Für Wolfgang Beilner zum 80. Geburtstag
1. Die antike Geschäftssprache als ein Hintergrund für Begriffe und Bilder bei Paulus
1.1. Hinführung
Vor etwas mehr als 100 Jahren, am 10. Juni 1908, hielt der ordentliche Professor für Neues Testament an der Universität Berlin, Adolf Deißmann,Footnote 1 auf dem Evangelisch-sozialen Kongress in Dessau einen Vortrag unter dem Titel ‘Das Urchristentum und die unteren Schichten’ und bezeichnete darin die Sprache des ZelttuchwebersFootnote 2 Paulus von Tarsus als ‘vielleicht das glänzendste Beispiel ungekünstelter, wenn auch nicht kunstloser Umgangsprosa eines weitgereisten Großstädters der römischen Kaiserzeit’.Footnote 3 Über die Bilder, die Paulus in seinen Briefen verwendet, bemerkte Deißmann:
seine dem Landleben entnommenen Bilder haben leicht etwas Schematisches. Aber wo Paulus Bilder aus dem Rechtsleben, speziell aus dem Familien-, Erbund Strafrecht, Bilder aus dem Militärwesen und der Gymnastik gebraucht, da ist der Großstädter in seinem Element, und seine Zentralbegriffe der Rechtfertigung, d. h. Freisprechung, der Erlösung, d. h. Loskaufung, der Annahme an Sohnesstatt und viele andere sind, obwohl nachmals von den Theologen unsäglich schwierig gemacht, tatsächlich für den einfachen Menschen der antiken Welt leicht verständlich gewesen.Footnote 4
Offenbar als städtisch geprägter Handwerker verwendet Paulus auch einige Begriffe und Formulierungen, die direkt dem antiken Geschäftsleben entnommen sind. Ich erwähne nur einige ausgewählte: ἀγοράζω (‘kaufen’Footnote 5—1 Kor 6.20; 7.23), ἀποδίδωμι (‘geben, zahlen’Footnote 6—bes. Röm 13.7; vgl. Röm 2.6; 12.17; 1 Kor 7.3; 1 Thess 5.15), ἀπέχω (‘erhalten haben, den Empfang bestätigen’Footnote 7—Phil 4.18; Phlm 15),Footnote 8 ὁμολογέω (‘vereinbaren, einen Vertrag schließen, zustimmen’—Röm 10.9, 10) und ὁμολογία (‘Zustimmung, Vereinbarung’—2 Kor 9.13), βεβαιόω (‘gewährleisten, bestätigen’Footnote 9—Röm 15.8; 1 Kor 1.6, 8; 2 Kor 1.21) und βεβαίωσις (‘Gewährleistung, Bestätigung’—Phil 1.7), ὀφείλω (‘schulden’Footnote 10—Röm 13.8; 15.27; Phlm 18; eventuell auch 1 Kor 7.36Footnote 11)Footnote 12 und προσοφείλωFootnote 13 (Phlm 19), ὀφειλή und ὀφείλημα (‘Schuld’—Röm 4.4; 13.7; 1 Kor 7.3), ὀφειλέτης (‘Schuldner’—Röm 1.14; 8.12; 15.27; Gal 5.3), μισθός (‘Lohn, Verdienst’Footnote 14—Röm 4.4; 1 Kor 3.8, 14; 9.17, 18), τελέω (‘zahlen’—Röm 13.6)Footnote 15 und τέλος (‘Zoll, Abgabe’—Röm 13.7),Footnote 16 φόρος (‘Steuer’—Röm 13.6, 7) oder τιμή (‘Betrag, Preis’Footnote 17—1 Kor 6.20; 7.23; beachte auch Röm 13.7 vom Kontext her).Footnote 18 Seine Mitarbeiter bezeichnet Paulus mit dem aus dem Geschäftsleben stammenden Ausdruck συνεργόςFootnote 19 (allgemein in Phil 4.3; in Röm 16.3 für Priska und Aquila; 16.9 für Urbanus; 16.21 und 1 Thess 3.2 für Timotheos; 2 Kor 8.23 für Titus; Phil 2.25 für Epaphroditos; Phlm 1 für Philemon und in V. 24 für Markus, Aristarch, Demas und Lukas; sich selbst sieht er als Mitarbeiter Gottes in 1 Kor 3.9 und als Mitarbeiter der Freude der Gemeinde in 2 Kor 1.24). Titus bezeichnet er außerdem als κοινωνός (‘Partner’Footnote 20—2 Kor 8.23); sich selbst bezeichnet Paulus als κοινωνός Philemons (Phlm 17).Footnote 21
1.2. Der erlernte Beruf des Paulus als Hintergrund
Eine genauere Einordnung des von Paulus erlernten und nach eigenen Worten auch immer wieder ausgeübten Berufes (vgl. z.B. 1 Thess 2.9; 1 Kor 4.12; 9.6) ermöglichen markante Begriffe und formelhafte Wendungen in seinen eigenen Briefen.Footnote 22 Mehrere Stellen im Phlm etwa zeigen eine unmittelbare Vertrautheit mit den internen Strukturen und Gepflogenheiten des Weberhandwerks in römischer Zeit. Insbesondere die in V. 13 an den Sklavenhalter Philemon gerichtete und den Sklaven Onesimos betreffende Aussage ‘ich wollte ihn bei mir behalten, damit er an deiner Stelle mir dient in den Fesseln des Evangeliums’, erinnert direkt an entsprechende Formeln in Weberlehrverträgen, wo vereinbart wird, dass der angehende Lehrling dem Webermeister dienen wird in allem, was mit dem Weberhandwerk verbunden ist. Das Auffällige daran ist dies: nur in Lehrverträgen des Weberhandwerks begegnet die entsprechende Formulierung und sie ist auch nur für das 1. Jh. n.Chr. (also für die Zeit des Paulus) bezeugt, nicht für die Zeit davor und auch nicht später.Footnote 23
Aus diesem Befund habe ich in meinem papyrologischen Kommentar zum Phlm die These abgeleitet, Paulus habe derartige Formulierungen übernommen, weil vermutlich sein Vater für den angehenden Weberlehrling Paulus einmal einen solchen Vertrag abgeschlossen habe.Footnote 24 Dazu hat kürzlich der Marburger Rechtshistoriker Joachim Hengstl bemerkt: ‘der für Weberlehrverträge typische Sprachgebrauch im Phlm […] geht […] über das Maß an Kenntnis hinaus, welches bei einem Lehrjungen anhand seines eigenen Lehrvertrags zu erwarten ist. […] Paulus dürfte mithin zeitweise eher “Lehrherr” gewesen sein—jemand, der Lehrlingsverträge geschlossen hat und deshalb mit deren Wortlaut vertraut gewesen ist’.Footnote 25
Der indirekte Hinweis in der Apg (in 18.3), Paulus sei σκηνοποιός gewesen, gewinnt somit von den genannten Stellen seiner authentischen Briefe her eine gewisse Plausibilität, obgleich diese Berufsbezeichnung unterschiedliche Bedeutungen zulässt.Footnote 26 Im Falle des Paulus ist dabei an einen Handwerker im großen Bereich der Textilindustrie zu denken.Footnote 27 Auch der nur in der Apg (22.3) enthaltene und von Paulus selbst nicht bestätigte Hinweis, er stamme aus Tarsos in Kilikien, lässt sich in diesen Hintergrund gut einordnen, denn Tarsos war bekanntlich ein Zentrum der Leinenweberei.Footnote 28 Die spezielle tarsische Webkunst war weit über die Region hinaus bekannt und geschätzt. So sind auch für das kaiserzeitliche Ägypten sog. ταρσικάριοι, also Weber, die sich auf die tarsische Webkunst verstehen, bezeugt.Footnote 29
Wie erwähnt, hat Paulus seinen erlernten Handwerksberuf auch während seiner Missionstätigkeit ausgeübt und so höchstwahrscheinlich unter Arbeitskolleginnen und -kollegen sowie Geschäftsleuten immer wieder Anhängerinnen und Anhänger anwerben können (z.B. Aquila und Prisca, vgl. Apg 18; beide werden in Röm 16.3 als Mitarbeiter des Paulus erwähnt).Footnote 30 Vor diesem Hintergrund ist anzunehmen, dass die Sprache der Handwerker und Geschäftsleute und die daraus bezogenen Bilder den Adressatinnen und Adressaten seiner Briefe ebenso vertraut waren wie Paulus selbst.
2. Gott als ‘Geschäftsmann’
Mit seiner aus dem antiken Wirtschaftsleben entnommenen bildhaften Sprache charakterisiert Paulus auch immer wieder Gott selbst, und zwar in sehr unterschiedlichen Rollen. Das eine Mal begegnet er als Geschäftsmann, der wie ein vertrauenswürdiger Verkäufer ‘eine Gewährleistung gibt’ für das Zeugnis Christi in uns (1 Kor 1.6) und ‘gewährleisten wird’, dass wir am Tag des Herrn tadellos sind (1 Kor 1.8; vgl. 2 Kor 1.21), ein anderes Mal als ‘Arbeitgeber’, wenn Paulus davon spricht, dass man von Gott ‘Lohn’ empfängt (1 Kor 3.8, 14; vgl. 9.18) oder dass er uns zur ‘Partnerschaft’ mit seinem Sohn berufen hat (1 Kor 1.9). Als ‘Käufer’ wird Gott hingegen gezeichnet, wenn z.B. davon die Rede ist, dass er uns ‘um einen hohen Preis gekauft hat’Footnote 31 (1 Kor 6.20; vgl. 7.23).
Der bei Paulus generell bedeutsame geschäftliche Hintergrund hat sich also auch auf zentrale Aspekte seiner Theologie und seiner Mission ausgewirkt. Die besonders erstaunlichen Bilder sind m.E. jene, die Gott als ‘Käufer’ darstellen, da es sich dabei im strengen Sinn nicht um eine autarke und unabhängige Position handelt. In seinem Kaufinteresse ist der Käufer von einem Verkäufer abhängig, der die gewünschte Ware überhaupt anbieten kann und sie auch tatsächlich und noch dazu zu einem erschwinglichen Preis anbietet. Auf theologischer Ebene mag dieser Aspekt vernachlässigbar sein, und es mag dabei so scheinen, als wäre Gott ja ohnehin mit absoluter ‘Finanzkraft’ ausgestattet und somit der allmächtige ‘Käufer’, der die gesamte ‘Wirtschaft’ in Gang hält. Für den antiken Menschen aber, der tagtäglich mit Kauf und Verkauf im Kleinen und sämtlichen damit verbundenen Risiken und Unsicherheiten zu tun hatte—und als solche haben wir den Großteil der Mitglieder der paulinischen Gemeinden zu sehen, lag es auf der Hand, derartige Bilder nicht abstrakt, abgehoben und vergeistigt zu sehen, sondern entsprechend ihrer Erlebniswelt zu hören und zu verstehen.
Was dies bedeutet, lässt sich m.E. besonders deutlich an der Verwendung von ἀρραβών aufzeigen.
3. Die Verwendung des Begriffs ἀρραβών in den Papyri und bei Paulus
3.1. Der Begriff ἀρραβών und die bisherige Deutung der relevanten Paulusstellen
Der griechische Terminus ἀρραβών ist semitischen Ursprungs (vgl. hebräisches עדבון). Papyrologisch ist ἀρραβών (oft auch mit nur einem ρ, also ἀραβών geschrieben)Footnote 32 gut bezeugtFootnote 33 und bedeutet durchwegs ‘Anzahlung, Angeld, Handgeld’.Footnote 34 Paulus verwendet den Terminus zwei Mal im 2 Kor—in 1.22 und in 5.5. In 1.22 bezeichnet er Gott als einen, ‘der das Angeld des Geistes in unsere Herzen gegeben hat’, in 5.5 ganz ähnlich als einen, ‘der uns das Angeld des Geistes gegeben hat’.
Die letzte ausführlichere Untersuchung eines Bibelwissenschafters zu ἀρραβών liegt bereits 18 Jahre zurück. Kurt Erlemann hat in seinem Aufsatz ‘Der Geist als ἀρραβών (2 Kor 5.5) im Kontext der paulinischen Eschatologie’Footnote 35 im Jahre 1992 bei diesem wichtigen Terminus antiker Rechts- und Geschäftssprache vor allem den promissorischen Charakter der Arrha hervorgehoben, der ‘gemeinsamer Nenner aller Bedeutungsnuancen, die der Begriff umschließt’, ist und ‘die unterschiedlichen Auslegungen, die der ἀρραβών im Laufe seiner Erforschung erhalten hat’, verbindet.Footnote 36 Aufbauend auf der ausführlichen Studie von Fritz Pringsheim aus dem Jahre 1950Footnote 37 und unter Berücksichtigung einiger weniger Papyri stellt Erlemann zusammenfassend fest,
dass der ἀρραβών eine Vorleistung beim Abschluss eines Vertrages darstellt, die vom Käufer dem Verkäufer zu entrichten ist. Die Arrha dient beiden Parteien zur Sicherheit, dass die Vertrags- bzw. Kaufbedingungen eingehalten werden (βεβαίωσις). Mit der Gabe der Arrha und der darauffolgenden Ausstellung der καταγραφή (Quittung oder schriftlicher Kaufvertrag) ist die Durchführung des Handels und die Zahlung der Restsumme (τιμή) in einer festzusetzenden, absehbaren und nicht beliebig ausdehnbaren Frist verbunden. Im Falle der Nichteinhaltung gilt die Arrha als Haftungsobjekt. Die entsprechende Konventionalstrafe lässt die grundsätzliche Möglichkeit des Rücktritts vom Vertrag äußerst unattraktiv erscheinen.Footnote 38
Was die beiden Paulusstellen im 2 Kor betrifft, sieht Kurt Erlemann in Gott bildhaft den ‘Verkäufer’, der ‘eine Arrha gibt, wogegen der Mensch als der “Käufer” keine Gegenleistung zu erbringen hat’.Footnote 39 Diese Deutung stimmt nun aber mit Erlemanns eigener Beschreibung des Arrhabon nicht überein, wonach ja—wie eben erwähnt—‘der ἀρραβών […] vom Käufer […] zu entrichten ist’.Footnote 40
Es ist daher—insbesondere aufgrund der deutlich angewachsenen Anzahl edierter Papyri—angezeigt, das relevante dokumentarische Quellenmaterial möglichst umfassend zu sichten und einzuordnen und anschließend auf die Paulustexte hin korrekt auszuwerten.
3.2. Die Papyri als Vergleichstexte
Bei der Erhebung papyrologischer Vergleichstexte für die Verwendung von ἀρραβών bei Paulus ist zu fragen: Wo liegen die eigentlichen Vergleichspunkte zwischen den dokumentarischen Texten des römischen Alltags und der Verwendung von ἀρραβών bei Paulus? Lässt sich unter der Annahme, dass Paulus das Bild der Anzahlung in 2 Kor adäquat verwendet, eine sinnvolle Deutung für die Texte finden? Und ist das Bild eines Gottes, der eine Anzahlung leistet, für eine durchschnittliche frühchristliche Gemeinde verständlich? Und schließlich: Was möchte Paulus mit diesem Bild aus dem antiken Geschäftsleben theologisch sagen?
Der papyrologische Befund von ἀρραβών ist durchaus umfangreich und vielfältig und lässt sich nach unterschiedlichen Geschäftsobjekten untergliedern.
3.3. Grundsätzliche Beispiele zu Kauf und Verkauf aus den Papyri
Ein ausgeführtes Beispiel aus der Zeit des Paulus ist P.Vind.Sal. 4 (Soknopaiu Nesos/Arsinoites, 15. November 11 n.Chr.), auf das bereits Kurt Erlemann verwiesen hatte:Footnote 41 ein gewisser Chairemon bestätigt hier gegenüber einem Satabus, von diesem einen ἀρραβών für das ihm gehörende Haus bekommen zu haben. Die ausführliche Quittung lautet:
Χαιρ Ἡρ
δου πρ
φ
ης Σαταβοῦ
Ἑρι-
έως εωτέρ
υ χαίρειν. ἔχω
παρ
οῦ ἀραβῶνα τῆς
αρ
ο
σης
[ο]
ίας καὶ τῶν τ
της ψειλῶν τό-
ων
ν τῇ Νήσῳ Σοκν
αίου θεοῦ μεγάλου
5 [ἀρ]γυρου Πτολε
αϊκοῦ νομίσμ
τος δραχμὰς τρι-
οσ[ί]
ἀ
ργυρίου δρα
μῶν ἑπτακοσί
ν
εσσ[αρ]
κο
α καὶ {
ὶ}
αταγράψω σοι
ς
Χοιὰκ δευτέρας τοῦ ἐεστῶιτος ἑνὸς τεσ-
αρα
ἔτου
Καί
, ἐμοῦ π
ο
λα
βά-
10 [ν]ντ
ς τὰς
οιπὰς
ραχ
τε
α
σία
εσ-
ά
οντα το
ἀργυρ
ου, ἐὰν δὲ μὴ δ
ς ἐν
ῇ προ-
ιμ
ν
προ
εσμ
, ἀπολε
ο
ραβῶνα,
δὲ
αὶ ἐγὼ λα
βάνων μὴ
ταγρ
-
ωι, ἀ
[σω σ]
τ
ν ἀραβ
ι
ο
ν, ἐὰ
ὲ
15 λαμβά, [κ]
αγράψω καὶ β
αιώ
.
το
ς
ἑνὸεσ
α
ακοστοῦ Καίσ
ο
, Ἁ
ὺρ ὀ
τὼι
α
δεκάηι.
2 l. ἔχω, l. ἀρραβῶνα 3 l. ψιλῶν 4 μεγάλου ist korrigiert aus μεγααου 8 l. ἐνεστῶτος 13 l. ἀρραβῶνα 13–14 l. καταγράφω 14 l. ἀρραβῶνα 16 l. ὀκτώ
Chairemon, Sohn des Herodes, Prophet, an Satabus, Sohn des Herieus des Jüngeren, Gruß. Ich habe von dir als Angeld für das mir gehörende Haus und die dazu gehörenden unbebauten Gelände auf der Insel des Soknopaios,Footnote 42 des großen Gottes, dreihundert Drachmen von ptolemäisch gemünztem SilberFootnote 43 von den siebenhundertvierzig Silberdrachmen erhalten und werde dir die Übereignungsurkunde ausfertigen bis zum zweiten Choiak des gegenwärtigen einundvierzigsten Jahres Caesars, wobei ich die restlichen vierhundertvierzig Silberdrachmen noch dazu erhalte; wenn du sie mir aber nicht an dem oben genannten Fälligkeitstag gibst, wirst du das oben genannte Angeld verlieren; und wenn ich sie aber erhalte und die Übereignungsurkunde nicht ausfertige, werde ich dir das Angeld doppelt zurückgeben, wenn ich sie aber erhalte, werde ich die Übereignungsurkunde ausfertigen und die Gewährleistung geben. Im einundvierzigsten Jahr Caesars, am achtzehnten Hathyr.Footnote 44
Ebenfalls aus der Zeit des Paulus stammt das Vertragsregister P.Mich. II 121 aus dem Grapheion von Tebtynis im ägyptischen Gau Arsinoites, das auf das zweite Regierungsjahr des Claudius datiert ist und Aufzeichnungen aus dem Zeitraum 30. April—28. Mai 42 n.Chr. enthält. Auf dem Verso, das aus inhaltlichen Gründen wohl dem Rekto vorausgeht,Footnote 45 hat der Schreiber des Notariats diverse geschäftliche Verträge in der Reihenfolge ihres Abschlusses aufgelistet. Für den 18. Germanikeion (oder Pachon)—das ist nach unserer Zeitrechnung der 13. Mai 42 n.Chr.—wird zunächst in Kol. II 13 ein Homologie-Vertrag erwähnt, der an diesem Tag von einem Charonion mit einem gewissen Patron abgeschlossen wurde und die Zahlung eines Arrhabons von 400 Drachmen zum Inhalt hatte: ὁμολ(ογία) Χαρωνίω(νος) πρὸ(ς) Πάτρω(να) ἀρραβ(ῶνος) (δραχμῶν) υ.
Die wesentlichen Teile des dazugehörigen Vertragstextes werden auf dem Rekto in Kol. II ix wiedergegeben. Es geht dabei um den Verkauf bzw. Kauf eines Landgutes für eine Summe von 1540 Silberdrachmen, von denen der Verkäufer Charonion bereits 400 Silberdrachmen als Anzahlung erhalten hat. Die Rede ist hier—wie in vielen anderen Verträgen dieser Art—von einem ἀραβὼν ἀναπόριφος (vgl. Z. 1), was bedeutet, dass der Empfänger sich nicht durch einfache Rückgabe seiner Verpflichtungen entziehen kannFootnote 46 und der Käufer auf die geleistete Anzahlung kein Rückgaberecht hat. Diese gehört auf alle Fälle dem Verkäufer, auch dann, wenn der Käufer den Restbetrag nicht innerhalb der vereinbarten Frist aufbringt. Wenn er dies aber vereinbarungsgemäß durchführt, ist Charonion verpflichtet, ihm das Landgut zu übereignen und die entsprechenden Urkunden auszustellen (vgl. Z. 2–3).Footnote 47
Natürlich kann auch im Falle von Lieferungskäufen eine Anzahlung geleistet werden. Durch den dabei geleisteten ἀρραβών gilt der Verkauf bzw. Kauf der Ware als fixiert, die Lieferung steht aber noch aus. Den geläufigen Vorgang illustiert ein Papyrus aus dem Zenon-Archiv, P.Cair.Zen. III 59446 (Philadelphia/Arsinoites?, Mitte 3. Jh. v.Chr.): Kaufleute oder Schiffseigner fragen bei Zenon an, ob sie 500 Metreten Most aus Philadelphia kaufen könnten, welchen Preis sie zu bezahlen hätten und ob sie ihm eine Anzahlung senden sollten. Die Anfrage bzgl. des Arrhabons soll die feste Kaufabsicht unterstreichen—jedenfalls für den Fall, dass eine Einigung über den Preis und die Liefermenge stattfindet.
Über einen bereits fixierten Verkauf von Rizinusöl informiert der Bauer Lyktos seinen Dioiketes Athenodoros in BGU XVI 2603.9 (Herakleopolites, ca. 21 v.Chr.—5 n.Chr.): er habe dafür bereits eine Anzahlung von sieben Drachmen entgegengenommen.Footnote 48
3.4. Sklavenkaufverträge im Speziellen
Im Falle von Sklavinnen und Sklaven als Kaufgegenstand ist zwar einzuräumen, dass diese als Sache gesehen und als Besitz registriert wurden, andererseits zeigen aber gerade die Papyri, dass sie sehr wohl als Menschen im rechtlichen Sinn wahrgenommen wurden.Footnote 49
Um den Verkauf bzw. Kauf der 24jährigen Sklavin Thermutharion geht es in BGU XI 2111, einem Sklavenkaufvertrag aus dem Arsinoites, der Anfang des 2. Jh. n.Chr. aufgesetzt wurde. Als bisheriger Besitzer und Verkäufer der Sklavin fungiert ein gewisser Petheus, Sohn des Artemidoros; Käuferin ist Soëris, Tochter des Petheus. Nach Nennung der beiden Vertragspartner lautet der Text ab Z. 5:
5 ὁμ[ο]λοχιν παρὰ
ο
-
χρῆμα διὰ χειρς [ἐ]ξ οἴκου [κ]
φαλέου
ραχ
[ια]κοσίας ἀρ
[αβῶν]α ἀναπόρι-
ον ἀπὸ ἀργυρίου δραχμ
ἑπτακοσί
[ν]
τῆς συνπεφωνημένης τιμῆς <τῆς> ὑπα-
10 χούσης μοι ὠνητῆς παρὰ Ἥρω[ος]
τοῦ Ἥρωνος δούλης Θερμουθα[ίου]
τῶν εἴκοσι τ
ρων, οὐλὴ μ
-
ἀρ
τερ
,
την τοιαύ
[ἀ]ναόρ
φον
[λὴ]ν ἐ
φ
[ς κ]
ἱ[ερᾶς]
15 νόσου, αὶ
[π]άν
γκον ἕως
[ ἑπ(?)]-
ακ
ιδ
κάτ[η]
[τοῦ] Ἐπὶφ μηνὸς τοῦ
ἐνεστ[τ]
[ς ̣ ̣] ̣[ ̣ ̣ ̣ ̣] ̣[ ̣ ̣ ̣ ̣ ̣ ἔ]του
̣ ̣ ̣
[ ̣ ̣] ̣ ̣ ̣ ̣[—-—]
[ ̣ ̣ ̣] ̣[ ̣] ̣ ̣ ̣ ̣ ̣ ̣ ̣ ̣ ̣ ̣ ̣[---]
20 ̣ ̣ ̣αν ̣[ ̣] ̣οφ[ ̣ ̣ ̣] ̣[---]
̣ ̣ ̣δ ̣
αι ειδ
̣ ̣[---]
̣ ̣ ̣ ̣ικε ̣ ̣ ̣ ̣ ̣ ̣ ̣ ̣ ̣ ̣ ̣ ̣[---]
5 l. χειν 6 l. [κ]εφαλαίου 16 l. Ἐπείφ
‘Ich [gemeint ist der Verkäufer Petheus] erkläre, von dir erhalten zu haben sogleich in bar aus dem Hause an Kapital zweihundert Drachmen als nicht rückzahlbare Anzahlung auf die siebenhundert Silberdrachmen des vereinbarten Preises der mir gehörenden, von Heron, dem Sohn des Heron, gekauften Sklavin Thermutharion, vierundzwanzig Jahre alt, mit einer Narbe auf der linken Wange, so wie sie ist, ohne Rückgaberecht außer im Falle von Lepra oder Epilepsie, und du [gemeint ist die Käuferin Soëris] verpflichtest dich, bis zum siebzehnten (?) des Monats Epiph des gegenwärtigen … ten Jahres … (die Restsumme zu zahlen usw.)’.Footnote 50
Ein ähnlicher Kaufvertrag ist in P.Col. VIII 222 mit BL X 42 erhalten geblieben, der im Jahre 160/161 n.Chr. in Oxyrhynchos abgefasst wurde. Darin wird festgehalten, dass ein gewisser Sarapion, Sohn des Apollonios, Enkel des Apion, an Agathos Daimon, Freigelassener des Herakleides und des Sarapion alias Dorion, den 25 Jahre alten Sklaven Didymos verkauft hat, und zwar für eine Summe von 1300 Silberdrachmen.Footnote 51 Als Arrhabon wurde dem Verkäufer ein goldener Fingerring übergeben, der nun mit Bezahlung des gesamten Kaufbetrages an den Käufer zurückgegeben wird.Footnote 52
3.5. Arbeits- und Dienstleistungsverträge im Speziellen
Ein Arrhabon konnte auch als Garantie in Arbeitsverträgen vereinbart werden, also im Zusammenhang mit von Personen zu verrichtenden Arbeiten oder Dienstleistungen.Footnote 53 Als Beispiel bringe ich ein Dokument aus dem Archiv des Veteranen und Großgrundbesitzers L. Bellenus Gemellus. Mit dem Arbeitsvertrag P.Fay. 91 vom 16. Oktober 99 n.Chr. bestätigt die 26jährige Thenetkueis gegenüber Gemellus, eine Anzahlung für die von ihr zu verrichtenden Arbeiten als Trägerin bei der Olivenernte bekommen zu haben. Der wesentliche Textabschnitt lautet—Z. 13–33:
ἔχειν παρ αὐτ[οῦ] [αραχρῆμα διὰ] χ[ι]ρ[ὸς ἐ]ξ οἴκ(ου)
ἀργυρίου δραχ[μὰς] δέκα ἓξ ἀρραβονα ἀναπόρι-
15 φον· ἐπάνα[γ]κον ν παρεμβαλεῖν τὴν Θεν-
ετκουεῖν ἐν [τ]ῶι ὑ[πά]ρχοντι τῷ Λουκίωι Βελ-
λήνωι Γεμέλ[λ]ῳ [ἐν] Εὐημερείᾳ ἐλαιουργίωι
ἀ ἧς ἡμέρας [ἐ]ὰν [α]ὐτῆ
παραν
[ίλῃ ἐ]
οὺς
καρποὺς ἐκπεπ{π}τωκότας εἰς τὸ ἐνεστὸ(ς)
20 τρίτον ἔτος, ποιοῦσαν πάντα ὅσα καθήκει
παρεμβαλλού[σ]ῃ μέχρει ἐγβάσεως πάσης
ἐλαιουργίας, λαμβάνουσα <ν> παρὰ τοῦ Λουκίου
Βελλήνου τὸν ἡμερήσιον μισθὸν ὡς
ἐπὶ τῶν ὁμοίων παρεμβαλλουσῶν ἐν
25 τῇ κώμηι, ὑπολογήσιν δὲ τὸν Λουκίον
τὰς τοῦ ἀργ[υ]ρίου δραχμὰς δέκα ἓξ κατὰ
μέρος ἐκ τῶν ἐσομένων μισθῶν. ἐὰν
δὲ μὴ ποιῇ ἡ Θενετκουεῖς κατὰ τὰ προ-
γεγραμμένα ἀποδώσιν αὐτὴ(ν) τῷ Λουκίωι
30 τὸν ἀρραβῶνα διπλοῦν, γεινομένης τῷ
Λουκίωι Βελλήνωι τῆς πράξεως ἔκ
τε τῆς ὁμολ(ογούσης) καὶ ἐκ τῶ(ν) ὑπαρχ(όντων) αὐτῇ πάντω(ν)
καθάπερ ἐγ δίκης.
13 l. χειρός 14 l. ἀρραβῶνα 21 l. μέχρι 25 l. ὑπολογήσειν 29 l. ἀποδώσειν 30 l. ἀρραβῶνα 33 l. ἐκ
Thenetkueis erklärt,
dass sie von ihm (d.h. von Gemellus) sofort in bar aus dem Hause sechzehn Silberdrachmen als nicht rückzahlbare Anzahlung erhalten hat. Es ist somit verpflichtend, dass Thenetkueis zur Ölpresse, die Lucius Bellenus Gemellus in Euhemeria gehört, von dem Tag an, wenn er es ihr aufträgt, die Ölfrüchte trägt, die ins gegenwärtige dritte Jahr fallen, und alles ausführt, was einer Trägerin zukommt bis zum Ausgang der gesamten Ölproduktion, und dass sie von Lucius Bellenus den täglichen Lohn erhält entsprechend dem, was die Trägerinnen im Dorf erhalten, und dass Lucius die sechzehn Silberdrachmen ratenweise von den anfallenden Lohnzahlungen abzieht. Wenn aber Thenetkueis nicht entsprechend dem oben Festgelegten handelt, muss sie an Lucius die Anzahlung doppelt zurückgeben, wobei Lucius Bellenus die Exekution zusteht sowohl auf die Vertragspartnerin als auch auf all ihr Gut wie aufgrund eines gerichtlichen Urteils.
In Z. 35–45 folgt die vertragsmäßige Erklärung der Thenetkueis, in Z. 46–47 der Registrierungsvermerk des Notariats von Euhemeria, den der Schreiber Heron am selben Tag vorgenommen hat: ἐντέτακ[ται γ] (ἔτους), Φαῶφι ιη, διὰ Ἥρωνος | τοῦ πρὸς τῷ γραφείῳ Εὐημερείας. Interessant sind noch die abschließenden Zeilen 48–51, wo es heißt:
(3. Hand) Λούκιος Βελλῆνος Γέμελλος δι(ὰ)
Ἐπαγαθοῦ ἀπέχω τὰς προκιμέ(νας)
50 καὶ οὐθὲν ἐνκαλῶ
ἀργυρίου δραχμὰς δέκα ἕξ. (ἔτους) πέμ < π> του Αὐτοκράτορος Καίσαρος Νερούα Τραιανοῦ Σεβαστοῦ Γερμανικοῦ, Τῦβ(ι) ιβ.Footnote 54
Ich, Lucius Bellenus Gemellus habe durch Epagathos die vorliegenden 16 Silberdrachmen erhalten und habe nichts zu beanstanden. Im fünften Jahr des Imperators Caesar Nerva Traianus Augustus Germanicus, am 12. Tybi.
Die Datierung dieser vom Verwalter des Gemellus, dem Sklaven Epagathos, geschriebenen NotizFootnote 55 lässt sich auf den 7. Jänner 102 n.Chr. umrechnen. Die Bestätigung soll wohl zum Ausdruck bringen, dass die 16 Drachmen Anzahlung vereinbarungsgemäß vom Lohn abgezogen wurden und Thenetkueis ihre Aufträge vereinbarungsgemäß erfüllt hat. Warum diese Bestätigung erst zweieinviertel Jahre nach Vertragsabschluss erfolgte, bleibt unklar.Footnote 56
Mehrere Arbeitsverträge dieser Art sind aus der antiken Unterhaltungsbranche erhalten geblieben. In dem leider nicht vollständig erhaltenen Vertrag Stud.Pal. XXII 47 (mit BL IV 96; VI 196; VII 265; Soknopaiu Nesos/Arsinoites, 138–160 oder 169–175 n.Chr.) wird festgehalten, dass der Flötenspieler Claudius Tiberius Didymos von Horos, Sohn des Stotoetis, eine nicht rückzahlbare Anzahlung von vier Silberdrachmen erhalten hat, damit er für sieben Tage im Dorf Soknopaiu Nesos bei Horos die Flöte spielt. Didymos soll dafür einen täglichen Lohn bekommen, dessen Höhe aber nicht erhalten ist.Footnote 57
Der Bau eines Schiffes wird mit SB XXIV 16254 (Oxyrhynchites, 15. November 249 n.Chr.) vertraglich geregelt; die Summe der Anzahlung, die der mit der Aufsicht der Arbeiten betraute HerasFootnote 58 bereits erhalten hat (vgl. Z. 14–15 und 27–28), ist auch in diesem Falle leider nicht mehr erhalten.
Vollständig erhalten ist aber der sog. ‘Mäusefängerbrief’ P.Oxy. II 299 mit BL VIII 235 (Oxyrhynchos, spätes 1. Jh. n.Chr.; Nachdrucke: Sel.Pap. I 108; C.Pap.Hengstl 107; Olsson, Papyrusbriefe Nr. 77). Der edierte TextFootnote 59 lautet:
Ὧρος Ἀπίωνι τῷ τειμειωτάτωι χαίρειν.
Λάμπωνι μυοθηρευτῇ ἔδωκα αὐτῷ διὰ σοῦ ἀρα-
βῶνα (δραχμὰς) η, ἵνα μυοθηρεύσει ἐν Τόκα. καλῶς ποιήσεις
πέμψεις μοι αὐτάς. καὶ Διονυσίῳ προσ[τ]άτῃ Νεμερῶν
5 κέκρηκα (δραχμὰς) η καὶ ταύτας οὐκ ἔπεμψε, ἵνα εἰδῇς.
ἔρρωσ(ο). Παῦνι κδ.
1 l. τιμιωτάτωι 3 l. μυοθηρεύσῃ 5 l. κέχρηκα
Horon dem sehr geehrten Apion, Gruß. Dem Mäusefänger Lampon, dem habe ich in deinem Namen 8 Drachmen als Anzahlung gegeben, damit er in Toka Mäuse jage. Sei so gut und sende sie mir. Auch dem Dionysios, dem Vorsteher des Dorfes Nemerai, habe ich 8 Drachmen geliehen, und diese hat er mir nicht geschickt, damit du’s weißt. Lebe wohl. 24. Payni.Footnote 60
3.6. Sicherheit durch Arrhabon in einer unsicheren Geschäftswelt
Ganz allgemein kann man feststellen, dass die Zahlung eines Arrhabons vor allem ein Ziel verfolgt: inmitten einer an sich unsicheren Geschäftswelt ein abgeschlossenes Geschäft in einem möglichst hohen Ausmaß abzusichern.
Kaufverträge wurden oft von Händlern abgeschlossen, die erst anschließend die auszuliefernde Ware beim Erzeuger bestellten.Footnote 61 Allein darin lag schon ein gewisses Risiko, ob der Vertrag tatsächlich eingehalten werden konnte. So schreibt z.B. in PSI IV 382 mit BL I 397 und VI 175 (Philadelphia/Arsinoites, 13. August 248 v.Chr.) ein gewisser Pais an Zenon, er könne nirgends das geeignete Holz auftreiben, für das ein Demetrios bereits eine Anzahlung von 50 Drachmen geleistet habe.Footnote 62 Der genaue Text zeigt deutlich, dass die entgegengenommene Anzahlung den Händler immerhin veranlasste, einiges zu unternehmen, um die Lieferschwierigkeiten zu beheben.
Auf der anderen Seite musste es im Interesse des Käufers liegen, die restliche Kaufsumme unbedingt innerhalb der vereinbarten Frist zu bezahlen. Andernfalls verlor er sein Kaufs(vor)recht—abgesehen davon, dass er des Arrhabons verlustig ging. In P.Zen.Pestm. 58 mit BL VIII 204 (Arsinoites, 251 v.Chr.?)Footnote 63 wird eine Frist von drei Tagen festgelegt, innerhalb deren der restliche Kaufpreis zu entrichten ist, um das Kaufs(vor)recht sicherzustellen.
Gravierendere Beispiele für eine sehr unverlässliche Geschäftswelt finden sich sowohl für die ptolemäische als auch für die römische Zeit—Beispiele für Unterschlagungen, ausbleibende Warenlieferungen, Nachforderungen, Besitzstreitigkeiten etc. Beispiele wie die folgenden weisen aber auch sehr klar die Bedeutung des Arrhabon aus:
P.Heid. VI 376 (Herakleopolites, 2. März 220 v.Chr.) ist eine sog. Enteuxis, also eine Petition, die—wie üblich—direkt an den ptolemäischen König gerichtet, aber vom Gaustrategen bzw. durch dessen Kanzlei bearbeitet wurde.Footnote 64 Der Beginn des Dokumentes ist verloren; aus dem erhaltenen Textabschnitt lässt sich nach der Herausgeberin des Textes, Ruth Duttenhöfer, Folgendes entnehmen:
Der Petent, dessen Name verloren ist, schließt mit einem gewissen Kleitos eine Kaufvereinbarung über eine festgesetzte Menge Weines zu einem bestimmten Preis. Er macht eine Anzahlung von 200 Drachmen, die an Glauke, die Frau des Kleitos, ausgezahlt werden. Für den Restbetrag der Kaufsumme stellt der Petent den Händler Ammeneus als Bürgen, der sich verpflichtet, die restliche Kaufsumme bis zum 30. Mesore auszuzahlen, wenn der Wein geliefert werden soll. Von dem besagten Wein nimmt der Petent sofort zwei Keramien wegFootnote 65 und versiegelt den Keller.Footnote 66 Als dann aber der Kaufpreis zum rechten Zeitpunkt von den beiden Händlern bezahlt wird, damit sie den Wein übernehmen und weiterverkaufen können, gibt Kleitos den Wein nicht heraus. Einmal wendet er ein, der Petent solle zuerst eine Quittung ausstellen (?), ein anderes Mal, der Petent hätte den Kaufvertrag nachträglich gefälscht. Der Petent verlangt, das (sic!) der Stratege des Gaues, Peitholaos, tätig werden soll, um den Beklagten Kleitos vorzuladen. Peitholaos gibt den Auftrag an den Epistaten Zoilos weiter, der daraufhin erste Nachforschungen anstellt.Footnote 67
Die Enteuxis zeigt deutlich den bindenden Charakter des Arrhabons, der die entscheidende Grundlage für diese Petition an die oberste Behörde ist. Spärliche Reste auf der Rückseite des Papyrus lassen erkennen, dass die Kanzlei des Gaustrategen den Fall ernst nahm und ausführlich behandelte. Gegen Ende des Textes ist zu lesen, dass Kleitos 1100 Drachmen zahlen musste—Verso Z. 8: βόντα
αρὰ τοῦ Κλείτου (δραχμὰς) ’
ρ. Dabei könnte es sich um den gesamten Kaufpreis plus Strafsumme in Höhe des Arrhabons handeln.Footnote 68
Einen echten Betrug beim Verkauf von Schafwolle wirft der Wollhändler Harmeysis dem Juden Seos vor. In P.Enteux. 2 (mit BL II.2 52; III 48; IV 27; = C.Pap.Jud. I 38; Krokodilopolis/Arsinoites, 11. Mai 218 v.Chr.) gibt er an, von Seos die Schur von 118 Schafen zum Stückpreis von 5 Drachmen und 2 Obolen gekauft und dafür eine Anzahlung von 76 Drachmen geleistet zu haben. Die Restsumme hätte er zahlen sollen, wenn er die Schafe geschoren hätte. Nun habe aber Seos die Schafe selbst geschoren und die Wolle für sich behalten. Harmeysis beantragt deshalb, dass Seos vorgeladen und gezwungen wird, die Wolle an Harmeysis auszuhändigen.
P.Ryl. IV 555 mit BL III 161 (Philadelphia/Arsinoites, vielleicht 6. Februar 257 v.Chr.) ist ein Beispiel dafür, dass selbst nach erfolgter Bezahlung und Lieferung einer Ware oder Übertragung eines Besitzes dessen rechtmäßiger Erwerb von Konkurrenten angefochten werden konnte. In Z. 3–16 (mit BL III 161) heißt es:
γίνωσ-
κε δὲ καὶ τὴν Νικάνορος τοῦ πο-
5 δαγρικοῦ οἰκίαν τὴν 〚ουσαν〛 ἐν Κανώ-
πωι οὖσαν ἐν ἡμῖν τα(λάντων) β καὶ (δραχμῶν) φ.
ἐὰν οὖν οἱ περὶ Ἀντίον τὸν ῥαχᾶν
ἐνοχλῶσίν σε, ἀπ[άρνο] δι
ι καὶ
τὴ[ν ἀ]χὴν
μεῖς
[ρό]τερον προσελη-
10 λύθαμεν καὶ ἀρρῶνα
κα-
μεν κ ̣ ̣ ̣
̣ ̣
δρ ̣[---]
μενον ἀπεστήσαμεν· τὰ αὐτὰ
καὶ ἐνταῦθα ὄντος αὐτοῦ καὶ προσ-
ελθόντος ἡμῖν πα αὐτοῦ Σωσιβίου
15 τοῦ ἐπιστολογραφοῦντος αὐτῶι
ἀπηγγείλαμεν.
Wisse aber, dass das Haus Nikanors, der an Fußgicht leidet, in Kanopos uns gehört für 2 Talente und 500 Drachmen. Wenn dich nun die Leute um Antiochos, den rachas,Footnote 69 bedrängen, streite es ab (gemeint ist wohl: dass das Haus Antiochos gehört), denn wir sind von vornherein früher herangetreten und haben eine Anzahlung geleistet … und haben abgewiesen. Eben das haben wir ihm aber auch kundgetan, als er hier war und sein Sekretär Sosibios für ihn an uns herantrat.Footnote 70
Allen Beispielen ist gemeinsam, dass der geleistete Arrhabon der Absicherung der getroffenen Vereinbarung dient, also eine größtmögliche Rechtssicherheit herstellt.Footnote 71 Für beide Seiten soll somit ein möglichst hohes Maß an Sicherheit gegeben sein, dass die getroffene Vereinbarung in vollem Umfang erfüllt wird. In der Praxis soll durch den Arrhabon erreicht werden, dass sich beide Geschäftspartner aufeinander verlassen können oder widrigenfalls ein Schaden durch die Höhe des Arrhabons abgegolten wird. Durch die dokumentierte Zahlung des Arrhabons und die dadurch erreichte Rechtssicherheit besteht ferner die Möglichkeit, mit guter Aussicht auf Erfolg bei den Behörden auf Vertragserfüllung oder Rückzahlung der bereits geleisteten Beträge zu klagen.
3.7. Zusammenfassung des papyrologischen Befundes
1. Die abgeschlossenen Rechtsgeschäfte, für die ein Arrhabon vereinbart werden kann, sind vielfältig und reichen vom Kauf von Häusern und Landgütern über den Lieferungskauf von Waren und den Sklavenhandel bis hin zur Vereinbarung von Arbeits- oder Dienstleistungen.
2. Bezahlt wird der Arrhabon immer von der Auftraggeberin oder dem Auftraggeber, also jener Person, die etwas kauft oder jemanden für eine Arbeits- oder Dienstleistung engagiert. Empfängerin oder Empfänger des Arrhabons ist stets jene Person, die eine Ware oder eine Arbeits- bzw. Dienstleistung anzubieten hat.
3. Die Bezahlung der Restsumme (in Form eines einmaligen Betrages für eine gekaufte Ware oder in Form von Lohnzahlungen bei Arbeits- oder Dienstleistungen) und die dafür zu erbringende Leistung (Lieferung der Ware, Ausstellung von Besitzurkunden, Arbeits- oder Dienstleistungen) haben innerhalb einer bestimmten Frist zu erfolgen. Deren zeitlicher Rahmen wird in den Verträgen individuell festgelegt.
4. Der zentrale Aspekt, den der Arrhabon in ein Rechtsgeschäft einträgt, ist der promissorische Charakter, der für beide Vertragspartner in gleicher Weise gilt. Die Zahlung eines Arrhabons durch die Käuferin oder den Käufer hat ein höchstmögliches Maß an Sicherheit zum Ziel, tatsächlich die bestellte Ware oder zugesagte Leistung zu erhalten. Die verkaufende oder dienstleistende Seite erhält durch Entgegennahme des Arrhabons gleichsam ein Pfand, das die Bezahlung der noch ausstehenden Geldsumme sicherstellen soll.
5. Die Bezahlung eines Arrhabons enthält für beide Seiten aber auch das Risiko, bei Nichterfüllung der eingegangenen Verpflichtung eine Geldsumme im Ausmaß des Arrhabons zu verlieren. Für beide ist ein Rücktritt von der getroffenen Vereinbarung oder die Nichterfüllung der eingegangenen Verpflichtungen somit äußerst unattraktiv.
4. Sinn und Ziel des von Gott gezahlten Arrhabons bei Paulus
Als gelerntem Handwerker, der vermutlich sogar mehrmals in leitender Funktion von Handwerksbetrieben tätig war, waren Paulus Kauf- und Arbeitsverträge wohl bekannt. Ähnliches gilt für einen vermutlich großen Teil der Mitglieder seiner Gemeinden, die vor allem im Handwerksbereich, in der Lohnarbeit oder als Sklavinnen und Sklaven tätig waren. Ein nicht unwesentlicher Teil der paulinischen Mission dürfte in Handwerksbetrieben und im Kontakt mit Geschäftsleuten stattgefunden haben. Die Verwendung des Begriffs ἀρραβών durch Paulus ist somit sinnvollerweise vor diesem Hintergrund zu deuten.
1. Zunächst fällt auf, dass in der paulinischen Metapher nicht alle Elemente, die an sich zu einem Geschäftsabschluss mit Arrhabon gehören, besetzt sind. Gott erscheint in der Rolle des ‘Käufers’ (siehe Punkt 2), der Geist wird als ‘Ware’ oder ‘Betrag’ (siehe dazu ausführlicher unter Pkt. 3) gekennzeichnet, die ‘Wir’ erscheinen als die Begünstigten, dürfen aber—dies gibt der Gesamtkontext vor—freilich nicht als ‘Verkäufer’ gesehen werden. Die Rolle des ‘Verkäufers’ oder ‘Dienstleistenden’ bleibt bei Paulus unbesetzt. Auch von einer ‘Zahlungsfrist’ für den ‘Restbetrag’ ist hier nicht die Rede. Die Metapher darf also nicht in allen Elementen gepresst werden, sondern es geht darum, das Wesentliche, was Paulus damit ausdrücken will, zu erkennen.
2. Als ‘Käufer’ fungiert im verwendeten Bild eindeutig Gott. Er ist es, der das Angeld entrichtet, und zwar zu ‘unseren’ Gunsten. Das Bild, dass Gott einen Arrhabon entrichtet, bringt in erster Linie zum Ausdruck, dass Gottes Absichten mit ‘uns’ mit einem Höchstmaß an Sicherheit und Verlässlichkeit verbunden sind. Dies bezieht sich nicht nur auf die Gegenwart und das Erlösungswerk, das Gott in ‘uns’ bereits begonnen hat, sondern auch auf dessen Vollendung in der Zukunft. Diese Vollendung wird hier nicht bloß in Aussicht gestellt, sondern zugesichert. Durch Zahlung eines Arrhabons verpflichtet sich Gott de facto selbst dazu. Wie ein Käufer den Arrhabon zur Gänze verlieren würde, sollte er nicht in der vereinbarten Zeit die Restsumme begleichen, wäre für Gott—entsprechend dieser Metapher—alles, was er bisher in ‘uns’ investiert hat, verloren, wenn er nicht sein Erlösungswerk vollendete.Footnote 72 Den Glaubenden wird zugesagt, dass sie mit dieser Vollendung fix rechnen können.
3. Gewisse Schwierigkeiten bereitet die Frage, in welcher Rolle hier der Geist zu sehen ist. Von der Bildebene her bieten sich die Ware/Dienstleistung oder der Betrag des Arrhabons an. Vor dem Hintergrund der formellen Geschäftssprache kennzeichnet der Genetiv τοῦ πνεύματος den Geist zunächst als ‘Ware’, die verkauft wird (wobei bildhaft an den Sklavenkauf zu denken ist), oder als eine ‘Arbeits- oder Dienstleistung’, die der Geist leisten und bewirken soll. Dies wäre auch aufgrund der Ausdrucksweise ἐν ταῖς καρδίαις ἡμῶν in 2 Kor 1.22 naheliegend: der Geist soll ‘in unseren Herzen’ wirken. Die Ausdrucksweise, dass ‘Gott das Angeld für den Geist in unsere Herzen/uns gibt’, wäre in diesem Fall dahingehend zu deuten, dass Gott eine nicht genannte SummeFootnote 73 als Angeld für den Geist bezahlt hat und dass er ‘uns’ mit dieser Anzahlung bereits den Geist oder zumindest einen Teil davon gegeben hat. Mit dem geleisteten Arrhabon ist der Geist bereits ‘in unseren Herzen’ wirksam.
Vom Kontext her könnte der Geist andererseits—als epexegetischer Genetiv—als Betrag, also als das entrichtete Angeld selbst, gedeutet werdenFootnote 74 (so wird dies auch in Eph 1.14 verstanden, wo πνεῦμα ausdrücklich als das Angeld für κληρονομία genannt wird).
4. Von einer ‘Zahlungsfrist’ für den ‘Restbetrag’ ist bei Paulus nicht die Rede. Die Beispiele aus dem antiken Geschäftsleben legen aber nahe, dass mit einem baldigen Abschluss des gesamten ‘Geschäftes’ zu rechnen ist.Footnote 75 Für die Frage, was die Verwendung des Begriffs ἀρραβών in einem engeren eschatologischen Sinn aussagen könnte, lässt sich freilich aus papyrologischer Sicht so gut wie nichts beitragen. Dies ist m.E. der theologischen Ebene vorbehalten.Footnote 76
Durch die Formulierung des Paulus, dass Gott (als ‘Käufer’) ein Angeld zahlt für etwas, das ‘wir’ erhalten sollen, wird sein Erlösungswerk in zweifacher Weise ganz besonders charakterisiert: es entspringt seiner eigenen, festen und verbindlichen Absicht und er sichert auch dessen Vollendung verbindlich zu. Diese Verbindlichkeit ist einzig und allein in Gott selbst begründet.
Paulus verwendet den aus der Geschäftssprache übernommenen Begriff ἀρραβών, um auf die absolute Verlässlichkeit und Vertrauenswürdigkeit Gottes hinzuweisen.Footnote 77
Sprache und Bilder des Paulus sind immer wieder seiner alltäglichen Welt entnommen und in diese Welt eingebettet. In eine geschäftliche und geschäftige, in eine unsichere und oft genug betrügerische und trügerische Welt hinein sagt Paulus deutlich: Auf Gott und seine Gnade, auf sein Geschenk des Geistes, auf sein begonnenes Erlösungswerk und dessen Vollendung ist Verlass. Darauf kann man sich wirklich verlassen und vertrauen.