Im Rahmen des Johannesevangeliums kommt dem Abschnitt Joh 3.22–36, der das letzte Zeugnis von Johannes dem Täufer über Jesus enthält, eine besondere Bedeutung zu. Unter den vielen mit dieser Perikope zusammenhängenden Fragen ist u.a. die Interpretation von Joh 3.25: „Es entstand nun ein Streit von Jüngern des Johannes mit einem Juden über Reinigung“ wiederholt in der Forschung diskutiert worden.Footnote 1 Dies ist durch die Probleme bedingt, die sich bei der Auslegung dieses Verses erheben. Zunächst einmal ist der Vers merkwürdig unverbunden mit dem ihn umgebenden Kontext: Zuvor wird die Tauftätigkeit Jesu erwähnt (Joh 3.22), die sich parallel zu der durch Johannes in dem Ort Änon bei Salim gespendeten Taufe (Joh 3.23) ereignete. Dies wird in Joh 3.24 vor die Verhaftung von Johannes dem Täufer datiert, die allerdings im vierten Evangelium anders als bei den Synoptikern (Mk 1.14 par; 6.17–29 par) nie ausführlich dargestellt wird.Footnote 2 Dass Johannes festgenommen und später hingerichtet wurde, ist offenbar als bei den Lesern bekannt vorausgesetzt. Ferner wirkt das Thema der „Reinigung“ (καθαρισμός), das in Joh 3.25 angeschnitten wird, wie eine Art Fremdkörper im Textverlauf und wird in der übrigen Perikope nicht wieder aufgegriffen.Footnote 3 Vielmehr beginnt im Anschluss eine Diskussion einiger Johannesjünger mit dem Täufer, die offenbar ihr Missfallen und eine gewisse Rivalität wegen des großen Tauferfolgs Jesu voraussetzt (Joh 3.26–30). Betrachtet man die skizzierte Abfolge der in der ganzen Perikope erwähnten Themen genauer, so liegt die Frage auf der Hand, was die enigmatische Notiz des Johannesevangeliums über den Streit um die Reinigung eigentlich besagen sollte. War sie nicht ein überflüssiges Motiv, das aus unklaren Gründen im Text aufgenommen, vielleicht sogar aus einer Quelle mit einer für den Leser nicht transparenten Absicht übernommen wurde?Footnote 4 Auch eine Überleitung von dem Thema der Reinigung zum anschließenden Gespräch über Jesu Tauftätigkeit ist keineswegs evident.Footnote 5 Versuche etlicher Ausleger, eine solche Verbindung herzustellen, bleiben letztlich spekulativ: Wenn beispielsweise der Jude, der mit den Johannesjüngern in Streit geriet, vorher von Jesus getauft wurde, warum ist genau dies im Text dann mit keinem Wort erwähnt?Footnote 6
Diese inhaltliche Problematik spiegelt sich ebenfalls in der handschriftlichen Überlieferung von Joh 3.25 und wurde schon von den Abschreibern etlicher alter Textzeugen (z.B. P66 oder Codex Vaticanus) bemerkt, die den Singular „mit einem Juden“ (μετὰ Ἰουδαίου) als Opponenten der Johannesjünger in einen Plural (Ἰουδαίων) veränderten. Dies ist sicherlich eine lectio facilior, die wahrscheinlich den Text mit auch sonst im Johannesevangelium bezeugten Juden (im Plural) als Gegnern Jesu harmonisieren sollte. Der Singular begegnet nämlich nur noch in Joh 4.9 und 18.35.Footnote 7 Eine noch radikalere Textveränderung stellt eine seit dem 17. Jh. in der exegetischen Literatur verbreitete Konjektur dar.Footnote 8 Sie ersetzt μετὰ Ἰουδαίου durch μετὰ τῶν Ἰησοῦ bzw. (τοῦ) Ἰησοῦ, so dass demzufolge die Diskussion zwischen den Johannesjüngern und den Anhängern Jesu bzw. diesem selbst stattgefunden hätte. Ein solcher Text ist allerdings in keiner Handschrift bezeugt. Zudem lässt sich nicht erklären, wie die Verschreibung, die die Konjektur voraussetzt, zu Stande gekommen sein soll.Footnote 9 Darum ist die in der Mehrheit der handschriftlichen Zeugen belegte Textform μετὰ Ἰουδαίου als lectio difficilior vorzuziehen. Diese handschriftlichen Varianten bzw. die neuzeitlichen Konjekturvorschläge stellen also eher eine Problemanzeige dar und können zur Auslegung des Verses und der Reinheitsdebatte nicht viel beitragen.
Hinter dem Streit um die Reinigung steht wahrscheinlich der Vorrang der mit der Taufe – und dies gilt auch schon für die von Johannes dem Täufer gespendete Taufe – verknüpften, ethischen Reinheit vor allen kultischen Reinigungsbädern, die von der Tora geboten waren. Das Johannesevangelium vertritt diese Einschätzung und positioniert sich damit im Rahmen einer Auseinandersetzung, die bis in die Zeit der frühen Kirche andauerte. Dies soll im Folgenden anhand wesentlicher, argumentativ miteinander verschränkter Aspekte untersucht werden.
Um den Standpunkt des Johannesevangeliums zu verstehen, ist im Zusammenhang von Joh 3.25 zunächst nach der Bedeutung des Begriffs καθαρισμός zu fragen, der den Streitgegenstand (ζήτησις) markiert. Dass damit die rituelle von der Tora gebotene Reinheit gemeint sein dürfte, bestätigt der Sprachgebrauch im Neuen TestamentFootnote 10 und lässt sich auch mittels anderer Stellen des Johannesevangeliums wahrscheinlich machen, die zeigen, dass Johannes im Hinblick auf jüdische Reinheitsbedenken und -vorschriften gut informiert war. Dazu kommen noch einige verstreute Notizen, mit denen er seine Leser auf die Reinheit und ihre Bedeutung im Judentum ausdrücklich hinweist. So werden in Joh 2.6 steinerne Krüge zur Aufbewahrung von Flüssigkeiten erwähnt, wobei diese Sitte von Johannes mit dem καθαρισμός der Juden begründet wird. Dieses Stichwort begegnet also auch hier.Footnote 11 Dabei ist vorausgesetzt, dass diese Gefäße wegen des besonderen Materials, aus dem sie hergestellt waren, das in ihnen aufbewahrte Wasser nicht kultisch verunreinigen konnten.Footnote 12 Archäologische Nachweise für solche Steingefäße unterschiedlicher Form und Größe liegen uns durch Ausgrabungsfunde aus Palästina vor.Footnote 13 Dieses Detail des Johannesevangeliums erfährt durch die Grabungsfunde also eine gewisse Bestätigung. An anderer Stelle in Joh 11.55 wird berichtet, dass sich die Festpilger, die das Passah in Jerusalem begehen wollten, zuvor kultisch reinigten, was Johannes mit dem Verb ἁγνίζειν umschreibt.Footnote 14 Vorausgesetzt ist dabei – auch wenn Johannes dies nicht ausdrücklich mitteilt – dass von den Besuchern zum Schlachten der Passahlämmer der Priestervorhof des Tempels betreten werden musste, was kultische Reinheit, beispielsweise nach dem Kontakt mit einer Leiche (Num 9.6), zwingend erforderte.Footnote 15 Diese Vorbedingung des Passahs wird überdies im Rahmen der johanneischen Gerichtsszene vor Pilatus erwähnt, in der die jüdischen Ankläger Jesu nicht den Amtssitz des Statthalters betreten wollen, um vor dem Passahmahl nicht unrein zu werden (Joh 18.28). Diese Unreinheit wäre nämlich durch das Betreten des Hauses eines Heiden übertragen worden.Footnote 16 Johannes waren diese spezifisch jüdischen Reinheitsvorschriften also vertraut, was ihre ausdrücklich genannten Konsequenzen etwa für das Betreten des Tempels zum Passahfest einschloss.
Was ist vor diesem Hintergrund jedoch in Joh 3.25 mit dem Stichwort καθαρισμός im Umfeld der Taufe gemeint und woran konnte sich ein Streit entzünden, in den Jesus selbst gar nicht involviert war? Hierbei sei hervorgehoben, dass mit dem Begriff ζήτησις in Joh 3.25 offensichtlich ein Streitgespräch gemeint ist, das die Reinheitsfrage betraf.Footnote 17 Einen Hinweis, worum sich die Auseinandersetzung drehte, lässt sich möglicherweise aus Joh 13.10 erschließen, wo die Reinheitsproblematik einmal mehr thematisiert wird. Dieser Vers steht im Rahmen der Geschichte der Fußwaschung, die Jesus an seinen Jüngern vor dem Passahfest anlässlich eines gemeinsamen Mahls vornahm (Joh 13.2–5). Als dabei nach einigen anderen Jüngern die Reihe an Petrus gekommen ist, lehnt er Jesu Ansinnen entschieden ab (Joh 13.6) und verweigert für seine Person eine solche Waschung (Joh 13.8a). Daraufhin wird Petrus von Jesus belehrt, dass er deren Sinn erst später verstehen werde (Joh 13.7) und ohne Waschung keinen Anteil an ihm haben könne, wofür das Wasser, das seine Füße säubert, offenbar ein symbolischer Ausdruck sein soll (Joh 13.8).Footnote 18 Dennoch lässt Petrus weiterhin keine Fußwaschung zuFootnote 19 und wechselt stattdessen seine Strategie, indem er nun von Jesus die Reinwaschung seines ganzen Körpers verlangt, wobei Füße, Hände und Kopf ausdrücklich erwähnt werden (Joh 13.9). Wahrscheinlich ist an ein vollständiges Untertauchen gedacht,Footnote 20 wie es in jüdischen Ritualbädern und ebenfalls bei der Bußtaufe, die Johannes eingeführt hatte, üblich war. Dieser Bitte kommt Jesus jedoch nicht nach. Er weist Petrus vielmehr darauf hin, dass er ja bereits „gewaschen sei“ (λελούμενος, Joh 13.10a). Diese im Perfekt gehaltene Partizipialform spielt auf eine schon geschehene Waschung mit Wasser an, die wie der Kontext voraussetzt ein Vollbad für den ganzen Körper war. Der zeitliche Rückverweis passt allerdings nicht recht zum Kontext der übrigen Fußwaschungserzählung, nach der Jesus gerade im Begriff ist, sie an seinen Jüngern vorzunehmen und Petrus sie für sich zurückgewiesen hatte. Jenes Vollbad scheint folglich vor dieser partikulären Waschung der Füße zu liegen, die nach Joh 13.10a noch nötig ist (χρείαν).
Was also ist mit der vergangenen Gesamtwaschung gemeint? Bei der ganzen Perikope handelt es sich bekanntlich um Sondergut, das nur im Johannesevangelium vorkommt. Das vornehmliche Ziel dieser Erzählung ist es sicherlich hervorzuheben, dass Jesus durch diese von ihm vorgenommene Reinigungshandlung die Rolle eines Dieners übernimmt, die den Protest des Petrus erregte. Dabei gehören die Verse Joh 13.4–5 bzw. 12–17 wahrscheinlich ursprünglich zusammen, während die Verse 6–11 wohl eine spätere Relecture darstellen.Footnote 21 Das Ziel der Perikope – abgesehen von Joh 13.6–11 – war es demnach, Jesu besondere Stellung exemplarisch vor Augen zu führen, auf die bevorstehende Kreuzigung zu verweisen und zugleich ein ethisches Vorbild zu geben.Footnote 22 Eine spezielle Pointe der Erzählung ist die genannte Umkehrung der Rollen: Die Fußwaschung wird nicht etwa von einer Person vorgenommen, die eine sozial niedrige Position einnimmt, sondern von demjenigen, der als Herr und Lehrer der Jünger die Führung der versammelten Gruppe innehat.Footnote 23 Erst im Rückblick – nach Jesu Tod – wird diese Bedeutung der Symbolhandlung völlig verständlich.Footnote 24
Die Verse Joh 13.8–10 greifen in diesem Zusammenhang in einer für Johannes typischen Manier verschiedene Verstehensebenen eines Textes auf und nehmen die Frage der Reinheit in den Blick. Dies hebt das Stichwort καθαρός in Vers 10 deutlich hervor. Die Reinheitsproblematik liegt im Kontext einer Erzählung, die um das Waschen kreist, thematisch nahe und setzt voraus, dass kultische Reinheit im Judentum durch die in der Tora gebotenen Lustrationen mit Wasser zu erreichen ist.Footnote 25 Zudem hat der Evangelist die Fußwaschungsgeschichte kurz vor das Passahfest datiert (Joh 13.1), bei dem kultische Reinheit für das Gemeinschaftsopfer im Tempel zwingend erforderlich war,Footnote 26 worauf seine Mitteilungen in Joh 11.55 und 18.28 hinweisen. Im Umfeld dieser kultischen, durch das Fest bedingten Erfordernisse betont Jesus nun, dass Petrus bereits zu diesem ZeitpunktFootnote 27 „ganz rein“ (Joh 13.10a) sei und setzt dabei voraus, dass dies ein abgeschlossener Zustand sei, der keiner Wiederholung (auch nicht durch eine Fußwaschung)Footnote 28 bedürfe. Im Hinblick auf diese Auslegung muss an dieser Stelle ein Problem in der handschriftlichen Überlieferung von Joh 13.10 berücksichtigt werden: Der betreffende Vers findet sich bekanntlich in einer langen und einer kürzeren Version in den Handschriften. In der längeren Fassung ὁ λελουμένος οὐκ ἔχει χρείαν εἰ μὴ τούς πόδας νίψασθαι, ἀλλ᾿ ἔστιν καθαρὸς ὅλος ist der konditionale Nebensatz „ausgenommen die Füße“ (εἰ μή τοὺς πόδας) hinzugesetzt, der in einer Kurzversion im Codex Sinaiticus und einigen Itala- und Vulgata-ManuskriptenFootnote 29 fehlt.Footnote 30 Die längere Textform ist somit besser bezeugt, und man sollte von ihr nur dann in der Auslegung abweichen, wenn sich auf ihrer Grundlage keine sinnvolle Interpretation ergibt.Footnote 31 Aus der längeren Fassung wurde εἰ μή τοὺς πόδας m.E. wohl getilgt, weil dem Abschreiber die Verbindung zur nachfolgenden Aussage „sondern er ist ganz rein“ unklar war.Footnote 32 Das hierbei gemeinte Waschen mit Wasser, das in der Vergangenheit liegt, bezieht sich, so wurde seit patristischer Zeit von Exegeten vermutet,Footnote 33 auf die Taufe.Footnote 34 Sie betrifft als ein Vollbad ursprünglich den ganzen Körper, vom Kopf bis zu den Füßen.Footnote 35 Außerdem ist das Verb λούεσθαι (bzw. seine Derivate) im Neuen Testament in diesem Kontext mehrfach bezeugt (Apg 22.16; 1 Kor 6.11; Eph 5.26; Tit 3.5; Hebr 10.22).Footnote 36 Darüber hinaus gibt es einen Bezug zum Fußwaschen, das als eine Reinigungshandlung der Festpilger und anderer jüdischer Besucher vor Betreten des Jerusalemer Tempels üblich war und nach bestimmten außerkanonischen Quellen von Jesus abgelehnt wurde, wie wir noch erörtern werden.
Sollte also im Johannesevangelium eine Differenz zu derjenigen Fußwaschung markiert werden, die Jesus an seinen Jüngern vornahm? War zudem die aus dem Judentum übernommene Reinheitsforderung mit den entsprechenden Ritualbädern im Urchristentum noch immer ein akutes Problem, auf das Johannes hier rekurrierte? Wir werden auf diese Fragen gleich zurückkommen.
Zunächst noch einige Überlegungen zu einer Art von Einschränkung, die in Joh 13.10bβ–11 nachgeschoben wird. Die λελουμένοι sind zwar ganz und gar rein (ὅλος), aber eben nicht alle Jünger Jesu ohne Ausnahme, denn der Verräter Judas ist im Gegensatz zu den anderen Jüngern unrein. Dies muss sich auf seine moralisch begründete Unreinheit beziehen, die mit seiner Denunziation Jesu an dessen jüdischen Widersacher einhergeht. Damit wird an dieser Stelle Reinheit moralisch gewendet, ist also kein rein körperlicher Zustand, der – wie im Judentum, das die Unterscheidung zwischen moralischer und ritueller Unreinheit ebenfalls voraussetzt, in kultisch-ritueller Hinsicht vorausgesetzt – durch wiederholbare Waschungen immer wieder restituiert werden muss und der – weil durch unvermeidbare natürliche Vorgänge z.B. den Kontakt mit Toten nach einem Sterbefall bedingt – an und für sich nichts mit Sünde zu tun hat.Footnote 37 Dazu passt in gewisser Weise eine Stelle wie Joh 15.3, an der Jesus von der Reinheit spricht, die das „Wort“, das er zu den Jüngern gesagt hat, bewirkt. Auch hierbei ist der Zustand des Reinseins in das Innere der Menschen hinein verlagert, wo Jesus durch seine Offenbarungsrede Reinheit gewirkt hat.Footnote 38 Mit dem in Joh 15.2 auf der Bildebene erwähnten „Frucht bringen“ könnten Liebeswerke gemeint sein (vgl. Joh 14.12),Footnote 39 was diejenigen moralischen Implikation anzeigt, die mit der Reinheit der zuhörenden Anhänger Jesu einhergehen (Joh 15.2b).
Kommen wir wieder zu Joh 13.10 zurück: Entsprechend unserer bisher vorgeschlagenen Interpretation spielt dieser Vers auf ein in der Vergangenheit liegendes (Tauf-)Bad an, bei dem die Jünger mit ihrem ganzen Körper untergetaucht wurden und das offenbar mit ihrer ethischen Haltung korrespondiert, der der Judasverrat widerspricht. Dass ὁ λελουμένος in Joh 13.10 auf die Taufe zu beziehen ist, wurde allerdings von vielen Exegeten, allen voran von Rudolf Bultmann, bestritten.Footnote 40 Bultmann kann sich anders das „Pathos“ von Joh 13.8 nicht erklären, wonach das Waschen der Füße „das schlechthin Entscheidende“ sei und fragt sich, wieso Jesus dann überhaupt noch eine Fußwaschung vornehme, wenn der Gebadete davor doch bereits καθαρὸς ὅλος sei.Footnote 41 Dem ist entgegenzuhalten, dass es Johannes gerade um den Unterschied der Fußwaschung in Joh 13.1–17 mit ihrer bereits skizzierten besonderen christologischen bzw. ethischen Bedeutung von allen jüdischen Reinheitsbädern im Umfeld des Passahfestes geht, zu denen auch das Waschen der Füße im Tempel gehörte.Footnote 42 Darauf wurde besonders von Adolf SchlatterFootnote 43 und Ernst LohmeyerFootnote 44 hingewiesen. Diese Differenz war in einem speziellen Taufverständnis und in einer auf das Ethische zugespitzten Reinheitsvorstellung fundiert, die Joh 15.3 voraussetzt und der der Verräter Judas nicht genügen konnte.Footnote 45
Wenden wir uns an dieser Stelle noch einmal Joh 3.25 zu: In der Vorrangstellung des Ethischen war Jesus, falls man Joh 3.25; 13.10 und 15.3 in der bisher dargelegten Weise verknüpft, nach dem vierten Evangelium ein Erbe von Johannes dem Täufer und adaptierte dessen – zunächst einmal Jesus vorgegebenen – älteren Konflikt, der sich wegen Reinheitsfragen an der Bußtaufe des Johannes entzündete und auf den Joh 3.25 anspielt:Footnote 46 Mit dieser Bußtaufe, auf die ὁ λελουμένος in Joh 13.10 zurückverweisen soll, ist demzufolge keinesfalls die kirchliche Taufe gemeint,Footnote 47 die erst nach Jesu Tod eingeführt wurde. Dass Jesus parallel zu Johannes dem Täufer taufte und dabei die Bußtaufe des Johannes übernahm, scheint das Johannesevangelium auch in Joh 3.22, 26 bzw. 4.1 vorauszusetzen.Footnote 48 Zudem darf man wahrscheinlich davon ausgehen, dass sich Jesu Tauftätigkeit, wie Joh 3.26 andeutet, (zumindest in Teilen) auf seinen eigenen Jüngerkreis erstreckte, der somit entweder von Johannes dem TäuferFootnote 49 oder von Jesus getauft wurde. Die in Joh 4.2 erwähnte Delegationstaufe der Jünger ist m.E. eine später zugesetzte Relativierung.Footnote 50 Weil die Jünger jedoch getauft waren, konnte Jesus Petrus in Joh 13.10 als λελουμένος bezeichnen. Als ein Getaufter war er rein gewaschen, wobei dies vor allem in moralischer Hinsicht Geltung hatte.
Dass Jesus sich mit getauften Jüngern, zu denen mit Sicherheit die Zwölf zählten, umgeben hat, wird übrigens ebenfalls von Kirchenvätern beginnend mit Clemens von Alexandria aus den Mitteilungen des vierten EvangeliumsFootnote 51 (und wahrscheinlich weiteren außerkanonischen Traditionen)Footnote 52 abgeleitet. Beschäftigen wir uns nun mit der Reinheitsproblematik in den erwähnten, außerkanonischen Quellen, in denen sich interessante Parallelen und Hintergründe für das Verständnis von Joh 3.25, 13.10–11 sowie 15.3 nachweisen lassen.Footnote 53 In ihnen wird insbesondere die Vorrangstellung der ethischen Reinheit vor allen kultischen Reinigungen erwähnt. In diesem Zusammenhang ist in erster Linie das im Jahr 1905 auf einer Abfallhalde der antiken Stadt Oxyrhynchus aufgetauchte Evangelienfragment P.Oxy. 840 aufschlussreich,Footnote 54 das m.E. aus einem heute verlorenen, judenchristlichen Evangelium stammt.Footnote 55 In ihm wird, wie gerade Spezialisten für jüdische Geschichte und ToraauslegungFootnote 56 seit der Veröffentlichung des Papyrus immer wieder hervorgehoben haben, eine kenntnisreiche Schilderung der Waschungen und Reinheitsvorschriften des jüdischen Tempels für Priester und Laien geboten, die Jesus zusammen mit seinen Jüngern teils kritisiert, teils auch offen ablehnt, ohne allerdings jüdisches Reinheitsdenken vollkommen zu verwerfen. Dies hätte sicherlich zu einem Skandal und dem Ausschluss aus dem Tempel geführt, wie nach Josephus den Essenern „wegen eines Unterschiedes in der Reinigung“Footnote 57 der allen Juden zugängliche Tempelbereich verboten war und auch den Samaritanern im 1. Jh. n. Chr. der Zutritt höchstwahrscheinlich verwehrt wurde, weil man sie verdächtigte, das Heiligtum gezielt während eines Passahfestes durch Verstreuen von Menschenknochen verunreinigt zu haben.Footnote 58 Mit solchen radikalen Provokationen hatte Jesus nichts zu tun: Nach P.Oxy. 840 machte er mit seinen Jüngern seine spezielle Position in Reinheitsfragen dadurch für jedermann erkennbar, dass er nicht wie allgemein üblich, als er nach einem jüdischen Fest, zu dem er mit seinen Jüngern nach Jerusalem gekommen war, im inneren Tempelbezirk umherging, seine Alltagskleidung durch weiße Festtagskleidung ersetzte. Außerdem unterließ er ebenso wie seine Jünger die Fußwaschung vor Betreten des inneren Tempelareals und machte ein zusätzliches rituelles Tauchbad vor Betreten des inneren Hofes der Männer, das zwar in der Tora nicht vorgeschrieben war, aber von den Pharisäern, die in halachischen Fragen im Tempel dominierten,Footnote 59 durchgesetzt worden war, nicht mit (P.Oxy. 840, Z. 12–20). Er wird daraufhin von einem Priester, der zu den Pharisäern gehörte, was ausdrücklich vermerkt wird (P.Oxy. 840, Z. 10) und der aus einer hohepriesterlichen Familie stammte, in ein Streitgespräch verwickelt.Footnote 60 Er macht Jesus seine Unreinheit beim Betreten des Tempelareals zum Vorwurf, denn er sei hineingegangen, „obwohl weder du dich gewaschen hast noch deine Jünger ihre Füße gebadet haben“ (μήτε λουσα[μ]ένῳ μ[ὴ]τε μὴν τῶν μαθητῶν σου τοὺς π[όδας βα]πτισθέντων).Footnote 61 Nach P.Oxy. 840 haben Jesus und die Jünger, wie vorausgesetzt ist, also ohne rituelles Fußbad den Tempelbezirk betreten. Diese in der Mischna erwähnte VorschriftFootnote 62 scheint ebenso wie die in der Tosefta bezeugte Regel „Wer immer den Hof durch das Nikanortor betritt, nimmt in demselben Hof ein Tauchbad“Footnote 63 von Jesus missachtet worden zu sein. Das Nikanortor trennte den inneren Tempelbereich ab. Dieses Bad hatten demnach sogar kultisch reine Personen vorzunehmen, obschon alle Unreine ohnehin in den Vorhof der Frauen nicht eintreten durften.Footnote 64 Jesus lehnte offenbar durch sein Unterlassen dieser Waschungen diejenigen Reinheitsgebote ab, die nicht durch die Tora legitimiert waren und nur auf mündlich tradierter pharisäischer Halacha beruhten, der παράδοσις τῶν ἀνθρώπων, die er auch an anderen Stellen der kanonischen Evangelien kritisierte (Mk 7.8–9). Dazu gehörten u.a. die erwähnten Fußbäder im Tempel, die er mit seinen Jüngern nicht mitmachte. Vor diesem Hintergrund wird transparent, wieso in Joh 13.10 die Differenz der Fußwaschung Jesu, die er an seinen Jüngern vornahm, zu allen jüdischen Ritualbädern, die der Reinigung dienten, so deutlich herausgearbeitet wurde. Diese Symbolhandlung, die das Johannesevangelium schildert, hatte eben eine ganz andere (neue) ethische und christologische Bedeutung. Dennoch wird die Affinität der Fußwaschung zu jüdischen Reinigungshandlungen bei Johannes nicht völlig ignoriert, sondern diese Reinheitsriten werden zusätzlich noch durch die Taufe, und d.h. bereits durch die Bußtaufe des Johannes, überboten.
Welche Bedeutung die Johannestaufe in diesem Zusammenhang hatte, zeigt sich im weiteren Verlauf des in P.Oxy. 840 enthaltenen Streitgesprächs. Der Priester hatte nämlich auf Jesu Entgegnung: „Du nun, der du hier in dem Heiligtum bist, bist du rein?“ (Z. 23–4) auf sein Tauchbad in einem Ritualbad mit zwei getrennten Treppen für Reine und Unreine verwiesen. Ritualbäder mit einer solchen Doppeltreppe werden beiläufig in der Mischna bezeugtFootnote 65 und sind heute archäologisch in Jerusalem nachweisbar.Footnote 66 Nach ihrer Erwähnung geht Jesus zum Angriff über und wirft dem Priester mit einem Weheruf über „Blinde, die nicht sehen“ (Z. 30–2) vor, sich lediglich in „ausgegossenen Wassern“ gereinigt zu haben, in denen „Hunde und Schweine“ liegen und darüber hinaus nur etwas wiederholt zu haben, was auch „Dirnen und Flötenspielerinnen“ täten, die ihre Haut durch Salben, Waschen, Einreiben und Schminken für ihre Kunden verschönern wollten. In ihrem Inneren aber seien sie erfüllt von „aller Schlechtigkeit“ (Z. 41), die Jesus mit Skorpionen vergleicht. Mit dieser harschen Polemik hebt Jesus offenbar auf eine Umkehrung in der Wertigkeit der Reinheit ab. Es geht ihm selbstverständlich nicht um eine Verschmutzung der Wasserversorgung des Tempels durch unreine Tiere wie Schweine und Hunde. Vielmehr betrachtet er die innere ethische Haltung als vorrangig. Natürlich bestreitet Jesus nicht, dass bestimmte rituelle Waschungen von dem Priester vorgenommen werden mussten, denn sie waren durch die Tora legitimiert.Footnote 67 Hatte ein Priester sie unterlassen, wurde er mit dem Tode bestraft, was Jesus gewusst haben wird.Footnote 68 Danach richtet Jesu in seiner Antwort noch einmal den Blick auf sich und seine Jünger und schließt sich dabei ausdrücklich mit ihnen zusammen: „Ich aber und meine Jünger, von denen du sagst, wir hätten uns nicht untergetaucht, wir sind getauft (bzw. untergetaucht) in Wassern des ewigen Lebens, die kommen von …“ (ἐγὼ δε καὶ οἱ [μαθηταί μου] οὓς λέγεις μὴ βεβα[πτίσθαι βεβά]μμεθα ἐν ὕδασι ζω[ῆς αἰωνίου τοῖ]ς ἐλθοῦσιν ἀπὸ …, Z. 41–4). An dieser Stelle bricht der erhaltene Text des Fragments ab.Footnote 69 Wenn man das Stichwort βεβάμμεθα vor ἐν ὕδασι ζωῆς auf die Taufe bezieht, so ist ein Getauftsein in der Vergangenheit gemeint, das Jesus mit seinen Jüngern verbindet. Dies kann in der Erzählperspektive nur auf die Bußtaufe des Johannes verweisen bzw. eine Taufe, die Jesus selbst seinen Jüngern spendete, wie sie das Johannesevangelium erwähnt. Sie fand nach dem Oxyrhynchusfragment in einem „lebendigen“ Wasser statt, wobei zu beachten ist, dass z.B. auch in der Mischna dem lebendigen Quellwasser die größte reinigende Kraft zugeschrieben wurde.Footnote 70 Dies könnte eine Anspielung auf eine Taufe im Jordan bzw. in seinen Nebenflüssen sein. Auf jeden Fall liegt solch ein Taufbad zeitlich vor dem Besuch des jüdischen Tempelfestes, bei dem dieses Streitgespräch angesiedelt ist. Es ist demnach in P.Oxy 840 wohl kein Hinweis auf die spätere kirchliche Taufpraxis gegeben.
Wenden wir uns im Anschluss an das zuletzt Gesagte noch einmal dem Johannesevangelium zu: Das Evangelienfragment aus Oxyrhynchus weist sicherlich gewisse Bezüge zu den synoptischen Evangelien auf, wozu z.B. die Unterscheidung zwischen Innen und Außen in Reinheitsfragen im Munde Jesu zählt (Mk 7.15; Mt 23.25; Lk 11.39). Auch ein Weheruf gegen „Blinde“, womit Pharisäer gemeint sind, findet sich in Mt 23.26. Zum Johannesevangelium lassen sich jedoch keine vergleichbaren Übereinstimmungen feststellen. Dennoch scheinen mir inhaltliche Berührungspunkte gegeben: In P.Oxy. 840 ist der Jüngerkreis Jesu getauft, was Joh 13.10 im Hinblick auf Petrus (bzw. Joh 13.11 für Judas) als gegeben anzunehmen scheint. Diese Taufe ist mit einer inneren ethisch gemeinten Umkehr verknüpft, die einzig Judas vermissen lässt und die sie über rituelle Waschungen erhebt, selbst wenn diese beispielsweise für die Tempelpriester in der Tora geboten waren. Daraus resultierte ein gravierender Unterschied in der Wertigkeit zwischen ethischer und kultischer Reinheit. Für Jesus ist dabei das Ethische an erste Stelle gerückt, wie seine Polemik in P.Oxy. 840 gegen den Priester anzeigt und wie das Johannesevangelium ebenfalls implizit voraussetzt. Alle auf den Tempel bezogenen, rituellen Reinigungen, so streng ihre Gebote z.B. für Priester auch galten und befolgt wurden, waren letztlich zweitrangig. Dies führte jedoch nicht zu ihrer vollständigen Aufhebung, wenn sie in der Tora legitimiert waren.Footnote 71 Moralische Reinheit aber stand kultisch bedingten Reinheitsritualen voran. Dass auch ethische Vergehen – was sexuelle Verfehlungen,Footnote 72 Abfall zum GötzenkultFootnote 73 und Blutvergießen durch MordFootnote 74 einschloss – das Heilige LandFootnote 75 und Gottes TempelFootnote 76 verunreinigten, ist durch die Tora begründet. Im Johannesevangelium tritt aber ebenso wie in P.Oxy. 840 eine deutliche Zuspitzung zutage, wobei die Taufe Reinheit und ein anderes moralisches Verhalten begründet. Auf dieser Überzeugung fußen m.E. auch Joh 13.10 und 15.3, weshalb der durch die Taufe Gewaschene schon voll und ganz rein ist und dies mit dem Wort Jesu, das ihm gesagt wurde, verbunden werden kann. Die in dieser Position angelegten Konfliktlinien mit kultisch erforderlichen Lustrationen lassen sich, wie Joh 3.25 wohl andeutet, bis auf Johannes den Täufer zurückverfolgen und brachten Jesus in eine gewisse Kontinuität mit Debatten, die schon von Johannes und seinen Anhängern geführt wurden.
Blicken wir abschließend noch über das Johannesevangelium hinaus und gehen auf die spätere kirchliche Entwicklung ein: Hier lässt sich nachweisen, dass die Frage nach der Verbindlichkeit jüdischer Ritualbäder für Christen bis in die Spätantike hinein ein umstrittenes, innerkirchliches Problem geblieben ist. Insbesondere in einem heute als judenchristlich bezeichneten Milieu wurden Ritualbäder weiterhin als verbindlich angesehen.Footnote 77 Allerdings verlagerte sich der Kern der Diskussion nach der Tempelzerstörung von dem kultischen Umfeld des Tempels beispielsweise zu den für Frauen vorgeschriebenen Waschungen nach der Menstruation.Footnote 78 Einige christliche Gruppen wie die Elkesaiten führten sogar eine wiederholbare Taufe nach gravierenden Sünden ein,Footnote 79 was bei den Mandäern bis heute praktiziert wird.Footnote 80 Das Johannesevangelium setzt solche innerchristlichen Reinheitskonflikte, die in der Kirche noch lange fortwirkten,Footnote 81 selbst wenn die Befürworter der Waschungen immer mehr ins Abseits gerieten, wahrscheinlich als bekannt voraus. Letztlich arbeitete sein Verfasser – vielleicht sogar ohne diese letzte Konsequenz zu wollen – einem Standpunkt vor, der sich in der Kirche am Ende durchsetzte und alle jüdischen Reinigungen als durch die christliche Taufe für immer erledigt erachtete. Diese Ansicht fasste Clemens von Alexandria in der programmatischen Bemerkung zusammen, dass Jesus solche wiederholten, von der Tora erwähnten Waschungen in der Taufe gleichsam kumulativ einmal vollzogen und damit für jeden Getauften aufgehoben habe, „wie er ja auch die vielen Waschungen des Mose in einer einzigen Taufe zusammengefasst hat“.Footnote 82