der Ergänzung διὰ πίστϵως wieder aufgenommen in V.8.
Lesen wir diesen Satz jedoch im vorliegenden semantischen Kontext statt nur als Niederschlag paulinischer Redeweise, dann stellt sich ein anderer Zusammenhang ein als die Rechtfertigungsbotschaft.Footnote 59 Die juridische Metaphorik spricht von Gerechtigkeit, von Anklage, Gericht, von Verfehlung, Straferlass (Röm 2.1-16; 3.25b)—um nur einige Begriffe des semantischen Feldes zu nennen—;Footnote 60 σῴζϵιν hingegenFootnote 61 weist auf die Rettung aus Lebensgefahr, vor dem Tod oder aus Krankheit, die in der biblischen Überlieferung von Gott erwartet wird.Footnote 62 Der Zusammenhang von Glaube und Rettung ist vielfach (und auch bei Paulus) belegt, ist es doch ‘…ein allgemeiner frühchristlicher Sprachgebrauch, der “Glaube” (πίστις/πιστϵύϵιν) und “Rettung” (σωτηρία/σῴζϵιν) in einen unmittelbaren Tat-Folge-Zusammenhang bringt’.Footnote 63 Die perfektische Aussage σϵσῳσμνοι und die Verbindung mit πίστις ohne Objekt hat ihre nächste Parallele gar nicht in den Paulusbriefen, sondern in Heilungserzählungen der Evangelien. Hier wird mit eben diesen Worten davon gesprochen, dass sich die Heilung dem Vertrauen der Heilungssuchenden in Jesus oder Gott verdankt.Footnote 64 Diese sprachliche Verwandtschaft legt nahe, σϵσῳσμ
νοι in Eph 2.5, 8 nicht vom paulinischen Sprachgebrauch her, sondern zunächst als Teil des Bildspendebereichs der Tot-lebendig-Metaphorik zu lesen: Ihr seid durch euren Glauben gerettet, d.h. ins Leben zurückgebracht.Footnote 65 So fügt sich σϵσῳσμ
νοι in V.5 zwischen συνϵζωοποίησϵν und συνήγϵιρϵν, die den Weg der Rettung als Partizipation am Jesusgeschick interpretieren. Die einstmals Toten hat Gott mit Christus lebendig gemacht, zum Leben erweckt, aus dem Tod gerettet. Diese Metaphorik legt kein Augenmerk auf die Differenzierung zwischen Rechtfertigung und noch ausstehender, aber bereits verbürgter endzeitlicher Rettung vor dem Zorngericht wie Röm 5.8-10. Sie beschreibt auch nicht eine Befreiung, einen Herrschaftswechsel wie Röm 6.1-11.Footnote 66 Sie verbildlicht vielmehr die von Gott geschenkte Möglichkeit zum Neubeginn, die nicht aus eigenen Kräften zu erreichen wäre, so wenig, wie ein toter Mensch sich selbst zum Leben erwecken kann.
διὰ πίστϵως weist darauf hin, dass der Mensch aufgrund seines Vertrauens gerettet wurde.Footnote 67 Diese Wendung erinnert zwar an paulinische Terminologie,Footnote 68 doch bleibt sie ohne Prägnanz. Es fehlt das Objekt der πίστις, es bleibt aber vor allem offen, wie sich χάρις und πίστις, Gnade Gottes und Glaube oder Vertrauen des Menschen, ursächlich und zeitlich zueinander verhalten.Footnote 69 Im Bildspendebereich der übergreifenden Metaphorik ist beides nicht vermittelt, da den ‘in Übertretungen Toten’ kein Glaube eignen kann. Die metaphorische Redeweise lenkt also das Augenmerk nicht auf das Vertrauen der Menschen, sondern auf die Gnade Gottes, wie V.8b-10 zeigt;Footnote 70 dies ist nun genauer zu betrachten.
2.5. Gottes Gnadenhandeln: Das Zentrum des Textes
V.8a unterstreicht durch die Analepse mit Determination, dass die Glaubenden eben durch diese χάρις, die in der Beschreibung des göttlichen Wirkens ansichtig wurde, gerettet sind. V.8b-9 entfalten, was χάρις und die Metaphorik implizieren:Footnote 71 Dass es allein Gottes Initiative ist, Ausdruck seines reichen Erbarmens, seiner sich in Taten niederschlagenden Liebe (V.4). Diese auch den herankommenden Zeiten zu demonstrieren,Footnote 72 ist eine Wirkung dieses Handelns Gottes, das auch als Milde (χρηστότης, 2.7) beschrieben wird. Hier wird implizit hörbar, dass sich die Gnade Gottes in der Vergebung des sündigen Lebens äußert (vgl. so explizit 1.7). Doch die Vorstellung, neu zum Leben erweckt zu sein und mit Christus zur Herrschaft eingesetzt zu sein (V.6b),Footnote 73 will mehr als die Vergebung der Sünden beschreiben: Die auf das Sein zielenden Metaphern beschreiben die Chance dieses Lebens, zu handeln im Sinne Gottes.
V.8b unterstreicht, dass sich kein Mensch diese Rettung selbst zuschreiben kann. ‘Nicht aus euch’, ‘nicht aufgrund von Taten’,Footnote 74 ‘Gottes Geschenk’Footnote 75 ist dies—und so kann sich keiner rühmen. Deutlich wird zwar, dass die πίστις kein ργον ist, aber zur Rettung hinzugehört. Doch der Ton liegt nicht auf der Gegenüberstellung von
ργα und πίστις,Footnote 76 sondern von
ργα und χάριςFootnote 77 (vgl. so Röm 11.6). Die
ργα, parallel zu ὑμϵῖς,Footnote 78 sind nicht nomologisch qualifiziert,Footnote 79 sondern beschreiben menschliche Taten, eine Wirksamkeit überhaupt:Footnote 80 Die Rettung verdankt sich keinem menschlichen Tun, sondern allein der Gnade Gottes, seinem Geschenk.
Selbstruhm ist daher ausgeschlossen (V.9b). Die Schlussfolgerung ἵνα μή τις καυχήσηται greift gewiss paulinische Formulierungen auf.Footnote 81 Sie erinnert vor allem an 1 Kor 1.29-31 und in der Sache an 1 Kor 4.7, ist jedoch nicht mehr als eine knappe Anspielung.Footnote 82 Denn es fehlt der Adressat des Rühmens—Gott oder die Mitmenschen—, und das Objekt des Rühmens, an dem sich im paulinischen Sprachgebrauch entscheidet, ob es positiv oder negativ zu bewerten ist, bleibt ebenfalls indifferent. Als Fortsetzung von V.9a ist zu hören, dass sich niemand irgendwelcher Taten rühmen kann. Doch im Vorlauf zu dem begründend angeschlossenen V.10a geht es darum, jeglichen Selbstruhm auszuschließen, verdankt sich doch der Mensch mit seiner Fähigkeit zu guten Taten allein der Schöpferkraft Gottes. V.9b lässt in dieser Kürze keinen polemischen Ton wahrnehmen, als gelte es, eine aktuelle Neigung zu Selbstruhm aufgrund von irgendwelchen Werken zu kritisieren.Footnote 83
Das ‘sola gratia’ ist implizit in der Tot-lebendig-Metaphorik begründet, wonach alle Menschen ‘tot in Übertretungen’ (V.3, 5) sind, sich folglich nicht selbst retten können. Die mit der Eingangsmetapher gesetzte Behauptung, dass der Mensch unfähig ist, etwas zu seiner Rettung zu tun, wird ihrerseits aber nicht anthropologisch hergeleitet. Es fehlt jeder Versuch der Begründung, wie ihn Paulus in Gal 2.16-21 oder Röm 1.18-3.20 oder 7.7ff entwirft im Blick auf die Rolle des Gesetzes, aber auch eine mythologische Deutung wie in Röm 5.12-21; 1 Kor 15.21f. Darum ist dem Brief nicht zu unterstellen, dass er hier im Gefolge des Paulus, aber abstrahierend von dessen konkreter Auseinandersetzung um die Geltung des Gesetzes in einer aktuellen Diskussion das Wort ergreift, um die Meinung zu bekämpfen, dass der Mensch durch ein Werk sich seiner Rettung vergewissern könnte.Footnote 84 Es sei einmal dahingestellt, ob es Paulus darum ging—das Ziel der Argumentation des Eph liegt jedenfalls nicht im Abweis einer ‘Werkgerechtigkeit’, sondern mit V.10 in der Konsequenz, gute Taten zu tun.
In V.10 nimmt der Brief eine andere Metaphorik auf, indem er die Geretteten als Gottes Geschöpf bezeichnet. Der Singular weist voraus auf die Vorstellung vom einem neuen Menschen aus jüdischen und nichtjüdischen Menschen (2.15), knüpft aber auch an die Rede vom ργον an: Nicht ein eigenes Produkt, sondern Gottes Werk sind die Geretteten.Footnote 85 Hier wird nicht einfach die Metaphorik der neuen Schöpfung nachgesprochen (2 Kor 5.17; Gal 6.15),Footnote 86 die eine alte Schöpfung voraussetzt, sondern mit der metaphorischen Anspielung auf die erste Schöpfung impliziert, dass Gott allein einen Anfang gemacht hat, vor dem Nichts war. Das Bild blendet mehr noch als die Eingangsmetapher vom Totsein alles Vorangehende aus. Vor allem aber wird in der ungewöhnlichen Rede von den Werken, die Gott vor den Menschen in Christus erschaffen hat,Footnote 87 damit die Glaubenden in ihnen, statt wie einst in den Übertretungen wandeln, noch einmal die Größe der göttlichen Gnade sichtbar: Gott selbst hat nicht nur den Menschen als handlungsfähiges Geschöpf in Christus erschaffen, sondern auch noch das, was die Menschen tun sollen!Footnote 88
Gemäß der ‘Logik der Gabe’ muss der Mensch auf das Geschenk Gottes, die Erweckung zum Leben und die Schöpfung zu guten Werken, antworten, indem er in diesen wandelt. Damit wird noch einmal deutlich, dass es dem Eph nicht um eine Kritik menschlicher Hybris geht, sondern um die auf Gottes Gnade antwortende Ethik.
3. Rückblick: Die Aussagen und das Anliegen des Paulus
Fassen wir die Ergebnisse der Interpretation zusammen, um dann zur Frage zurückzukehren, wie sich Eph 2.8-10 zur Theologie der authentischen Paulusbriefe verhält. Für das Verständnis zentral ist einerseits der Aufbau des Textes, d.h. die bestimmende Inklusion V.1-3, 10, andererseits die dominante Metaphorik von Totsein und Errettung zum Leben. Die Analyse zeigt, dass der Text auf die Grundlegung der Ethik zielt, den Lebenswandel ‘in den guten Taten, die Gott bereitet hat’ (V.10), der hier wie in der ausführlichen Paränese Kap.4-6 mit dem Stichwort πϵριπατϵῖν entfaltet wird.Footnote 89 Im Mittelpunkt der Inklusion steht die auch theologisch zentrale Begründung dafür, wie die in dem ‘Wir’ zusammengeschlossenen Christusglaubenden nun zu einem solchen Leben fähig sind. Das Argument ist bereits implizit mit der Metapher gesetzt, durch das wiederholte ‘durch Gnade seid ihr gerettet’ aber auch expliziert: Aus der metaphorischen Beschreibung aller Menschen, jüdischer wie nichtjüdischer gleichermaßen, als ehedem ‘tot’ in den Sünden folgt, dass die Menschen unfähig sind, von sich aus Leben zu finden. Dieses neue Leben wird via negativa, durch die Gegenüberstellung zum ‘Totsein in Sünden’, ethisch qualifiziert. Wer tot durch Sünden ist, ist unfähig zu einem wahren Leben vor Gott, aber auch dazu, dieses Leben von sich aus, ‘aus euch’ (ξ ὑμῶν) oder ‘aus eigenem Tun’ (
ξ
ργων) zu erreichen. Rettung aus dem Tod kommt von Gott durch sein Handeln in Christus, ist Geschenk aus dem Reichtum seines Erbarmens, seiner Liebe (V.4), aus der überfließenden Fülle der Gnade (V.7). Diese Errettung wird metaphorisch dargestellt als Weg vom Tod zum Leben durch Partizipation an diesem Weg Jesu Christi (V.5f). Dies ist bildlich zu verstehen, weshalb nicht bedeutet ist, dass es keinen physischen Tod mehr gibt oder die Hoffnung auf eine endzeitliche Auferweckung der Toten obsolet ist. Angesichts der Metaphorizität der Sprache verbieten sich Rückschlüsse auf eine angeblich fehlende Endzeiterwartung: Sie steht hier nicht zur Debatte.
Im Mittelpunkt des Textes steht die Gnade Gottes; ihre Überfülle zeigt sich gerade darin, dass die Menschen von sich aus nichts zu tun vermögen, und auch darin, dass Gott selbst die Werke, die ihm entsprechen, erschuf (V.10). Ein polemischer Unterton gegen eine Geringschätzung der Gnade oder ‘Werkgerechtigkeit’ ist m.E. jedoch nicht zu vernehmen. Denn schließen wir vom argumentativen Aufwand zurück auf das, was zu beweisen war, so zeigt sich, dass weder das frühere ethische Defizit der jüdischen Menschen als strittig unterstellt wird noch die Frage, ob eine Mitwirkung des Menschen zu seinem Heil oder Ruhm möglich sind. Beides wird mit der Metaphorik gesetzt und betont, aber nicht eigens begründet.
Welches individuelle Erleben des Menschen so beschrieben wird, d.h. wie der Mensch seine Errettung selbst erlebte, wird in der Metaphorik nicht sichtbar. Der Glaube wird nur am Rande dem Bild hinzugefügt, und Taufanspielungen fehlen. Die Metaphorik impliziert vielmehr die Rettungsbedürftigkeit des Menschen und zugleich seine Unfähigkeit, von sich aus etwas zu seiner notwendigen Rettung zu tun. Überdies impliziert sie in der Beschreibung der Rettung als Erweckung und Lebensgabe, dass dieses neue Leben in guten Werken nun möglich ist.
Blicken wir von hier aus zurück auf die Schriften, die uns als echte Briefe des Paulus gelten, so bleibt festzuhalten, dass sich im Blick auf die Textgenese Formulierungen in Eph 2.1-10 der Fortwirkung paulinischer Briefe einschließlich des Kol verdanken. Doch daraus folgt nicht, dass die ‘Paulinismen’ 2.8-10 den Zweck hätten, dem Brief ein paulinisches Mäntelchen umzuhängen. Das könnte nur gelten, wenn das, was später als Rechtfertigungslehre des Paulus zum Herzstück der paulinischen Theologie erklärt wurde, bereits für den Eph diese prinzipielle Rolle gehabt hätte. Der Text lässt diese Einschätzung nicht erkennen, und den ‘Mantel’ des Paulus verschafft sich der Brief bereits durch die Absenderfiktion und vor allem die Charakterisierung des Paulus als Völkerapostel (1.1; 3.1-13). Nur διὰ πίστϵως V.8 steht unverbunden im Text und könnte sich einer additiven ‘Paulinisierung’ verdanken. Aber selbst dann bleibt zu konstatieren, dass das Konzept des Glaubens nicht im Sinne der paulinischen Glaubensgerechtigkeit entfaltet wird.
Eph 2.1-10 vertritt auch in Aufnahme von Tradition sein eigenes theologisches Anliegen, wie sich bereits in der Wahl einer in paulinischer Tradition nur angedeuteten Metaphorik abzeichnet. Diese ist nicht von der Sterbemetaphorik von Röm 6 und Kol 2 her zu interpretieren. Auch ist bedeutsam, dass der Brief die juridische Sprache, die Paulus in Gal und vor allem Röm wählt, um die Situation des Menschen coram Deo und den Weg des Heils zu schildern, nicht übernimmt. Wir vernehmen darin unterschiedliche Möglichkeiten, Wirklichkeit zu entwerfen, in einer jeweils unhintergehbaren und damit nicht abstrahierbaren Bildlichkeit.
Unbenommen dessen kann gefragt werden, ob die Sicht auf Gottes gnädige Rettungstat in Jesus Christus sich theologisch mit Anliegen der Paulusbriefe trifft. Dass es problematisch ist, Eph 2.8-10 an der paulinischen Rechtfertigungslehre zu messen, war bereits eingangs angesichts der Forschungsthesen festgestellt worden.Footnote 90 Im Rückblick auf die Analyse lässt sich unterstreichen, dass der Text nicht als Beleg dafür angeführt werden kann, dass die Rechtfertigungslehre im Sinne lutherischer Tradition als Kritik an Werkgerechtigkeit unter Gegenüberstellung von Glauben und Werken rezipiert wurde. Ob der Epheserbrief die Soteriologie des Paulus im Sinne der New Perspective verstand, bleibt offen. Er richtet sich an nichtjüdische Menschen, für die die Frage nach der Gesetzeseinhaltung offensichtlich nicht problematisch war. Und wenn 2.11-22 die Rolle des Gesetzes im Sinne von ‘boundary markers’ reflektiert, so geschieht das heilsgeschichtlich, nicht individual-soteriologisch.
Mit dem Paulus der Homologumena in Übereinstimmung findet sich Eph 2.1-10 jedoch in seiner großen theologischen Linie, der anthropologischen Bewertung des Menschen, der christozentrischen Begründung des Heils und der Forderung eines Gott gemäßen Leben. Dass jüdische wie nichtjüdische Menschen gleichermaßen an Gottes Willen scheitern, hat Paulus in Röm 1-3 ausführlich dargelegt; Eph 2.1-3 setzt das einfach voraus. Dass die Befreiung von der Herrschaft der Sünde und Vergebung der Sünden dem Menschen nicht aufgrund eigener Taten, sondern aus Gnade, als Geschenk Gottes zuteil wird, entfaltet z.B. Röm 3.24f wie Röm 5.8-10. Ruhm ist daher ausgeschlossen (Röm 3.27; vgl. 1 Kor 1.29-31). Eine partizipative Christologie steht auch hinter Röm 6.3-5 oder Gal 2.19f. Dabei spielt freilich in Eph 2.1-10 der Tod Jesu keine Rolle, sondern nur die Erweckung zum Leben.Footnote 91 Und so verdeutlicht Paulus in Röm 6.4, 12-14 in anderer Metaphorik, die eine andere Logik impliziert, aber eine Eph 2.10 analoge Konsequenz hat, dass mit der Partizipation an Gottes Heilshandeln in Jesus die Bedingung zur Möglichkeit gottgemäßen Lebens gegeben und ein solches Leben aufgegeben ist.
Fundamentale Überzeugungen sind dem Epheserbrief mit den Homologumena gemeinsam. Doch unter der Maßgabe, dass die jeweilige Metaphorik irreduzibel ist, sind die Briefe in ihrer Eigenwürdigkeit zu lesen. Der Epheserbrief hat seinen Platz im Corpus Paulinum verdient, aber er verdient es auch, als eigener theologischer Entwurf gelesen zu werden.
Anhang
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Nach Sellin, Epheser, 163, 166f, zeigt sich, dass Eph 2.1 auch Röm 6.11 direkt verarbeitet habe, da hier anders als Kol 2.13 ἁμαρτίαι und die Dative ohne ν stehen.