Unter dem Exklusivitätsanspruch eines jüdischen wie judenchristlichen Monotheismus ringen Judentum und Urchristentum im 1. Jahrhundert n. Chr. um Ausmaß und Inhalt einer Integration in die plurale Gesellschaft der griechisch-römischen Antike.Footnote 1 Besondere Brisanz gewinnt die Auseinandersetzung um Möglichkeiten und Grenzen einer Teilnahme am politischen wie kultischen Leben der Mehrheitsgesellschaft angesichts des religiösen Anspruchs eines Herrschers und dessen machtsymbolisch demonstrierter Ausfaltung. Die Divinisierung des Kaisers fordert Juden wie Christen zu einer theologischen Stellungnahme heraus, die in lebenspraktischer Hinsicht juridische, wirtschaftliche und soziale Konsequenzen impliziert.Footnote 2
Die Legatio ad Gaium des Philo von Alexandria und die Offenbarung des Johannes konvergieren in dieser zentralen Thematik: Beide Werke setzen sich kritisch mit dem politischen Selbstverständnis, den religiösen Implikationen und den kultischen Ausprägungen des reichsrömischen kaiserlichen Herrschaftsanspruchs im 1. Jahrhundert n. Chr. auseinander.
1. Alexandria und Asia minor: Hintergründe und Konfliktherde
PhiloFootnote 3 schildert—ausgehend von den antijüdischen Ausschreitungen im Jahre 38 n. Chr. in Alexandria unter dem Statthalter Aulus Avillius FlaccusFootnote 4 (zwischen 32–38 n. Chr. Präfekt von Ägypten)—die Auswirkungen der zunehmenden Selbstvergöttlichung und antijüdischen Amtsführung des Kaisers Caligula. Gewährleistete die römische Staatsmacht der jüdischen Bevölkerung bisher die Ausübung ihrer religiösen Praxis und den Schutz ihrer jüdischen Identität,Footnote 5 stehen Politik und kaiserliche Herrschaftsgestaltung Caligulas konträr zur Haltung seiner Vorgänger. ‘Jews enjoyed productive and rewarding lives in the greatest of Hellenistic cities. Integration in the social, economic, and cultural life of Alexandria was open to them, and they took advantage of that opening’.Footnote 6 Nach Ansicht Philos bedrohen der Divinisierungsanspruch Caligulas und die darin ersichtliche mangelnde Sensibilität gegenüber dem jüdischen Volksempfinden die Integration der jüdischen Minorität in die plurale reichsrömische Gesellschaft und setzen die Juden weiteren gewaltsamen Übergriffen schutzlos aus. Philo sucht den ‘status quo ante’Footnote 7 wiederherzustellen. Sein Anliegen ist apologetischer Natur: Im Modus der erzählten und philosophisch wie theologisch interpretierten Geschichte verdeutlicht er die Haltlosigkeit der kaiserlichen Ansprüche, veranschaulicht das Unrecht der antijüdischen Übergriffe und verteidigt die religiöse Selbstbestimmung der jüdischen Bevölkerung. Sein Ziel ist die abermals friedliche Symbiose von jüdischer und hellenistischer Stadtbevölkerung.
Ebenso steht die Johannes-Offenbarung im Zeichen der Auseinandersetzung um den Kaiserkult. Vermutlich gegen Ende von Kaiser Domitians Regierungszeit wendet sich die Schrift an die gesellschaftlich marginalisierten Christen der reichsloyalen, kaiserkultfreudigen und prosperierenden Provinz Asia minor.Footnote 8 Als kognitive Minderheit sehen sich die Christen dem Assimilierungsdruck der reichsrömischen Mehrheitsgesellschaft ausgesetzt. Die negative Reaktion der Christen auf kulturelle Anpassungserwartungen—die Verweigerung einer Teilnahme an pagan-religiösen Vollzügen und Opferhandlungen zugunsten des Kaisers und die Ablehnung des Verzehrs von Fleisch aus der paganen Opferpraxis—führt zur sozialen Ausgrenzung und zieht in Einzelfällen Maßnahmen der Strafjustiz—wie Folter, Haft oder Hinrichtungen (Offb 2.13)—nach sich. Wenn auch von keiner generellen reichsweiten und systematischen Verfolgung der christlichen Minorität auszugehen ist,Footnote 9 so inszeniert der Seher eine solche als ‘perceived crisis’Footnote 10 in seiner symbolischen Welt. Er interpretiert die gesellschaftliche Gegenwart als endzeitliche θλῖψις und treibt den Kontrast zwischen reichsrömischer Kultur und christlicher Selbstdefinition in ein dualistisches Extrem. Unter dem Absolutheitsanspruch Gottes sieht er die christliche Minderheit in Opposition zur blasphemischen Staatsmacht und deren historischer Konkretion im Kaisertum und Kaiserkult gesetzt—religiös herausgefordert, politisch benachteiligt und wirtschaftlich übervorteilt.Footnote 11 Die Kritik des Sehers bezieht sich zum einen auf ‘die gerade in Kleinasien einflußreichen Förderer des Kaiserkults, namentlich die regionale Priesterschaft’ und zum anderen auf ‘die konkurrierende Synagoge’.Footnote 12 Mit ihrem eindeutig christologischen Bekenntnis verlassen die Christen zunehmend die auf dem schmalen Grad zwischen Assimilation und Unterscheidbarkeit errichteten, ‘bergenden Mauern der jüdischen Mutterreligion’.Footnote 13 Der Seher positioniert die Christen in einem schroffen Gegenüber zur jüdischen Synagoge, die er in den eschatologisch radikalisierten Konflikt mit der römischen Staatsmacht einzeichnet. Um die Abgrenzung von der reichsrömischen Kultur, Gesellschaft und Politik deutlich zu markieren, wendet er sich gemeindeintern gegen liberale Assimilierungstendenzen. Mit der Nennung der Nikolaiten (Offb 2.6, 15), der Gefolgsleute Bileams (Offb 2.14) und der Prophetin Isebel (Offb 2.20) kritisiert er christliche Teilgruppen, die eine kompromisshafte Teilnahme am öffentlichen und kultischen Leben der Mehrheitsgesellschaft praktizieren, um drohenden sozialen wie ökonomischen Nachteilen zu entgehen.
Dem gesellschaftlichen Anpassungsdruck setzt Johannes eine theozentrische Selbstdefinition des Christentums entgegen. Im Modus der visionären Schau entwirft er einen apokalyptischen Symbolkosmos und stellt in visionären Bildern und Zyklen das konfliktreiche Gegenüber von reichsrömischer Gesellschaft und christlichen Gemeinden dar. Als lebenspraktische Perspektive verfolgt Johannes das Ziel, als christliche Kontrastgesellschaft jedwede Teilnahme am Kaiserkult radikal zu verweigern.Footnote 14
2. Philo und Johannes: Möglichkeit und Inhalt des Vergleichs
In der Legatio ad Gaium und der Offenbarung ziehen Philo und Johannes jeweils dezidiert anderslautende Konsequenzen aus der konfliktreichen Begegnung mit dem Kaiserkult. Ihre konträren gesellschaftlichen Perspektiven und Lösungsmodelle sind religionssoziologisch auffällig und bedeutsam, denn sie durchbrechen vorschnelle Zuordnungen. Nicht der Jude Philo plädiert—wie sich erwarten ließe—aus seiner erwählungs- und bundestheologischen Überzeugung heraus und mit Blick auf die Tora als Lebensweisung für eine radikale Integrationsverweigerung und religiös ethnische Demarkation des Judentums.Footnote 15 Es ist Johannes, der die entschiedene Selbstisolation und gesellschaftliche Abgrenzung der kleinasiatischen Christusgläubigen fordert und mit dieser ethisch-religiösen Selbstdefinition auf weit ‘jüdischerem’ Boden steht als der Diasporajude Philo. Das Werben Philos um eine kritische Inkulturation des Judentums ist ansonsten gut bezeugter Teil urchristlicher Argumentationsmuster (1 Petr 2.11–17). Dagegen spiegeln sich im Identitätsbewusstsein des Sehers Johannes und in seiner radikalen Markierung politischer, religiöser und kultischer Unterschiede die Haltung und Praxis des Judentums als VolksgemeindeFootnote 16 wider. Damit strengt Philo jene Aussöhnung mit der pagan geprägten Stadtgesellschaft an und sucht gegenüber dem kaiserlichen Herrschaftsanspruch und dessen religiös-kultischer Ausprägung nach einer loyalen Verhaltensweise, vor denen der Seher Johannes die christliche Minorität Kleinasiens gerade warnt. Immer jedoch steht eine religiöse Minderheit inmitten einer—in den Loyalitätserwartungen des römischen Staatswesens geeinten—pluralen Lebenswelt, deren vielfältige pagan-religiöse Vollzüge den Ausschließlichkeitsanspruch einer monotheistischen Grundüberzeugung herausfordern.
Ein Vergleich zwischen Philo und Johannes muss von der—sie verbindenden—jüdischen Herkunft, monotheistischen Grundhaltung und dem damit vorhandenen Konfliktpotential gegenüber den Selbstvergöttlichungsansprüchen des Kaisers ausgehen. Von dieser gemeinsamen perspektivischen Basis her lassen sich die Unterschiede in der Wahrnehmung, Darstellung und Lösung der Auseinandersetzung in den Blick nehmen, religionsgeschichtlich verorten und in eine aussagekräftige Beziehung setzen. Es gilt zu bedenken, dass Philo und Johannes in zeitlicher Distanz zueinander stehen. Beide schreiben unter verschiedenen Kaisern. Ihre Schriften erwachsen unterschiedlichen kulturellen Kontexten und richten sich an jeweils andere Adressaten. Aber die gegensätzliche Wahrnehmung und Deutung des Kaisertums ist damit noch nicht zureichend erklärt. Die Divergenz der vorgeschlagenen gesellschaftlichen Lösungsmodelle lässt sich nicht allein auf die zeitliche oder räumliche Distanz der beiden Autoren zurückführen, denn Philo und Johannes bleiben—zumal auf dem Hintergrund einer monotheistischen Grundhaltung—in der gesellschaftlichen Marginalisierung ihrer religiösen Minorität und der thematischen Fokussierung der kaiserlichen Herrschaftsansprüche geeint. Ebenso ist die unterschiedliche Reaktion der beiden Autoren nicht allein aus der Schärfe des jeweiligen Konflikts zu erklären, denn der zwar exzeptionellen, aber doch akuten Bedrohung des Diasporajudentums in Alexandria erwächst der loyale Vorschlag Philos, während eine keineswegs akute Verfolgungssituation Johannes zur radikalen gesellschaftlichen Selbstisolation animiert. Die Unterschiede beginnen bereits in der Wahrnehmung der Krise, setzen sich in der literarischen Darstellung und Deutung fort und führen zu jeweils anderslautenden gesellschaftlichen Lösungsmodellen. Welche Faktoren bestimmen—unter Voraussetzung der skizzierten gemeinsamen Vergleichsbasis—die konträren gesellschaftspolitischen Konzepte? Von welchen gesellschaftlichen Standpunkten aus nehmen Philo und Johannes den Konflikt wahr? Welchen Einfluss hat ihre geistesgeschichtliche Beheimatung auf die verwendeten literarischen Mittel und die lebenspraktische Handlungsperspektive, die sie in ihren Schriften entwickeln? Wie lassen sich die Unterschiede in der Wahrnehmung, Darstellung und Lösung des Konflikts erklären?Footnote 17
3. Standpunkte: ad Gaium und in insula
Öffentliches Leben und intellektuelles Schaffen Philos bewegen sich zwischen ‘der Assimilation an die griechische Kultur und einer für traditionell gehaltenen jüdischen Lebensweise’.Footnote 18 Philo entstammt einer angesehenen jüdischen Familie in Alexandria und wurde ‘in allen Disziplinen des antiken griech.-röm. Erziehungswesens’Footnote 19 (ἐγκύκλια παιδεία) unterrichtet. Philo sucht den Ausgleich: Er ist prominenter Vertreter der jüdischen Synagoge und hat keine Berührungsängste im Umgang mit der griechisch-hellenistischen Kultur. Er berichtet von seiner Teilnahme an Banketten, Festen, Spielen und Theatervorführungen (Leg. 3.155–156; Ebr. 177; Prob. 26, 141).Footnote 20 Theologisches Zentrum seiner philosophischen wie exegetischen Werke ist die Tora, deren Offenbarungsgehalt er derart weit fasst, dass in ihr bereits alles vorgezeichnet ist, was die griechische Philosophie lehrt. ‘Von Mose lernten die wirklich führenden griechischen Philosophen’.Footnote 21 Die Bedeutung philosophischer Erkenntnis liegt für Philo im Wesen der göttlichen Offenbarung begründet. Ideen und Elemente des Mittelplatonismus, der Stoa und des Aristoteles dienen ihm als Mittel der Vernunft, das in der Tora enthaltene Naturgesetz philosophisch zu erläutern.Footnote 22 ‘Das Ergebnis ist eine Gedankenwelt, die wie eine Synthese aus griech. und biblischem Gedankengut anmutet’Footnote 23 und für Philo den Charakter der göttlichen Offenbarung widerspiegelt.
In der Überzeugung, dass das griechisch-philosophische Denken den Inhalt und Glauben der Tora stützt und entfaltet, entwickelt Philo jüdische Identität im selbstbewussten Dialog mit seiner Umwelt. Um das Ansinnen Caligulas, sich als Gott verehren zu lassen, ironisch zu parodieren (Legat. 74–113), greift er auf heidnische Göttervorstellungen zurück. Unter Heranziehung griechisch-hellenistischer Ideen und der Vorstellungen des griechisch-römischen Götterhimmels deckt er den charakterlichen Widerspruch in der Selbstvergöttlichung des Gaius auf und demaskiert dessen Hybris. Der Kaiser ‘darf keinem der Götter und auch keinem der Halbgötter gleichgesetzt werden’. Er unterscheidet sich von ihnen seiner ‘Natur’, seinem ‘Wesen’ und seiner ‘Denkart’ nach (ἆρά γε ἤδη μεμαθήκαμεν ἐκ τούτων, ὅτι οὐδενὶ θεῶν ἀλλ᾽ οὐδὲ ἡμιθέων ἐξομοιοῦσθαι δεῖ Γάιον, μήτε ϕύσεως μήτε οὐσίας ἀλλὰ μηδὲ προαιρέσεως τετυχηκότα τῆς αὐτῆς; Legat. 114, ebenso dazu 78–92, 93–113). In seiner charakterlichen Verruchtheit, die in der schonungslosen Beseitigung seiner Gegner (Legat. 22–73), seinem ausschweifenden Lebensstil (Legat. 14) oder seiner von politischen Intriganten fehlgeleiteten Politik (Legat. 166–171, 197–206) offensichtlich wird, lässt Caligula keine den Göttern zugeschriebenen positiven Eigenschaften erkennen. Indem Philo seine Darstellung auf mythologisches Gedankengut und im Hellenismus allgemein anerkannte ethisch-humane Werte gründet, lässt er eine ‘Einheitsfront von Juden und Heiden’Footnote 24 gegen den Kaiser entstehen und führt dessen Gebaren und Selbstverständnis von innen heraus ad absurdum: Selbst in der Sicht der offiziellen römischen Staatsdoktrin—an die Philo hier strategisch erinnert, ohne sie als gläubiger Jude zu teilen—verdienen nur Wohltäter übermenschliche Ehre (Legat. 86).
Ihren kritischen Höhepunkt findet die judenfeindliche Politik im Vorhaben des Caligula, im Tempel von Jerusalem ein kaiserliches Standbild zu errichten (Legat. 184–338). Philo sucht den friedlichen Dialog: Er erstellt eine die Leiden und Ansprüche der Juden zusammenfassende Denkschrift (Legat. 178) und führt eine Delegation alexandrinischer Juden an, um die jüdischen Interessen und Rechte am römischen Kaiserhof zu vertreten (Legat. 349–372). Philo begibt sich mehrfach in die Rolle eines Bittstellers: Er wird von Caligula abgewiesen (Legat. 181), aber folgt ihm—vergeblich—von Rom nach Puteoli (Legat. 185). Während einer zweiten Audienz lässt er sich vom Desinteresse des Kaisers nicht abschrecken, sondern geht ihm während einer Villenbesichtigung buchstäblich hinterher (Legat. 349–367). Philo nimmt einen auf Loyalität gestimmten und Integration bedachten Standpunkt ein und versucht, den Kaiser aufgrund vernünftiger Darlegungen zum Einlenken zu bewegen (Legat. 364–365).
Nimmt Philo am gesellschaftlichen Leben teil und begibt sich zur Wahrung der jüdischen Interessen ins Zentrum der politischen Macht nach Rom, steht der Seher Johannes schon geographisch außerhalb der Gesellschaft und befindet sich auf der Insel Patmos (Offb 1.9). Johannes benennt den Grund seines Aufenthaltes: διὰ τὸν λόγον τοῦ θεοῦ καὶ τὴν μαρτυρίαν Ἰησοῦ.Footnote 25 Seine Verkündigungstätigkeit und der Einsatz für das Wort Gottes sind für seine gesellschaftliche Randposition—womöglich sogar im Sinne einer politisch motivierten VerbannungFootnote 26—verantwortlich. In seiner Selbstbeschreibung verweist er auf Spannungen und Konflikte von außen (ἐν τῇ θλίψει) und versteht sich—mit den kleinasiatischen Christen—als Teil einer Kontrastgesellschaft: συγκοινωνὸς ἐν τῇ θλίψει καὶ βασιλείᾳ.
Johannes sinnt auf keine politische Lösung. Sein Ziel ist keine Integration der christlichen Gemeinden in die reichsrömische Gesellschaft, sondern eine Markierung der Unterschiede, ein Stärken der Ränder und Grenzen. Eine Lösung des Konflikts gibt es in der apokalyptischen Wirklichkeitswahrnehmung des Sehers nicht durch eine strategische Regulierung der Politik von innen, sondern nur durch ein göttliches Eingreifen von außen. Philo blickt nach Rom, um dort die politischen Ziele des Judentums durchzusetzen. Johannes blickt zum Himmel und erwartet von dort die Durchsetzung des Königtums Gottes (ἐκ τοῦ οὐρανοῦ ἀπὸ τοῦ θεοῦ, Offb 3.12; 21.2, 10).
4. Wahrnehmung: Monotheismus und Kaiserkult
Philo und Johannes beurteilen das religiös-ideelle Selbstverständnis des Herrschers und die Ausgestaltung des Kaiserkults durch Spiele, Feierlichkeiten, Prozessionen und Opferhandlungen (Legat. 96, 208, 232, 355–357; Offb 9.20; 13.4, 8, 12, 15), durch die Prägung von Münzen (Legat. 110) oder durch die Errichtung von Tempeln und Statuen (Legat. 188, 203, 334, 346; Offb 2.13; 13.2, 14; 14.9, 11; 15.2; 16.2, 10; 19.20; 20.4)Footnote 27 aus der Warte eines strikt jüdischen bzw. judenchristlichen Monotheismus.
4.1 Kaiser als Herrscher und Kaiser als Gott
Philo kann den Kaiser in seiner staatstragenden Funktion anerkennen und ihm die Loyalität der Juden zusichern: ‘Dem Kaiser treu zu sein, beteuern sie nicht nur, sondern sind es wirklich’ (Legat. 280). Dem Kaiser als politischem Herrscher bringt Philo Ehrerbietung entgegen. Beim Anblick des Kaisers verneigt er sich mit der Gesandtschaft ‘in aller Ehrfurcht und allem Respekt tief zu Boden’ und grüßt ihn ‘mit der Anrede Augustus Imperator’ (Legat. 352). Philo weiß von Opferhandlungen im Tempel beim Amtsantritt des Kaisers, nach seiner Genesung oder während kriegerischer Auseinandersetzungen (Legat. 356), die aber zum Wohl des Kaisers und nicht für die Person des Kaisers als Gott dargebracht werden (Legat. 357).
Kritisch wird die Haltung gegenüber dem Kaiser dort, wo dessen Divinisierung den Exklusivitätsanspruch Jahwes verletzt. Philo führt Kaiser Augustus als positive Verkörperung einer kaiserlichen Herrschaftsführung an: Mit seinem expliziten Verzicht auf einen göttlichen Anspruch und eine religiöse Verehrung im Kult (Legat. 154) vermied er eine Provokation des jüdischen Volkes (Legat. 155–161).Footnote 28 Aufgrund seiner charakterlichen Reife und politischen Umsicht hat Augustus seiner Selbstvergöttlichung widersprochen und damit das Fundament geschaffen, dem Kaiser als Person und Herrscher Loyalität und Anerkennung entgegenzubringen (Legat. 148–149). Dagegen prägen schwerwiegende menschliche und politische Defizite die Amtsführung Caligulas: ‘Instead of σωϕροσύνη there was now ἀκρασία; instead of a yearning for the pursuits of the mind the emperor's attention was captured by bodily pleasure, food, drink and unrestrained eating’.Footnote 29 Philo lehnt die Selbstvergöttlichung Caligulas als anmaßenden Versuch ab, die für Juden noch tragbare politische Funktion der kaiserlichen Herrschaft bis in die göttliche Sphäre hinein auszudehnen (Legat. 93, 118, 347, 366–367).Footnote 30 Er beargwöhnt die Proskynese vor dem Kaiser als barbarische Praxis (Legat. 116) und lehnt die kaiserliche Verehrung in Form von Bildern und Statuen ab, die im Widerspruch zum alttestamentlichen Bilderverbot und zur monotheistischen Grundüberzeugung des Judentums stehen (Legat. 115, 191, 198, 212, 232, 290, 292, 306, 310, 317).
4.2 Herrschaft Gottes und Thron des Satans
Ebenso spiegeln sich in der Visionswelt der Johannes-Offenbarung die Realia des Kaiserkults.Footnote 31 Johannes nennt den Thron des Satans (ὁ θρόνος τοῦ σατανᾶ) in Pergamon (Offb 2.13, ebenso Offb 13.2; 16.10), kaiserliche Standbilder (εἰκών, Offb 13.14, 15; 14.9, 11; 15.2; 16.2; 19.2; 20.4; insbesondere Offb 9.20), eine kaiserliche Priesterschaft (ἄλλο θηρίον ἀναβαῖνον ἐκ τῆς γῆς, Offb 13.11–18) und Formen der quasi-göttlichen Verehrung des Kaisers (προσκυνέω, Offb 9.20; 13.4, 8, 12, 15; 14.9, 11; 16.2; 19.20; 20). Anspruch und Form des Kaiserkults versteht der Seher prinzipiell als Pervertierung der allein Gott zukommenden Herrschaft. Das Hofzeremoniell des Kaisers ist nichts anderes als eine kontrastierende Parodie der exklusiven Verehrung Gottes im himmlischen Kult.Footnote 32 Die Lästernamen auf dem Haupt (Offb 13.1) und Körper des Tieres (Offb 17.3) verweisen auf die kaiserlichen religiösen Ehrentitel,Footnote 33 die diesem zugesprochen werden und den religiösen Selbstanspruch des Kaisers verdeutlichen oder die er selbst zur blasphemischen Herausforderung Gottes ausstößt (Offb 13.5–6).Footnote 34
Johannes erkennt in seiner apokalyptischen Radikalisierung der Wirklichkeit keine positiven Beispiele einer kaiserlichen Amtsführung. Die Kaiser sind samt und sonders nur Köpfe und Hörner auf dem Haupt des Drachen (Offb 17.7, 9–11), Gesichter und Anschauungen des Bösen, die mit der Deutung der sieben Köpfe des Tieres als die sieben Hügel Roms mit der Hauptstadt als ‘Mitte und Kraftzentrum des Imperiums’Footnote 35 verbunden werden. Zugleich inkorporiert Johannes mit der universal zu verstehenden Siebenzahl das Kaisertum an und für sich in die Sphäre der widergöttlichen Macht.Footnote 36 Der Kaiser und—mit ihm als Repräsentant des Staates—das ganze Römische Reich sind ‘Bevollmächtigte Satans in der Geschichte’.Footnote 37 Vom Drachen erhält das Tier aus dem Meer seine Stärke (Offb 13.2, 4); das Tier aus dem Festland (Offb 13.15) wird vom Widersacher Gottes dazu ermächtigt (deutlich durch den inhaltlich pervertierten Gebrauch des passivum divinum ἐδόθη), den Kult des ersten Tieres zu propagieren und zu sichern.
Wesen und Herkunft der kaiserlichen Macht werden—im Gegensatz zur biographischen Interpretation der Selbstvergöttlichung Caligulas bei Philo—in einer visionären Schau mythologisch erklärt. Die Bedrängnis, in der sich die kleinasiatischen Christen im Gegenüber zum Kaiserkult befinden, ist Nachhall und historische Folge eines—zugunsten der christlichen Gemeinde bereits positiv entschiedenen—kosmischen Kampfes (Offb 12.17). Der gestürzte Drache strengt einen Kampf gegen die Christen an und überträgt dazu seine Macht und die Möglichkeit zur politischen Pression auf den Kaiser (abermals in Verkehrung des passivum divinum und in paralleler Formulierung zu Offb 12.17: καὶ ἐδόθη αὐτῷ ποιῆσαι πόλεμον μετὰ τῶν ἁγίων, Offb 13.7).
4.3 Politisches Selbstverständnis und Gottesbild
Philo sieht sich selbst als Teil der Gesellschaft. ‘He can (…) employ the very interesting phrase Ioudaioi politai to denote Jewish inhabitants of Greek cities generally. Evidently he reckons their position to be defined, at least in part, by reference to civic prerogatives. Jewish identity did not confine itself to religious observances’.Footnote 38 Philo erachtet die gegenwärtige Staats- und Gesellschaftsform als geeignet, das Gemeinwohl zu gewährleisten und die Rechte der jüdischen Minderheit zu schützen. Angesichts der judenfeindlichen Gewalteskalation in Alexandria sieht er sich als prominenter Vertreter der jüdischen Synagoge zum politischen Agieren herausgefordert. Er übernimmt eine Vermittlerrolle und strebt nach einer diplomatischen Beendigung des Konflikts. Dies alles erachtet er als seine ‘Bürgerpflicht’ und ist bereit, dafür seine Interessen, sein intellektuelles Schaffen und seine philosophisch-theologischen Studien zurückzustellen (Spec. 3,3–6).
Philo und Johannes nehmen Kaisertum und Kaiserkult von einem strikten jüdischen bzw. judenchristlichen Monotheismus aus und vor dem Hintergrund der unbedingten Souveränität Gottes in den Blick. Beide wissen Gott parteiisch auf der Seite ihrer Glaubensgemeinschaft. Beide vertreten eine theozentrische Lösungsoption des Konflikts, unterscheiden sich aber in der Vorstellung eines göttlichen Eingreifens und den daraus resultierenden ethischen Handlungsoptionen. Für Philo ist der Weg zur Vervollkommnung des Menschen und auch des gesellschaftlichen Gemeinwohls von Gott durch seine Offenbarung in den mosaischen Schriften vorgezeichnet. Im Studium der Tora, in der philosophischen Reflexion, der damit verbundenen wachsenden Selbsterkenntnis und Suche nach einem tugendhaften Leben nimmt Philo seine—ihm von Gott zukommende—Verantwortung wahr. Erlösung ‘liegt für ihn letztlich in der Harmonie der Seele mit dem Kosmos’.Footnote 39 Auch in der Auseinandersetzung mit Kaiser Caligula trachtet er nach dieser Wiederherstellung eines ursprünglich harmonischen Zustandes, den er mithilfe seines intellektuellen Vermögens, theologischen Wissens und analytischen Verstehens zu vervollkommnen sucht.
Der Weg zur Erlösung ist für Johannes dagegen kein evolutives Geschehen, das sich durch den Einsatz politischer Diplomatie innerweltlich vollzieht. Die Lösung liegt für ihn in einer radikalen Umwälzung der Verhältnisse, die er von außerhalb durch einen göttlichen Eingriff erwartet. Erlösung gewährleistet und wirkt Gott durch Christus (Offb 5.5). Johannes versteht die von Gott geschaffene Rettung als etwas wesentlich Neues: Johannes sieht einen neuen Himmel wie eine neue Erde (εἶδον οὐρανὸν καινὸν καὶ γῆν καινήν, Offb 21.1) und das neue Jerusalem (τὴν πόλιν τὴν ἁγίαν Ἰερουσαλὴμ καινὴν εἶδον, Offb 21.2); er verfolgt den göttlichen Sieg ausgedrückt in neuen Liedern (καὶ ᾄδουσιν ᾠδὴν καινὴν λέγοντες, Offb 5.9; ebenso Offb 14.3) und hört die Aussage Gottes, er werde alles neu machen (ἰδοὺ καινὰ ποιῶ πάντα, Offb 21.5). Mit der alten Welt werden Spannungen und Konflikte durch einen manifesten Eingriff von außen beseitigt (ὁ γὰρ πρῶτος οὐρανὸς καὶ ἡ πρώτη γῆ ἀπῆλθαν, Offb 21.1). Das himmlische Jerusalem kommt von Gott herab zur Erde (καταβαίνουσαν ἐκ τοῦ οὐρανοῦ ἀπὸ τοῦ θεοῦ, Offb 21.2). Lebenspraktisch folgt aus dem Absolutheitsanspruch Gottes die radikale Abgrenzung von allen widergöttlichen Mächten.
5. Darstellung: Autopsie und Apokalyptik
Während sich Philo mit seiner Legatio ad Gaium an die römisch-hellenistische Bevölkerung und Vertreter der staatlichen Organe wendet, um die gesellschaftliche Integrationsfähigkeit des Judentums unter Beweis zu stellen,Footnote 40 bleibt die Offenbarung des Johannes auf den internen Adressatenkreis der kleinasiatischen Gemeinden beschränkt. Diese unterschiedliche Adressatenorientierung und die damit verbundene pragmatische Funktion der Schriften spiegeln sich in der Wahl der jeweiligen Gattung und in den literarischen Darstellungsmitteln.
5.1 Motive und Mythen
Philo und Johannes greifen in der Zeichnung und Beurteilung des kaiserlichen Herrschaftsanspruches auf das religiöse Wissen und Motivreservoir ihrer Adressaten aus. Argumentativ nutzt Philo mythologische Göttervorstellungen des Hellenismus. Herakles, die Dioskuren, Dionysos (Legat. 78–92), Hermes, Apollon und Ares (Legat. 93–113) dienen ihm als Repräsentanten moralischer Tugenden, die er gegen Caligula ins Feld führt. Philo vermeidet die Frage nach der tatsächlichen Existenz heidnischer Gottheiten. Er allegorisiert die Göttergestalten auf tugendhafte Symbolfiguren hin und macht sich den Mut des Herakles, die Klugheit des Dionysos und die brüderliche Treue der Dioskuren zunutze, um über den Inhalt einzelner Göttervorstellungen der hellenistischen Bevölkerung die gemeinsame moralisch-ethische Grundüberzeugung von Juden und Heiden zu verdeutlichen.
Die Johannes-Apokalypse schöpft aus dem Motivreservoir der alttestamentlichen und insbesondere apokalyptischen Literatur: Das Buch der Offenbarung ist ‘eine Collage von Bildzitaten aus den prophetischen Büchern’.Footnote 41 Es finden sich etwa 580 Reflexionsanklänge an das Buch Daniel, Jesaja, Ezechiel und der Psalmen.Footnote 42 Mit dem alttestamentlichen Motivkosmos fließen in die Schrift des Sehers den Adressaten bekannte Traditionshintergründe ein. Der Gebrauch der prophetischen Literatur verleiht der Prophetie des Sehers maßgebliche Autorität und theologische Authentizität und Dignität. Mit dem Gebrauch der alttestamentlichen Prophetie verbindet Johannes einen theologischen Wahrheitsanspruch: Die in seiner Schrift immer auch modifizierten und transformierend angewandten Motive (so in der Thronsaalvision Offb 4.1–11—Ez 1; 10; Jes 6; ebenso Offb 10.1–11—Ez 2.8–3.3; Jer 15.16) versteht der Seher als Enthüllung, als visionär erschlossene Offenbarung.
5.2 Gesellschaftsanalyse und religiöser Wissensvorrat
Philo gründet die Überzeugungskraft seiner Darstellung auf eine differenzierte Wahrnehmung der politischen Wirklichkeit. Seine Schilderung ist in die Form eines historischen Berichts gekleidet. Die Wirksamkeit seiner Argumentation liegt in der objektiven Konkretion, der Nennung und Bewertung einzelner historisch konkreter Fakten, die er kritisch hinterfragt. Der Aufweis der historischen Tatsachen dient ihm als Grundlage für seine theologisch normierte Urteilsfindung. Die Fakten sprechen für sich und genügen, um jene Grenzen zu benennen, die Caligula überschritten hat und die das religiöse Empfinden der Juden verletzen und ihre Loyalität gegenüber dem Herrscherhaus verunmöglichen.
Die Apokalypse dagegen vermittelt ihren Adressaten einen religiösen Wissensvorrat. Das Anliegen des Johannes ist nicht die objektivierbare Darstellung geschichtlicher Tatsachen, sondern die mythologische Deutung und visionär theologische Bewertung der als Endzeit empfundenen Gegenwart. Einzelne Inhalte und Ausprägungen der kaiserlichen Machtdemonstration werden im Symbolkosmos der Apokalypse motivisch und metaphorisch transformiert und dualistisch radikalisiert. Die Argumentationskraft der Schrift besteht gerade in der drastischen Überzeichnung geschichtlicher Fakten und in der radikalen Konfrontation und Kontrastierung der politischen Wirklichkeit mit dem absoluten Herrschaftsanspruch Gottes.
5.3 Theologisch interpretierte Geschichte
Philo schreibt—aus seinem jüdischen Glauben heraus—theologisch interpretierte Geschichte.Footnote 43 Er überliefert historische Ereignisse: Er berichtet vom Pogrom gegen die Juden in Alexandria, resümiert die Stadien der zunehmend judenfeindlichen Politik unter Caligula und legt das Anliegen der von ihm angeführten Delegation an den Kaiserhof dar. Philo argumentiert mit den verfügbaren Mitteln der antiken Rhetorik. Der Wechsel zwischen direkten und indirekten Reden gewährt Einblick in das Denken und Empfinden der Akteure (Legat. 229) und fordert die Rezeptionsleistung des Lesers heraus. Er gebraucht plastische Vergleiche und Metaphern, um die Schärfe des antijüdischen Konflikts zu veranschaulichen und das Einfinden in die Darstellungswelt zu erleichtern. Dabei bleiben seine Ausführungen stets historisch analytisch ausgerichtet. Er sondiert und wägt alternative Modelle einer kaiserlichen Amtsführung. Er weist auf die drohende Gefahr blutiger Auseinandersetzungen hin und erinnert an die Risiken gesellschaftsinterner Konflikte für das Gemeinwohl. Philo berichtet Geschichte, um die Gegenwart umsichtig zu gestalten. Das Bemühen um eine sachliche und nüchterne Argumentation schließt nicht die empathische und emotionale Bewertung aus (deutlich in den zahlreichen Schimpfworten, Legat. 87, 89–92, 108–109), die das Anliegen Philos unterstreichen und seine persönliche Anteilnahme ausdrücken.
Philo deutet die Geschichte im Licht seines jüdischen Glaubens. Der ‘unerbittliche Kampf gegen das jüdische Volk’ (Legat. 119) entbrennt infolge der ‘Gesetzlosigkeit’ des Kaisers. Wegen ihrer Treue zu den väterlichen Überlieferungen werden die Juden verfolgt. Die gesellschaftliche Integration hat für Philo eine religiöse Dimension. Als Volk Gottes sind die Juden Anwalt der göttlichen Gesetze und tragen in dieser missionarischen Verantwortung zur Stabilisierung der universalen Entwicklung bei.Footnote 44 Philo deutet die Geschichte in der Überzeugung der nachhaltigen Fürsorge und Vorsehung Gottes und wendet sich damit auch an die Angehörigen des jüdischen Glaubens. Sein Werk ist—über das apologetische Ziel hinaus, das Judentum vor der griechisch-römischen Welt zu verteidigen—eine Versicherung für all jene, die an den göttlichen Fügungen und dem Glauben, ein auserwähltes Volk zu sein, zweifeln: ‘Jedoch, mögen nun manche Menschen im Glauben an eine göttliche Fürsorge für die Menschheit irre geworden sein (…), so müssten schon allein die gegenwärtige Zeitenwende und die in ihrem Verlauf gefällte Entscheidung über viele brennenden offenen Fragen genügend Überzeugungskraft für sie haben’ (Legat. 3). Der Tod des Statthalters Flaccus (in stilisierter Rede von Flaccus selbst ausgesprochen, Flacc. 170–175, 189) und das Ende des Kaisers Caligula (Legat. 373) werden als augenfälliger Beweis für das Eingreifen und die Parteinahme Gottes gewertet.Footnote 45
5.4 Geschichtlich interpretierte Theologie
Gegenüber dieser theologisch gedeuteten Geschichtsschreibung Philos ist die Johannes-Offenbarung geschichtlich zu interpretierende Theologie. Der Seher entwirft mit seinem Werk einen Symbolkosmos, der eine theologische Wahrheit ins Bild setzt: Im Christusmysterium sind alle widergöttlichen Mächte besiegt. In diesem Glauben transformiert die Johannes-Offenbarung die Wirklichkeitswahrnehmung der Kleinasiaten und stellt gesellschaftliche Plausibilitäten infrage.
Den politischen Funktionen des Kaisers werden antithetisch die überragende Macht Gottes und die Erlösungstat seines Gesalbten gegenüber gestellt: ‘Whereas in the imperial world the emperor is the savior, in John's world, Jesus is the savior; in the imperial world the emperor is the divine warrior who has brought peace to the world; in John's world the emperor is the beast of chaos that the true divine warrior must slay. Much of the symbolism of the Apocalypse is of this antithetical kind’.Footnote 46 Den reichsrömischen Herrscherkult kontrastiert die Apokalypse durch die visionäre Enthüllung des himmlischen Kults um den Thron Gottes. Konsequent werden kaiserliche Titel und Ehrennamen auf Gott hin re-adressiert. Die kaiserliche Bezeichnung ‘dominus et deus noster’ wird im himmlischen Thronritual aufgegriffen und Gott zugesprochen: ὁ κύριος καὶ ὁ θεὸς ἡμῶν (Offb 4.11; ebenso 1.8; 4.8; 11.17; 15.3; 16.7, 14; 19.6, 15; 21.22; 22.5–6). Die überbietende Titulatur Gottes—angeredet als κύριος κυρίων ἐστὶν καὶ βασιλεὺς βασιλέων (Offb 17.14; 19.16) oder als ὁ παντοκράτωρ (Offb 1.8; 4.8; 11.17; 15.3; 16.7, 14; 19.6, 15; 21.22)—ordnet die Macht des Kaisers dem göttlichen Herrschaftsbereich unter. In der Visionswelt der Offenbarung spiegelt sich der Vollzug des Kaiserkults, der aber nur als blasses und hinfälliges Gegenbild zum eigentlichen Herrscherkult Gottes erscheint. Dem ‘Thron des Satans’ (Offb 2.13) und dem kaiserlichen Hofzeremoniell wird der Thronsaal Gottes in seiner kosmischen Dimension und Machtfülle gegenüber gestellt (Offb 4.2–11). Die Requisiten des Kaiserkults sind vor den Thron Gottes platziert: Harfen (τὰ τέσσαρα ζῷα καὶ οἱ εἴκοσι τέσσαρες πρεσβύτεροι ἔχοντες ἕκαστος κιθάραν, Offb 5.8), goldene Schalen (ϕιάλας χρυσᾶς, Offb 5.8), Räucherwerk (γεμούσας θυμιαμάτων, Offb 5.8; 8.3), weiße Gewänder (περιβεβλημένους ἐν ἱματίοις λευκοῖς, Offb 4.4), goldene Kränze (ἐπὶ τὰς κεϕαλὰς αὐτῶν στεϕάνους χρυσοῦς, Offb 4.4), Feuerfackeln (λαμπάδες πυρὸς καιόμεναι, Offb 4.5) und Edelsteine (ἶρις κυκλόθεν τοῦ θρόνου ὅμοιος ὁράσει σμαραγδίνῳ, Offb 4.3). Teil des himmlischen Kults ist Gesang (Offb 5.9; 14.3; 15.3), der gerade auf Erden verstummt (Offb 18.22). Vor dem Thron Gottes erklingen Hymnen (Offb 5.9–10; 11.17–18; 14.3; 15.3–4; 19.1–2), Bitten (Offb 6.10; 8.3) und kniefällige Zeichen der Verehrung sind angebracht (Offb 4.10; 5.14; 7.11; 11.16; 14.7; 15.4; 19.4, 10; 22.9). Während sich der Untergang irdischer Gewalten sukzessiv vollzieht (Offb 19.17–21), wird die himmlische Gegenwelt von aufwendigem Schmuck, in schillernden Farben leuchtend beschrieben (Offb 21.9–14) und dem Leser schließlich förmlich vermessen (Offb 21.15–27). Damit depotenziert die Apokalypse die politische Macht und den Anspruch des römischen Kaisers und prägt ein neues Systemzentrum aus. Die Christen sind Teil der himmlischen Bürgerschaft, als deren Glieder sie jede Teilnahme am Kaiserkult radikal verweigern.
Während Philo mit den Mitteln der antiken Rhetorik und der griechischen Philosophie argumentiert und an die Vernunft sowie das strategische Denken seiner Leser appelliert, nutzt die Johannes-Offenbarung im Erschaffen eines großflächigen apokalyptischen Szenariums die überbordende Beschreibung und kontrastierende Zeichnung von Bildern und Metaphern. ‘Thus while John draws his images from the traditional apocalyptic stock and a central symbol is the myth of cosmic combat, his experience of Jesus has led him to radically transvalue these symbols in order to express the conviction that faithful witness brings both salvation and judgment. But this conviction is not argued, or even stated; it is portrayed. It is enacted in a story’.Footnote 47 Lenkt Philo das Empfinden seiner Adressaten durch Reden und die Schilderung historischer Ereignisse, modifiziert die Apokalypse Erkennen und Erleben ihrer Leser im Durchwandern und Durchleiden ihrer Bilderwelten: ‘Nicht erklärt wird hier, was Erlösung bedeutet, sondern gezeigt und gesehen. Nicht darauf also sind die Visionen angelegt, entschlüsselt, sondern durchlebt zu werden’.Footnote 48 Philo überliefert und berichtet als Zeitzeuge Geschichte, die er vor dem Hintergrund seines jüdischen Glaubens theologisch deutet. Johannes tritt als Gottes Zeuge gegen seine Zeit auf und inszeniert Theologie, die er in der reichsrömischen Lebenswelt verankert und mit der Marginalisierung der kleinasiatischen Christen historisch deutet.
6. Perspektiven: Loyale Integration und liminaler Prozess
Der Kaiserkult ist für Philo und Johannes Anlass zur kritischen Reflexion. Beide lehnen den gottgleichen Anspruch des Kaisers ab. Doch verfolgen beide angesichts des schwelenden Konflikts eine jeweils anderslautende gesellschaftliche Perspektive: Philo strebt die Aussöhnung mit der reichsrömischen Kultur und Zivilisation an, Johannes fordert eine gesellschaftliche Verweigerung der kleinasiatischen Christen.
6.1 Widerstand und Martyrium
Die untragbare Forderung, den Kaiser wie einen Gott zu verehren, veranlasst Philo und Johannes zum Widerstand, der bis zum Martyrium reicht.
Im Sendschreiben nach Pergamon verweist Johannes auf die Tötung des ‘treuen Zeugen Antipas’ (Offb 2.13). Unklar bleibt, ‘ob Antipas einem regulären Gerichtsverfahren zum Opfer fiel oder nur einem Ausbruch von Lynchjustiz einer aufgebrachten Volksmenge’.Footnote 49 Lokal und inhaltlich ist sein Tod mit dem Thron Satans (ὁ θρόνος τοῦ σατανᾶ) verbunden und damit vor einen eindeutig politischen Hintergrund gesetzt. Das Bekenntnis zu Christus (κρατεῖς τὸ ὄνομά μου) oder die Weigerung, die religiösen Ansprüche des Kaisers im kultischen Vollzug anzuerkennen (οὐκ ἠρνήσω τὴν πίστιν μου), zieht Anfeindungen und Gefahren für Leib und Leben nach sich. Mit Übergriffen der Staatsmacht rechnet der Seher im Schreiben nach Smyrna. Trotz Gefängnis oder Verfolgung bis zum Tod sind die Christen aufgefordert, am eindeutigen Bekenntnis zu Christus festzuhalten (Offb 2.10). Die Christen befinden sich in einer Situation der Versuchung (πειρασμός, Offb 3.10) und Erprobung (ἵνα πειρασθῆτε, Offb 2.10; πειράσαι, Offb 3.10), in der das Festhalten (τηρέω) am Inhalt der Offenbarung (Offb 1.3; 22.7, 9), an den Werken (Offb 2.26), der Lehre (Offb 3.3), am Wort (Offb 3.8) und an den Geboten Christi (Offb 3.10) wie Gottes (Offb 12.17; 14.12) entscheidend ist. Mit einem Ausharren in Geduld (ὑπομονή, Offb 2.2, 3, 19; 3.10; 13.10; 14.10), der Verweigerung der Anbetung (μὴ προσκυνήσωσιν, 13.15; 20.4) und der Ablehnung innergemeindlicher Assimilierungsversuche fordert der Seher eine entschiedene Haltung der Christen. Das Schicksal der Märtyrer macht die mögliche Folge der kompromisslosen Haltung und des Zeugnisses für Christus deutlich (Offb 11.7; 12.11). Mit der großen Zahl der Blutzeugen steht den Christen im visionären Hauptteil ein Bild des Sieges vor Augen (Offb 15.2; ebenso Offb 7.14–15). Als erlöste Symbolgestalt richtet die große Schar aus allen Völkern und Nationen (Offb 7.9) den Blick der Kleinasiaten konsequent auf den Thronsaal Gottes als ureigenen Ort der Macht und Raum der Anbetung. Der Ausgang des Kampfes ist im Bild der erlösten Märtyrer vorweggenommen (Offb 12.11) und lebenspraktisch mit der Motivation zu einem furchtlosen Bekenntnis verbunden (in den Überwindersprüchen der Sendschreiben: Ὁ νικῶν οὐ μὴ ἀδικηθῇ ἐκ τοῦ θανάτου τοῦ δευτέρου Offb 2.11; ebenso Offb 2.7, 17, 26; 3.5, 12, 21).
Auch Philo sieht das kompromisslose Festhalten am Bekenntnis zu Jahwe vom Martyrium bedroht: ‘So sei es denn, wir werden sterben. Denn ein ruhmvoller Tod für die Verteidigung der Gesetze ist eine Art Leben’ (Legat. 192, ähnlich 117, 209–210, 215, 224, 230, 369). Doch ist für Philo das Martyrium kein erstrebenswertes Ziel, sondern erst nach dem Ausschöpfen aller diplomatischen Mittel die letzte gebotene Möglichkeit und erscheint in seiner Schrift eher als rhetorisch funktionaler Topos. Philo sucht nach gangbaren Wegen, die zu einer friedlichen Lösung des Konflikts führen (Legat. 305). Die Willenskundgabe, den Tempel im gewaltsamen Widerstand zu verteidigen (Legat. 208, 233, 308), ist eine emotional anrührende Warnung und nicht eine provokative Aufforderung zur blutigen Auseinandersetzung. Die strategische Funktion des Martyriumsmotivs wird in der Petition der Juden vor Petronius deutlich: Die Willensbekundung, selbst den Tod zu ertragen, ist in den Kontext der Bitte um die nochmalige Prüfung der jüdischen Ansprüche und das Einlenken der politisch Verantwortlichen gesetzt (Legat. 229–242). Philo hebt die Bereitschaft zum Martyrium hervor, um das schreiende Unrecht an den Juden darzustellen, ihre Wehrlosigkeit auszudrücken und ihre—bis zuletzt—friedliebende Haltung zu betonen (καὶ τὰς ϕύσεις ἐσμὲν εἰρηνικοὶ καὶ τὴν προαίρεσιν, Legat. 230). Gleichzeitig bewegt Philo damit die Adressaten seiner Schrift zum Mitleid mit den ungerecht angeklagten und verfolgten Juden (Legat. 243). Ähnlich soll die Andeutung eines möglichen Selbstmords (Legat. 235) die Bestürzung und Hilflosigkeit der entsetzten Juden demonstrieren, das Anliegen der Delegation verdeutlichen und die ernsthafte Suche nach einer gewaltfreien Lösung fördern.
Demgegenüber erscheint das Martyrium in der Johannes-Offenbarung nicht als lediglich rhetorisch-funktionales Mittel, um emotionale Rührung hervorzurufen oder die politischen Instanzen zum Einlenken zu bewegen. In apokalyptischer Dramatisierung illustriert das Martyrium den unbedingten Beweis eines entschiedenen Bekenntnisses, schließt damit aber auch alle weiteren Verweigerungshandlungen ein: neben ökonomischen Konsequenzen, dem Meiden kultisch-paganer Zeremonien und dem Ertragen der gesellschaftlichen Marginalisierung überhaupt fordert der Seher die Bereitschaft, auch vor der letzten Konsequenz einer möglichen Verfolgung nicht zurückzuschrecken. Der freigewählte Tod ist in der Johannes-Offenbarung keine Option. Ein Suizid würde den Konflikt mit der römischen Staatsmacht meiden und vor der Gewalt der Gottesfeinde zurückschrecken. Nur im erduldeten Tod und nicht in der Selbsttötung geben die Christen Zeugnis vom endzeitlichen Sieg des Lammes. Als ‘Könige und Priester für Gott’ (Offb 1.6) besitzen sie Würde und aufrechten Stand und sind zur Treue in der Bedrängnis aufgerufen (Offb 2.10).
6.2 Politisches Handeln und gesellschaftliche Anerkennung
Philos Werk prägt eine statische Sicht der Geschichte. Er rechnet mit keinem Umsturz der gesellschaftlichen oder politischen Verhältnisse, sondern sucht nach konstruktiven Möglichkeiten, um den Konflikt zu lösen. Die Vergangenheit zeigt, dass sich jüdisches Leben mit dem Leben der polis verbinden lässt. ‘Jews (…) were not intrinsically alien bodies within homogeneous poleis (…). And we know that, with the exception of overt participation in emperor worship, Jews could and did involve themselves in the life of their cities—even, in some cases, with the theatre and the gymnasium’.Footnote 50 Philo lehnt das Römische Reich und das Kaisertum nicht an und für sich ab, sondern erkennt die einende und stabilisierende Funktion des Herrscheramts auch in seinem positiven Beitrag zur Integration der Juden in das Reich.Footnote 51 Er fordert Modifikationen der kaiserlichen Amtsführung ein, die notwendig sind, um die Auseinandersetzung zu entschärfen. Doch lässt Philo keinen Zweifel daran, dass er sich selbst als ein Teil der reichsrömischen Gesellschaft versteht. Er ist von der besonderen gesellschaftlichen Relevanz des Judentums überzeugt. Als Diasporajude hofft er, dass die sittlich ehrbare und humane Lebensführung der jüdischen Bevölkerung missionarisch wirkt und Werte wie Lebensführung der Mehrheitsgesellschaft positiv prägt (Mos. 2,44). Nicht zuletzt deshalb ist sein Ziel nicht der Rückzug von der Gesellschaft. ‘Philo's texts refer repeatedly to a Jewish politeia or to Jewish dikaia politika (…) Philo definitely refers to political privileges, as well as to religious rights’.Footnote 52 Mit seiner apologetischen Präsentation des Judentums wirbt er um diese—durch das Pogrom und die Haltung Caligulas gefährdete—gesellschaftliche Akzeptanz und Integration und bemüht sich selbstbewusst um die Anerkennung jüdischer Rechte.
6.3 Radikale Verweigerung und gesellschaftliches Abseits
Johannes geht nicht von stabilen Koordinaten der gesellschaftlichen und politischen Ordnung aus, sondern rechnet mit einer radikalen Umwälzung der Verhältnisse. Die Durchsetzung und historische Manifestation des Königtums Gottes steht für ihn unmittelbar bevor. Entsprechend häufig werden das Verb ‘kommen’ und das Adverb ‘bald’ verwendet: Christus wird präsentisch als der Kommende, der unmittelbar Bevorstehende beschrieben (ὁ ἐρχόμενος, als Teil der Dreizeitenformel Offb 1.4, 8; 4.8; ebenso Offb 1.7; 3.11; 16.15); bereits gekommen ist der Tag des Zorns und Gerichts Gottes (Offb 6.17; 11.18; 14.7); die Visionen enden mit der wiederholten Zusage des baldigen Kommens Jesu (Offb 22.7, 12, 20) und der für die Adressaten vorformulierten Bestätigung und Bitte: Ἀμήν, ἔρχου κύριε Ἰησοῦ (Offb 22.20). Im himmlischen Kult und den Hymnen wird der Sieg Gottes bereits gefeiert. Die Macht des Drachen, sein Einfluss auf Wirtschaft und Politik und seine Verehrung im Kaiserkult sind dem Untergang geweiht. Entsprechend radikal ist der handlungsrelevante Aufruf des Sehers, die Stadt als politische, wirtschaftliche, soziale und kulturelle Größe zu verlassen (ἐξέλθατε ὁ λαός μου, Offb 18.4). Die für Johannes theologisch verantwortbare und soziologisch mögliche Konsequenz im Gegenüber zum Kaisertum und Kaiserkult ist der entschiedene gesellschaftliche Exodus. Mit dem Ziel einer Stabilisierung der christlichen Identität strengt die Apokalypse einen ‘liminalen Prozess’Footnote 53 an, dessen Ziel das—von Philo gerade gefürchtete und mittels seiner Schrift argumentativ bekämpfte—gesellschaftliche Abseits ist.
7. Auf der Suche nach Identität: Konzepte, Einwirkungen und Faktoren
Der Vorschlag des Sehers, die eigene Identität durch die radikale Abgrenzung von der Gesellschaft und die Verweigerung jedweder Teilnahme am reichsrömischen Herrscherkult zu schützen, stellt binnenchristlich eine Minderheitenmeinung innerhalb eines breiten Spektrums verschiedener gesellschaftspolitischer Standpunkte und Lösungskonzepte dar.Footnote 54 Das die Folgezeit bestimmende Verhältnis zur Gesellschaft fasst konzeptionell eher der Entwurf des 1. Petrusbriefes zusammen, der—etwa zeitgleich zur Offenbarung und mit Blick auf Kleinasien—‘die Außenseiter-Rolle theologisch als königlich-priesterlichen Adel und pragmatisch als Missionschance’Footnote 55 begreift. Wie die Johannes-Offenbarung weiß 1 Petr von der Bedrängnis und Herausforderung der Christen durch den Götzenkult (1Petr 4.3–4), von Beschimpfungen durch die nichtchristliche Mehrheitsgesellschaft (1 Petr 3.16), von Prüfungen (1Petr 1.6; 4.12) und Leiden wegen eines eindeutig christlichen Bekenntnisses (1 Petr 2.19–20; 3.14, 17; 4.16; 5.10). Die Marginalisierung deutet und löst 1 Petr anders als die Offenbarung und setzt—wie Philo—nicht auf den gesellschaftlichen Rückzug, sondern die Strahlkraft eines furchtlosen Bekenntnisses (1 Petr 3.14; 4.4, 16; 5.9). Die Christen werden innerhalb der Gesellschaft positioniert (ἐν τοῖς ἔθνεσιν; 1 Petr 2.12) und aufgerufen, dort jede sich bietende Gelegenheit zum werbend missionarischen Zeugnis zu nutzen. Ebenso baut 1 Petr gegenüber der Staatsgewalt auf eine loyale Haltung: διὰ τὸν κύριον (1 Petr 2.13) gilt es, sich den politisch Verantwortlichen unterzuordnen und so das christliche Bekenntnis gegenüber staatlichen Organen zu verteidigen.
Auf jüdischer Seite ist es zur Abfassungszeit der Johannes-Offenbarung Josephus Flavius, der für eine friedliche Integration des Judentums ins Römerreich plädiert. Das Grundmovens seiner schriftstellerischen Tätigkeit ist, der heidnisch-hellenistischen Welt die Geschichte, den Glauben, die kulturelle Bedeutung und die friedfertige Gesinnung des jüdischen Volkes zu veranschaulichen. Wie für Philo stehen für Josephus Opfer zum Wohl des Kaisers und die respektvolle Anerkennung seiner politischen Autorität nicht dem Exklusivitätsanspruch Gottes entgegen (B.J. 2.197; C. Ap. 2.76–77). Die Selbstvergöttlichung Caligulas bewertet auch Josephus als frevelhafte Anmaßung und despotische Willkür (A.J. 18.256–308; 19.1–4). Der Tod Caligulas ist Ausdruck der Fürsorge Gottes und fordert die politischen Machthaber auf, den Glauben und die Praxis des Judentums zu respektieren (A.J. 19.15–16). Josephus will die—in seiner Person als römischen Geschichtsschreiber jüdischen Glaubens exemplarisch gefundene—Integration des jüdischen Volkes durch die empathische Vermittlung der jüdischen Geschichte und Identität schützen.
Dagegen teilen die frühjüdischen Apokalypsen die radikale politische Kritik und gesellschaftliche Verweigerungshaltung des Sehers Johannes. Die römische Staatsmacht wird durchwegs negativ bewertet (4 Ezra 11.1–12.34; 2 Bar. 35.1–40.4). Entwicklung und Schutz der jüdischen Identität werden nicht durch eine loyal gestimmte Integrationshaltung zu erreichen versucht. Gott vollzieht die Vergeltung und schafft Gerechtigkeit (Sib. Or. 3.350–380; 4.145–148). Das römische Reich erscheint als direkter Gegenspieler Gottes (Sib. Or. 8.68–83) und ist dem Untergang geweiht. Abermals ist die Stabilisierung und Bewahrung jüdischer Identität nur durch die scharfe Abgrenzung von der Gesellschaft zu erreichen, die sich im Glauben an die von Gott herbeigeführte eschatologische Wende vollzieht.
Der Vergleich macht die komplex kontextuelle Abhängigkeit der jeweils konträren gesellschaftlichen Lösungsvorschläge deutlich: Die Deutung der gesellschaftlichen Marginalisierung und die Haltung gegenüber dem Kaiserkult ist nicht allein durch den religiösen Bekenntnishintergrund determiniert. Über die Glaubenszugehörigkeit hinaus prägen der soziale Standpunkt und die geistesgeschichtliche Beheimatung des jeweiligen Verfassers die Wahrnehmung der gesellschaftlichen und politischen Konfliktherde, bestimmen die literarischen Darstellungsmittel und beeinflussen die lebenspraktische Antwort. So ist auch im Fall des Diasporajuden Philo und des frühchristlichen Apokalyptikers Johannes die Suche nach Identität—quer zu den religiösen Linien—vom sozialen Hintergrund, dem politischen Selbstverständnis, dem theologisch und philosophisch verankerten und akzentuierten Gottes- und Menschenbild und nicht zuletzt von der individuellen Situation, der charakterlichen Prägung und menschlichen Haltung des Einzelnen bedingt.
Insbesondere sind im Falle der Legatio ad Gaium und der Offenbarung des Johannes die soziale Milieuzugehörigkeit und geistesgeschichtliche Prägung in Rechnung zu stellen: Dem intellektuellen römischen, auf die Integration des jüdischen Volkes bedachten Diasporajuden steht ein charismatischer Wanderprediger gegenüber, der fest in der jüdisch-apokalyptischen Tradition verwurzelt ist und von daher die Konfliktherde dramatischer und facettenreicher wahrnimmt. Die Apokalyptik als ‘akute Entzündung der jüdischen Hoffnungsorgane’Footnote 56 bedingt die dualistisch radikalisierte Wirklichkeitswahrnehmung und den daraus folgenden handlungsrelevanten Aufruf zum gesellschaftlichen Exodus. Eine historische Anregungsfrequenz mag die apokalyptische Radikalisierung der Wirklichkeit zum einen in der Erfahrung der doppelten Unbehaustheit gefunden haben: Mit dem Glauben an Jesus als Heilsträger sieht Johannes die Christen in doppelte Opposition zur paganen Religion der griechisch-römischen Antike und zum Judentum gesetzt. Einen loyalen Weg zur integrativen Aussöhnung mit der Gesellschaft lehnt er der eindeutigen Unterscheidbarkeit wegen ab. Zum anderen blickt Johannes gegenüber Philo im zeitlichen Abstand eines halben Jahrhunderts auf vergangene antijüdische Konflikte und die Erfahrungen der Ausgrenzung und Verfolgung zurück. So ist die Visionswelt der Offenbarung von der Erinnerung an Kaiser Nero geprägt. Die Zahl des Tiers (Offb 13.18) erlaubt die gematrische Deutung auf Nero. Mit der Legende von Nero redivivus (Offb 17.8–11) und der Stilisierung des Kaisers zum mythologischen Gegenspieler Gottes greift Johannes die traumatische und nachhaltig gegenwärtige Verfolgung unter Nero auf und liest die Vergangenheit in die Wahrnehmung seiner Gegenwart hinein. Mit dieser Erinnerung und in der Erfahrung der zweifachen Unbehaustheit bündelt Johannes das Gefahrenpotential und überzeichnet—ob als Grund oder Folge—in apokalyptischer Radikalisierung die tatsächlich vorhandene Bedrohung der Christen.Footnote 57
Bleibend tragfähig ist sein Glaube an eine im Himmel schon grundgelegte Rettung. Die im Sieg des Lammes verbürgte Erlösung ist der theologische Kontrapunkt zur gesellschaftlichen Marginalisierung der Christen. Damit fordert die Apokalypse nicht nur zum Widerstand gegenüber der reichsrömischen Gesellschaft auf, sondern bietet sich selbst als Lebensraum an. Die Offenbarung verweist nicht nur auf eine himmlische Welt, sondern macht diese zur erfahrbaren Realität in der lesenden und hörenden Inszenierung der Schrift. ‘Auf diese Neuschöpfung zielen all die bewegten Bilder und zielt nach Gottes Absicht die Niederschrift des Johannes, denn genau dort ist diese neue Welt schon betretbar, ‘es ist geschehen’—für den, der liest und sieht und bewahrt’.Footnote 58