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Die Reihenfolge der johanneischen Schriften

Published online by Cambridge University Press:  16 December 2010

Udo Schnelle
Affiliation:
Theologische Fakultät, Martin-Luther-Universität, D-06099 Halle, Germany. email: schnelle@theologie.uni-halle.de
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Abstract

Usually, the three Johannine Letters are dated after the Gospel of John without extended discussion. The following essay will argue that all three Johannine letters were written before the Gospel of John marking the starting point of the Johannine line of tradition. Beside linguistic analyses two major arguments will be given: (1) 1 John is much more than simply an aid how to read the Gospel of John. 1 John establishes its own theological line of reasoning. It is necessary to understand that letter as a piece of theological thought on its own. Any dependence on the Gospel of John cannot be proved. (2) Dating 2 John and 3 John after the Gospel of John and 1 John needs to explain the far-reaching reduction of theology (and especially of Christology) in contrast to the other two Johannine writings. A convincing explanation for such a development has not been established until now. On the contrary, 2 John and 3 John represent the beginning of the development of Johannine theology.

German abstract: Zumeist werden die drei Johannesbriefe summarisch im Anschluss an das Evangelium datiert. In diesem Aufsatz wird die These vertreten, dass die drei Johannesbriefe vor dem Johannesevangelium abgefasst wurden und den Anfang der johanneischen Traditionslinie bilden. Neben sprachlichen Beobachtungen werden dafür zwei Hauptargumente angeführt: (1) Der 1Joh ist weitaus mehr als eine Art ‘Lesehilfe’ zum Evangelium; er bildet eine eigene theologische Welt und muss zunächst aus sich selbst verstanden werden. Eine Abhängigkeit des 1Joh vom Evangelium lässt sich nicht nachweisen. (2) Wer den 2/3Joh nach dem Evangelium und dem 1Joh ansetzt, muss die umfassende Reduzierung jeder Form von Theologie (vor allem der Christologie) erklären. Eine solche Erklärung wurde bisher nicht erbracht. Vielmehr repräsentieren der 2/3Joh das Anfangsstadium der johanneischen Theologie.

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Copyright © Cambridge University Press 2010

I. Einführung

Die Frage nach der Reihenfolge der johanneischen Schriften (Johannesevangelium, 1-3Johannesbrief)Footnote 1 ist ein klassisches Problem der neutestamentlichen Einleitungswissenschaft, berührt aber auch die Gesamtinterpretation der johanneischen Schule.Footnote 2 Es ist ein gravierender Unterschied, ob z. B. das Johannesevangelium den Ausgangspunkt oder den Schlusspunkt der johanneischen Theologie markiert; ob der 1Joh lediglich eine Art ‘Lesehilfe’ für das Evangelium ist oder ein eigenständiges und bedeutendes Zeugnis johanneischer Theologie; ob die Presbyterbriefe (2/3Joh) den Anfang des johanneischen Denkens oder nur dessen Untergang dokumentieren. Bisher konzentrierte sich die Behandlung dieser Probleme auf das Verhältnis des 1Joh zum Johannesevangelium. Von großem Einfluss war dabei die Klassifizierung des 1Joh als ‘johanneischen Pastoralbrief’ durch H. Conzelmann,Footnote 3 die stark von der Bultmannschen These einer zunehmenden ‘Verkirchlichung’ der johanneischen Theologie geprägt ist. Für Conzelmann hat der Verfasser des Briefes das Johannesevangelium bereits als feste Autorität vor Augen. Die theologischen Verschiebungen zwischen dem 1Joh und dem Evangelium ergeben sich aus der gewandelten kirchengeschichtlichen Situation, in die hinein der Brief geschrieben ist. Jetzt muss die Richtigkeit des Glaubens festgestellt werden: ‘Im Evangelium wird durch die Offenbarung der Unglaube als solcher entdeckt und qualifiziert; im Brief besteht die neue Lage, daß falscher Glaube existiert’.Footnote 4 Die Kirche orientiert sich in einer neuen Situation, greift dabei auf ihren Ursprung zurück und transponiert das eschatologische Selbstbewusstsein ‘auf das geschichtliche Wesen der Sozietät’.Footnote 5 Ähnlich argumentiert G. Klein, der im 1Joh ‘das Eindringen der approbierten kirchlichen Eschatologie in den johanneischen Überlieferungsbereich’Footnote 6 dokumentiert sieht. Diese Theorie einer Verkirchlichung johanneischer Theologie im 1Joh orientiert sich am protestantischen Gedanken des Abfalls von der ursprünglichen Lehre, der sich an den Proto- und Deuteropaulinen ausbildete und hier in der von Zusätzen gereinigten ‘ursprünglichen’ Theologie des Evangeliums erblickt wird. Eine Variante der ‘Verkirchlichungs- bzw. Traditionstheorie’ bieten R. E. Brown und H.-J. Klauck, wonach der 1Joh ‘was written to accompany GJohn as a kind of introduction to make GJohn more intelligible’Footnote 7 bzw. der ‘1Joh als Lesehilfe für das Verständnis des Johannesevangeliums gedacht war’.Footnote 8 Diese Bestimmung ist in zweifacher Hinsicht unwahrscheinlich: (1) Es findet sich kein einziges Zitat aus dem Evangelium im 1Johannesbrief.Footnote 9 (2) Als ‘Lesehilfe’ für das Evangelium ist der 1Joh gerade nicht geeignet, denn er weist einerseits zahlreiche Parallelen zum Evangelium auf, andererseits erreicht er aber bei weitem nicht die theologische Vielfalt und Tiefe des Evangeliums. Vor allem: Das Johannesevangelium besitzt eine klare literarische und theologische Struktur, die keiner Erläuterung durch den 1Joh bedarf! Kein Thema des Johannesevangeliums wird durch die Lektüre des 1Joh einem vertieften Verstehen zugeführt; eher das Gegenteil ist der Fall! Umgekehrt gilt für den 1Joh, dass er sprachlich und theologisch eine eigene Welt aufbaut, die aus seiner spezifischen historischen Situation vollständig erklärbar ist. Dies gilt ebenso für den 2/3 Johannesbrief, die ebenfalls sprachlich und theologisch eigene Welten bilden und nicht einfach in die Verfallsgeschichte johanneischer Theologie eingereiht werden können. Welcher Ort kommt den drei Johannesbriefen in der Geschichte der johanneischen Literatur und Theologie zu? Sind die Briefe Anhängsel des Evangeliums oder kommt ihnen zeitliche Priorität und theologische Eigenständigkeit zu?

II. Der sprachliche Befund

Was war im Anfang—das Evangelium oder die Briefe? Methodisch hat auch bei der Beantwortung dieser Frage die Regel zu gelten, dass jede Schrift zunächst aus sich selbst verstanden werden muss, bevor sie in größere Zusammenhänge eingeordnet wird.Footnote 10 Die beiden kleinen Johannesbriefe können dann nicht mehr als Anhängsel des 1Joh gewissermaßen automatisch mitdatiert werden, sondern gerade bei ihnen muss gefragt werden, in welchem Verhältnis sie zum Evangelium und zum 1Joh stehen.

Vergleicht man 2/3Joh mit dem Johannesevangelium und dem 1Joh, dann fallen zunächst gravierende sprachliche Unterschiede auf. Das Johannesevangelium (ca. 1028 Vokabeln) und die Johannesbriefe (ca. 296 Vokabeln) weisen einen relativ geringen Wortschatz auf. Aufschlussreich ist dabei vor allem der unterschiedliche Gebrauch oder Nichtgebrauch von Schlüsselbegriffen, der einen Rückschluss auf die sachliche und zeitliche Abfolge der einzelnen Schriften durchaus zulässt:

1) θϵός = ‘Gott’ ist im JohEv 83mal, im 1Joh 62mal, im 2Joh 2mal und im 3Joh 3mal belegt. Sowohl 2Joh 3.9 als auch 3Joh 6.11(2mal) zeigen, dass die Theologie in den beiden kleinen Johannesbriefen in keiner Weise das Niveau des EvangeliumsFootnote 11 oder des 1Joh erreicht.

2) Sehr auffällig ist die Verteilung der christologischen Titel: Ἰησοῦς ist im JohEv 244mal, im 1Joh 12mal, im 2Joh 2mal und im 3Joh nicht belegt; Χριστός findet sich im JohEv 19mal, im 1Joh 8mal, im 2Joh 3mal und im 3Joh nicht; υἱός ist im JohEv 55mal, im 1Joh 22mal, im 2Joh 2mal und im 3Joh nicht belegt; κύριος erscheint im JohEv 53mal, nicht hingegen in den drei Johannesbriefen. Fazit: Der 3Joh enthält nur eine indirekte christologische Aussage (3Joh 7); die Verwendung christologischer Titel im 2Joh ist vor allem vom Traditionsgedanken geprägt (2Joh 9), der sich im rechten Bekenntnis zu Jesus Christus als dem ins Fleisch Gekommenen zeigt (2Joh 7). Von dieser rudimentären Christologie deutlich zu unterscheiden ist der Gebrauch christologischer Titel im 1Joh und vor allem im Johannesevangelium.

3) ἀλήθϵια = ‘Wahrheit’ ist im JohEv 25mal, im 1Joh 9mal, im 2Joh 5mal und im 3Joh 6mal belegt und ein Schlüsselbegriff der gesamten johanneischen Theologie. Auffallend ist der völlig unterschiedliche Gebrauch von ἀλήθϵια im Evangelium und in den Briefen. Vor allem in den beiden kleinen Johannesbriefen ist Wahrheit an den Traditionsbegriff gebunden (vgl. die nur in 2Joh 4/3Joh 3.4 belegte Wendung πϵριπατϵῖν ϵ̓ν ἀληθϵίᾳ) und weist gerade nicht die christologische Konnotation des Evangeliums auf.Footnote 12 Das Wandeln ‘in Wahrheit’ ist in den Presbyterbriefen ganz offensichtlich durchgängig mit der Frage nach dem sachgemäßen Verständnis Jesu Christi verbunden, d. h. es hat zuallererst eine lehrhafte Dimension: das Festhalten an bzw. das Feststehen in der richtigen Lehre, so wie sie vom Presbyter vertreten wird (vgl. 3Joh 8). Eine christologische Füllung des Wahrheitsbegriffes fehlt ebenso wie die Einzeichnung von ‘Wahrheit’ in dualistische Aussagen (vgl. Joh 8.32, 40, 44; 18.37).

4) ἀγάπη = ‘Liebe’ ist im JohEv 7mal, im 1Joh 18mal, im 2Joh 2mal und im 3Joh 1mal belegt; ἀγαπᾶν = ‘lieben’ ist im JohEv 59mal, im 1Joh 28mal, im 2Joh 2mal und im 3Joh 1mal zu finden; ἀγαπητός = ‘geliebt’ fehlt im JohEv und im 2Joh, im 1Joh ist es 6mal, im 3Joh 4mal belegt. Die Belege im 2/3Joh zeigen deutlich, dass—wie beim Wahrheitsbegriff—auch bei ‘Liebe/lieben’ das Festhalten an der überlieferten, sachgemäßen Tradition im Vordergrund steht (vgl. 2Joh 3.6; 3Joh 6).Footnote 13 Dabei korrespondiert der Liebesbegriff mit der lehrhaften und traditionsorientierten Fassung des Wahrheitsbegriffes.

5) κόσμος = ‘Welt’ ist im JohEv 78mal und im 1Joh 23mal belegt, wobei der Gegensatz zwischen Gott/den Glaubenden und ‘der Welt’ in beiden Schriften konstitutiv ist. Demgegenüber erscheint κόσμος nur in 2Joh 7 und fehlt im 3Joh, d. h. diesem Schlüsselbegriff kommt in den beiden kleinen Johannesbriefen keine wirkliche Bedeutung zu.

6) Das Leitverb γινώσκϵιν findet sich im JohEv 57mal und im 1Joh 25mal; demgegenüber ist es in den kleinen Johannesbriefen nur in 2Joh 1 belegt, wo es das Festhalten an der Wahrheit meint.

7) Während es geradezu die Pointe des 4. Evangeliums ist, dass der, der Jesus sieht, Gott gesehen hat (vgl. Joh 14,9: ‘Wer mich sieht, der sieht den Vater’; vgl. 1.18, 34; 5.37; 6.36, 46; 8.38; 14.7; 20.18, 24–29), sprechen die kleinen Johannesbriefe nur einmal ohne jegliche christologische Konnotation vom ‘Sehen Gottes’ (3Joh 11). Die für das Evangelium charakteristische Vorstellung ist nur in 1Joh 1,1–3 belegt (vgl. ferner 1Joh 3.2; 4.20).

8) μαρτυρία = ‘Zeugnis’ ist im JohEv 14mal, im 1Joh 6mal, im 2Joh nicht und im 3Joh 1mal belegt; μαρτυρϵ́ω = ‘bezeugen’ findet sich im JohEv 33mal, im 1Joh 6mal, im 2Joh nicht und im 3Joh 4mal. Bei den Belegen im 3Joh geht es nicht um das Zeugnis für den Vater oder den Sohn, sondern wiederum um das Zeugnis für die überlieferte Wahrheit/Lehre.

9) ϵ̓κκλησία = ‘Gemeinde’ findet sich im 3Joh 3mal, fehlt aber im 2Joh, 1Joh und JohEv.

Neben diese inhaltlichen Differenzen/Besonderheiten tritt der Nichtgebrauch, das Fehlen zentraler Termini des Evangeliums (und teilweise des 1Joh) im 2/3Joh:

1) Im JohEv ist πιστϵύϵιν theologisches Leitverb (98 Belege; im 1Joh 9 Belege); in 2/3Joh fehlt es, obwohl es zumindest im 2Joh um den sachgemäßen Glauben geht!

2) πνϵῦμα = ‘Geist’ nimmt in den theologischen Konzeptionen des JohEv (24mal) und des 1Joh (12mal) eine zentrale Stellung ein, fehlt aber im 2/3Joh.

3) ἁμαρτία = ‘Sünde’ ist im JohEv und im 1Joh je 17mal belegt, das Verb ἁμαρτάνϵιν findet sich im JohEv 4mal, im 1Joh 10mal; beide Begriffe erscheinen in 2/3Joh nicht.

4) ζωή = ‘Leben’ ist ein zentraler theologischer Begriff des 1Joh (13mal) und des JohEv (36mal), erscheint aber wie θάνατος (1Joh 6mal; JohEv 8mal) in den kleinen Johannesbriefen nicht.

5) ϕῶς = ‘Licht’ (JohEv 23mal; 1Joh 6mal) fehlt in 2/3Joh ebenso wie σκοτία = ‘Finsternis’ (JohEv 8mal; 1Joh 6mal).

6) θϵ́λημα = ‘Wille’ (Gottes) findet sich im JohEv 11mal, im 1Joh 2mal, nicht hingegen in 2/3Joh.

III. Die Datierung der Presbyterbriefe

Welche Schlüsse lässt dieser Befund zu? Es ist zunächst offensichtlich, dass 2/3Joh ein eigenes sprachliches und theologische Profil besitzen,Footnote 14 sehr eng zusammengehören und deutlich vom 1Joh und Johannesevangelium zu unterscheiden sind. Der 1Joh lässt in der christologischen Kontroverse (1Joh 2.22; 4.1–3) eine Nähe zu 2Joh 7 erkennen, weist aber zugleich eine sprachliche Eigenständigkeit gegenüber 2/3Joh auf (z. B. χρῖσμα, γϵννάω, γινώσκω, ἁμαρτία, ζωή, υἱός, κόσμος) und zeigt sich vor allem in der Entfaltung von Theologie und Christologie dem Evangelium nahe.

Wer die Johannesbriefe nach dem Evangelium ansetzt und dabei 2/3Joh am Ende der johanneischen Traditionslinie platziert, muss zunächst die umfassende Reduzierung der Christologie in den Presbyterbriefen erklären. Der Hinweis auf die Länge der beiden kleinen Johannesbriefe oder die Gemeindesituation reicht keineswegs aus, denn gerade die christologischen und ekklesiologischen Auseinandersetzungen im 2/3Joh hätten ausgehend von der Christologie des Evangeliums weitaus effektiver und vor allem differenzierter und umfangreicher geführt werden können bzw. geführt werden müssen. Footnote 15 Eine wirkliche Erklärung für diese radikale Ent-Christologisierung kann nicht gegeben werden, ebenso wenig wie für das Zurücktreten zentraler theologischer Themen des Evangeliums in den Briefen (vor allem in 2/3Joh): Verhältnis Vater—Sohn, Soteriologie, Eschatologie, Pneumatologie, Anthropologie, Glaubensbegriff, Sakramente, Dualismen.Footnote 16 Schließlich: Werden die Johannesbriefe nach dem Evangelium datiert, wäre der johanneische Gemeindeverband gerade dann sprachlos geworden und hätte die theologischen Argumentationsmodelle des Evangeliums nicht genutzt, als er in seine tiefste Krise geriet! Vor allem dem Presbyter des 2/3Joh müsste eine massive theologische Inkompetenz vorgeworfen werden, denn er hätte das Reservoir des Johannesevangeliums (und des 1Joh) gerade in einer akuten Konfliktsituation nicht aufgegriffen.

Nimmt man hingegen an, dass die Johannesbriefe vor dem Evangelium entstanden und 2/3Joh den Anfang der johanneischen Traditionslinie bilden, erscheint eine plausible historische, sprachliche und theologische Erklärung möglich. Wenn der Verfasser des 2/3Joh als Gründer der johanneischen Schule mit dem von Papias erwähnten Presbyter Johannes identisch ist (vgl. Euseb, HE III 39.4),Footnote 17 spricht nichts dagegen, in den beiden kleinen Johannesbriefen die ältesten Dokumente der johanneischen Schule zu sehen.Footnote 18 Bei den kleinen Johannesbriefen kommt dem 2Joh die zeitliche Priorität zu, denn offensichtlich verweist 3Joh 9 auf den 2Joh. Vielfach wird dagegen der Einwand erhoben, 3Joh 9 müsse sich auf ein Empfehlungsschreiben für Wandermissionare beziehen, was aber der 2Joh nicht sei.Footnote 19 Aus der Wendung ϵ῎γραψα τί geht freilich nur hervor, dass der Presbyter schon früher einmal an die Gemeinde geschrieben hat. Erst V. 10b handelt wieder von den Wandermissionaren, so dass sich die Ablehnung des Diotrephes in V. 9b auf den Presbyter und seine im 2Joh dargelegte theologische Position und den ihr inhärenten Machtanspruch beziehen kann.Footnote 20 Die erste Bezeugung des 2Joh findet sich bei Polykarp von Smyrna (vgl. Polyk, Phil 7.1 mit 2Joh 7),Footnote 21 der um 156 n. Chr. starb. Eine Datierung der beiden kleinen Johannesbriefe ergibt sich aus der Verhältnisbestimmung zu der Datierung des Johannesevangeliums als End- und Höhepunkt der johanneischen Theologie (zwischen 100–110 n. Chr.),Footnote 22 der bei Ignatius bekämpften doketischen Falschlehre (um 110 n. Chr.)Footnote 23 und der Entstehung frühgnostischer Systeme, die mit 1Tim 6,20 (um 100 n. Chr.) erstmals nachweislich in Erscheinung treten und als deren Vorform der Doketismus anzusehen ist. Daraus folgt mit Verweis auf die antidoketische Ausrichtung von 2Joh 7 eine wahrscheinliche Abfassungszeit für den 2Joh um 90 n. Chr.Footnote 24 Eine genauere Bestimmung des zeitlichen Abstandes zwischen dem 2Joh und dem 3Joh ist nicht möglich; man darf annehmen, dass der 3Joh nicht allzu lange nach dem 2Joh verfasst wurde. Die Abfassung liegt somit kurze Zeit nach 90 n. Chr., als Abfassungsort ist wie für den 2Joh Kleinasien (Ephesus) anzunehmen.Footnote 25 Die beiden kleinen Johannesbriefe sind Zeugnisse der Anfangsphase der johanneischen Schule und der johanneischen Theologie. Dies erklärt ihre theologischen und sprachlichen Eigenheiten, vor allem aber die rudimentäre Christologie.

IV. Brief- und Evangeliumsprolog

Gegen eine Frühdatierung der Johannesbriefe scheint vor allem 1Joh 1.1-4 zu sprechen. Vielfach wird im Briefprolog ein deutlicher Rückgriff auf den Prolog des Evangeliums gesehen, so dass der 1Joh (und mit ihm auch 2/3Joh) nach dem Evangelium zu datieren wären. Zu fragen ist allerdings, ob diese postulierten Zusammenhänge einer detaillierten Exegese standhalten.

In 1Joh 1.1–4 leitet ein neutrisches Relativpronomen eine bis V. 3 reichende Satzperiode ein, die in ihrer Grundstruktur aus einem Hauptsatz (V. 3b: ‘verkündigen wir auch euch’), einem Objektsatz (V. 1a: ‘was von Anfang an war’) und einem Finalsatz (V. 3c: ‘damit auch ihr mit uns Gemeinschaft habt’) besteht.Footnote 26 Das neutrische Relativpronomen ὅ (‘was’) bezieht sich nicht auf Einzelbegriffe des Satzes (z. B. ‘Logos’ oder ‘Leben’), sondern auf den Gesamtzusammenhang: das Christusgeschehen als Inhalt der gegenwärtigen Verkündigung.Footnote 27 Es wird als Gesamtgeschehen wahrgenommen und in seinen verschiedenen Dimensionen bezeugt. Die Wendung ἀπ᾽ ἀρχῆς (‘von Anfang an’) muss als ein Stilmerkmal des 2Joh (2Joh 5.6) und vor allem des 1Joh gelten (1Joh 1.1; 2.7a, 13, 14b, 24a, 24b; 3.8a, 11).Footnote 28 Eine rein zeitliche Bedeutung von ἀπ᾽ ἀρχῆς liegt in 1Joh 3,8a vor, ansonsten dominiert eindeutig ein Sprachgebrauch, der 2Joh 5.6 aufnimmt: ἀπ᾽ ἀρχῆς bezieht sich auf die johanneische Tradition und Interpretation des Christusgeschehens, wie sie im 2Joh bzw. 1Joh präsentiert wird. Eine direkte Parallele zu 1Joh 1.1 findet sich in 1Joh 2.24 (‘Für euch [gilt]: Was ihr von Anfang an gehört habt, soll in euch bleiben. Wenn in euch bleibt, was ihr von Anfang an gehört habt, dann werdet auch ihr im Sohn und im Vater bleiben’); 1Joh 2.7a orientiert sich fast wörtlich an 2Joh 5 (und nicht an Joh 13.34!), 1Joh 2.13, 14a beziehen sich erkennbar auf die anfängliche johanneische Unterweisung,Footnote 29 ebenso 1Joh 3,11. Im Johannesevangelium erscheint ἀπ᾽ ἀρχῆς im mythisch-zeitlichen Sinn in Joh 8.44 (der Teufel war ‘ein Menschmörder von Anfang an’) und in einer zeitlich-traditionsorientierten Aussage in Joh 15.27 (‘Und auch ihr legt Zeugnis ab, weil ihr von Anfang an mit mir seid’). In Joh 2.11; 8.25 findet sich ἀρχή mit Artikel, in Joh 6.64; 16.4 ϵ̓ξ ἀρχῆς und in Joh 1,1.2 ϵ̓ν ἀρχῇ (‘im Anfang’). Vielfach wird in ἀπ᾽ ἀρχῆς in 1Joh 1,1 ein direkter Rückgriff auf ϵ̓ν ἀρχῇ in Joh 1.1.2 gesehen und als Beleg für die zeitliche Priorität des Evangeliums gewertet:Footnote 30 ‘Der Anfang des Briefes greift auf Joh 1.1 zurück; dadurch ist die Frage zu beantworten, ob ἀπ᾽ ἀρχῆς auf den absoluten Anfang oder den Beginn der Kirche weise… Also: Der Verf. redet hier vom absoluten Beginn’.Footnote 31 Hier werden die dargestellten charakteristischen Unterschiede im Gebrauch von ἀρχή im Prolog des Briefes und des Evangeliums einfach übergangen. Im gesamten johanneischen Schrifttum erscheint ϵ̓ν ἀρχῇ nur in Joh 1.1, 2 und benennt das Sein des präexistenten Logos bei Gott im absoluten Anfang vor der Weltschöpfung. Demgegenüber bezeichnet ἀπ᾽ ἀρχῆς in 1Joh 1.1 die anfängliche johanneische Tradition des Christusgeschehens in seiner gegenwärtigen Bedeutung für die Gemeinde (4mal ‘wir’!), ohne dass auch nur ansatzweise auf die Schöpfung oder eine Zeit davor rekurriert wird, d. h. vom absoluten Beginn/Anfang ist hier gerade nicht die Rede! Die Wendung ἀπ᾽ ἀρχῆς ist ein Stilmerkmal des 1Joh (und 2Joh) und nicht des Evangeliums!Footnote 32 Sie benennt in 1Joh 1.1 die johanneische Tradition als Grund und kritische Norm der Verkündigung. An keiner Stelle wird jedoch erkennbar, dass mit dieser Tradition das Johannesevangelium gemeint ist!Footnote 33

Auch beim Logos- und Lebensbegriff ist kein direkter Bezug auf den Evangeliumsprolog erkennbar. Der Einsatz mit dem neutrischen Relativpronomen ὅ lässt sich mit dem maskulinen ὁ λόγος in Joh 1.1 nicht in Verbindung bringen. Außerdem unterscheidet sich das umständliche und unscharfe πϵρὶ τοῦ λόγου in 1Joh 1.1 grundlegend vom präzisen und auf Gleichsetzung mit Gott angelegten Logosbegriff im Prolog des Evangeliums.Footnote 34 Was ‘wir gehört, gesehen und berührt haben’, wird in 1Joh 1.1f. nicht einfach direkt als ‘das Wort des Lebens’ vorgestellt und somit gleichgesetzt, sondern durch die Präposition πϵρί (‘über/bezüglich’) mit dem Logos- und Lebensbegriff in Beziehung gesetzt.Footnote 35 Damit dürfte zwar Jesus Christus als das personale Wort Gottes und als das verkündigte Wort Gottes der johanneischen Schule zugleich gemeint sein, zu beachten bleibt aber die zurückhaltende Beschreibungssprache, die (anders als im Prolog Joh 1.1–18) keine Identifikationen vornimmt. Als personales Wort Gottes erscheint der Logos als Träger des Lebens, wobei aber der Lebensbegriff letztlich den Status des Logos definiert, wie die Verankerung des Lebens im Vater in V. 2 deutlich zeigt (vgl. auch Joh 5.26). Als Lebensträger kann und will der Logos den Menschen in der Verkündigung/Weitergabe des Wortes das Leben schenken.Footnote 36 Ob mit πϵρὶ τοῦ λόγου τῆς ζωῆς auf Joh 1.1, 14 verwiesen wird, muss deshalb bezweifelt werden, denn zu sehr unterscheidet sich die umständliche Wendung des Briefes (man erwartet einen Akkusativ) vom nur im Johannesprolog erscheinenden absoluten ὁ λόγος. Liegt dort der Ton auf dem uranfänglichen Sein des Logos bei Gott, seiner Schöpfungsmittlerschaft, der Ablehnung durch den ungläubigen Kosmos und der Inkarnation, so in 1Joh 1.1 auf der Apposition τῆς ζωῆς. Die begriffliche Entwicklung verläuft eher vom 1Joh zum Evangelium, denn die Klarheit und Brillanz des Evangeliumsprologs wird hier nicht erreicht. Zwar werden Logos und Leben in 1Joh 1.1f. eng miteinander verbunden, aber im Prolog des Evangeliums macht das Leben geradezu das Wesen des Logos aus. Zudem kann die Vorstellung, dass der Logos die Heilsgabe des Lebens trägt, durchaus unabhängig von Joh 1.1–18 in der johanneischen Schule entstanden sein (vgl. 1Joh 2.7).Footnote 37

Fazit: Der Prolog des Briefes und des Evangeliums gehen auf gemeinsame traditionsgeschichtliche Wurzeln in der johanneischen Schule zurück,Footnote 38 aber Joh 1.1–18 bildete nicht die literarische Vorlage für 1Joh 1.1–4.Footnote 39

V. Veränderungen vom 1Johannesbrief zum Evangelium

Positiv können für eine Abfassung des 1Joh vor dem Evangelium zahlreiche Einzelbeobachtungen angeführt werden. Vier Themenbereiche seien genannt:

1) Die Lichtmetaphorik Footnote 40 wird im 1Joh theozentrisch und im Johannesevangelium christologisch entfaltet. Im Evangelium konstituieren sich ‘Licht’ und ‘Finsternis’ angesichts der Offenbarung in Jesus Christus;Footnote 41 zunächst verhüllt (Joh 1.4f., 9), dann in Bezug auf die Sendung des Sohnes (Joh 3.19ff.), um schließlich in die machtvolle Selbstoffenbarung Jesu zu münden: ‘Ich bin das Licht der Welt’ (Joh 8.12). Die auffällige Beschränkung des ϕῶς–Begriffes auf das öffentliche Wirken Jesu in Joh 1–12 qualifiziert das Auftreten Jesu als eine begrenzte und abgeschlossene Zeit (vgl. Joh 9.5; 11.9f.), die den Glauben an das Licht fordert (vgl. Joh 12.36) und in die Verheißung mündet: ‘Ich bin als Licht in die Welt gekommen, damit jeder, der an mich glaubt, nicht in der Finsternis bleibe’ (Joh 12.46). Demgegenüber weist der 1Joh eine theozentrische Lichtmetaphorik auf; Licht erscheint als Inbegriff des Göttlichen (1Joh 1.5) und damit als Bereich der Gottzugehörigkeit und des wahren Lebens, während Finsternis für Gottesferne, Gericht und Tod steht (1Joh 1.7; 2.8, 9, 10). Diese theozentrische Konzeption des 1Joh lässt sich kaum als Weiterführung der ausschließlich christologischen Lichtmetaphorik des Evangeliums verstehen,Footnote 42 denn in diesem Fall läge eine sekundäre Theologisierung des Lichtbegriffes vor, unter völliger Absehung der starken christologischen Akzente des Evangeliums. Weitaus wahrscheinlicher ist die umgekehrte Annahme, dass der Verfasser des Evangeliums die Lichtmetaphorik des 1Joh aufnahm und der Gesamtausrichtung seines Evangeliums entsprechend christologisch profilierte: So wie das Licht ein Kennzeichen der Offenbarung in Jesus Christus ist, zeugt die Finsternis von ihrer Abwesenheit.Footnote 43

2) Auch die Parakletvorstellung vermag die Annahme einer zeitlichen Priorität des Evangeliums nicht zu begründen.Footnote 44 In 1Joh 2.1 erscheint Jesus als himmlischer Fürsprecher der Glaubenden vor Gott, d. h. Jesus Christus und der Paraklet sind identisch. Der forensische Kontext wird durch δίκαιος (‘Gerechter’) deutlich angezeigt; in 1Joh 1,9 galt dieses Attribut noch für Gott, dessen Gerechtsein der Ungerechtigkeit der Menschen gegenübersteht. Offensichtlich denkt der Autor an ein himmlisches Gerichtsforum, bei dem die (verstorbenen) Gemeindeglieder zur Rechenschaft über ihre Sünden gezogen werden und nur durch ihren Fürsprecher/Beistand Jesus Christus vor der Strafe bewahrt bleiben. Im JohannesevangeliumFootnote 45 findet sich ein verändertes Paraklet-Konzept. Der Paraklet vergegenwärtigt in der nachösterlichen Situation den verherrlichten Jesus Christus in seiner Gemeinde, ohne mit ihm einfach identisch zu sein. Der ausdrücklich mit dem πνϵῦμα ἅγιον (‘Heiliger Geist’) bzw. πνϵῦμα τῆς ἀληθϵίας (‘Geist der Wahrheit’, vgl. Joh 14.17, 26; 15.26; 16.13) identifizierte Paraklet weilt und wirkt in der Gemeinde bis in Ewigkeit (vgl. Joh 14.16f.). Er lehrt und erinnert die Gemeinde an das, was Jesus sagte (vgl. Joh 14.26) und ist so das Gedächtnis der Gemeinde. Der Paraklet zeugt von Jesus (vgl. Joh 16.13f.). Er nimmt aus der Offenbarungsfülle Jesu und gibt es der Gemeinde weiter: ‘Alles, was der Vater hat, ist mein. Deshalb habe ich gesagt, daß er (sc. der Paraklet) aus dem Meinigen nimmt und es euch verkündigen wird’ (Joh 16.15). Der Paraklet ist somit der Ermöglichungsgrund der geistgewirkten Auslegung des Christusgeschehens, wie sie im Johannesevangelium als umfassende Vergegenwärtigung dieses Heilsgeschehens entfaltet wird. Durch den Parakleten spricht der verherrlichte Christus selbst, so dass im Parakleten der Abstand zwischen Vergangenheit und Gegenwart aufgehoben ist. Es findet eine Horizontverschmelzung statt, die durch die Betonung der Einheit vom präexistenten, gegenwärtigen, verherrlichten und wiederkommenden Christus ermöglicht wird.Footnote 46 Das gesamte Johannesevangelium ist nichts anderes als eine Auslegung des Christusgeschehens durch den Parakleten, in dem wiederum der verherrlichte Christus spricht und die joh. Tradition legitimiert. Weil in der Abschiedssituation die Wahrung der Kontinuität als Fortführung des Ermahnens und der Lehre begriffen wurde, nahm Johannes den Begriff παράκλητος in diesem Sinn auf und weitete ihn aus: Der Paraklet bekommt vor allem eine hermeneutische Funktion; er erschließt als Lehrer, Zeuge und Interpret für die Gemeinde die Bedeutung der Person Jesu Christi und führt die Glaubenden in die Zukunft.

Das sehr begrenzte und traditionsgeschichtlich eindeutig ältere Paraklet-Konzept des 1JohFootnote 47 lässt sich kaum als Weiterentwicklung der umfassenden hermeneutischen Konzeption des Evangeliums begreifen.Footnote 48 Vielmehr dürfte umgekehrt das Evangelium die Vorstellung aus dem 1Joh aufgenommen und weiterentwickelt haben.Footnote 49 Dafür spricht vor allem Joh 14.16: ‘Und ich werde den Vater bitten, und er wird euch einen anderen Parakleten geben, damit er mit euch sei in Ewigkeit’. Die Wendung ἄλλον παράκλητον (‘anderen Parakleten’) verweist auf einen ‘ersten’ Parakleten, nämlich auf die streng christologisch-forensische Konzeption von 1Joh 2.1; zugleich kennzeichnet sie den hermeneutischen Ansatz des Evangelisten als einen ‘anderen, weiteren’ Parakleten, nämlich als einen geistgewirkten Ansatz.Footnote 50

3) Auch die spezifische Verwendung des Liebesgebotes in 2Joh 5–6; 1Joh 2.7–11 und Joh 13.34f. verweist auf eine gedankliche Entfaltung von den Briefen hin zum Evangelium. Mit der Kennzeichnung des Liebesgebotes als ‘nicht neu’ und ‘von Anfang an’ führt der Presbyter in 2Joh 5f. den Traditionsgedanken weiter, indem er es mit der Gründungsphase der Gemeinde verbindet und zugleich zum verbindlichen Inhalt christlicher Existenz erklärt.Footnote 51 Dabei verweist die antithetische Formulierung ‘nicht als ob ich dir ein neues Gebot schreibe’ ebenso wie das zweifache ἀπ᾽ ἀρχῆς in V. 5.6Footnote 52 bereits auf die folgende Auseinandersetzung mit den Falschlehrern, deren Kennzeichen gerade das ‘Herausgehen’ (V. 9) aus der überlieferten Tradition ist. Die Argumentation des Presbyters bleibt damit in der bisherigen Linie; er festigt das bestehende gute Verhältnis zu Teilen der angeschriebenen Gemeinde und arbeitet sich zielsicher zum eigentlichen Konflikt vor.

1Joh 2.7 nimmt deutlich 2Joh 5 (und nicht Joh 13.34a) auf;Footnote 53 es entsprechen sich die negative Eingangsformulierung (2Joh 5a: ‘Und nun bitte ich dich, Herrin, nicht als ob ich dir ein neues Gebot schreibe’) und der jeweils mit ἀπ᾽ ἀρχῆς formulierte Verweis auf den Anfang (2Joh 5b: ‘sondern eines, was wir von Anfang an hatten’); neu ist die Qualifizierung des ‘nicht neuen Gebotes’ als ‘altes Gebot’. Der Autor verdeutlicht so: Das Liebesgebot gehört zur grundlegenden und unaufgebbaren Tradition der johanneischen Schule (vgl. 2Joh 5f.). V. 8a bezeichnet dieses eine Zentralgebot nun als ‘neues Gebot’. Warum ist das ‘nicht neue, alte’ Gebot jetzt ein ‘neues Gebot’? Zumeist wird mit dem Verweis auf Joh 13.34 geantwortet (‘Ein neues Gebot schreibe ich euch, dass ihr einander liebt, gleichwie ich euch geliebt habe, damit auch ihr einander liebt’); weil nach dem Johannesevangelium Jesus selbst das Liebesgebot gesprochen hat, ist es das neue Gebot.Footnote 54 Ein solcher Bezug ist möglich, aber mit zahlreichen Problemen belastet: (a) Die Bezüge innerhalb von V. 8a und 8b sind höchst unklar; das neutrische Relativpronomen ὅ (‘etwas, was’) in V. 8b kann sich ebenso wie das neutrische ἀληθϵ́ς (‘wahr’) nicht auf die feminine Wendung ϵ̓ντολὴν καινήν (‘neues Gebot’) beziehen. Zumeist wird dieses Problem mit der Auskunft beantwortet, der Inhalt von V. 8a sei gemeintFootnote 55 oder das Relativpronomen generalisiere die Satzaussage.Footnote 56 Warum aber formuliert der 1Joh so unklar (‘etwas, was’), wenn er sich hier auf das klare Liebesgebot Jesu in Joh 13.34 beziehen will? (b) Auch der Bezug von ϵ̓ν αὐτῷ (‘in ihm’) ist nicht eindeutig. Nimmt man einen Verweis auf Joh 13.34 an, wäre natürlich Jesus Christus gemeint. Vom Kontext her könnten vor allem ‘Gott’ (vgl. 1Joh 2.5, 6a) und (eingeschränkt) ‘Jesus Christus’ (vgl. 1Joh 2.6b) gemeint sein. (c) Ein weiteres Argument gegen einen Bezug auf Joh 13.34 ist darin zu sehen, dass in V. 8b.c das Liebesgebot überhaupt nicht zitiert wird,Footnote 57 sondern eschatologische Aussagen innerhalb der Licht-Finsternis-Antithetik entfaltet werden, so dass von einer wirklichen Rezeption nicht gesprochen werden kann. Vielmehr weisen der eindeutige Bezug von V. 7 auf 2Joh 5 und die inkonsistente Struktur von V. 8 darauf hin, dass nicht das Johannesevangelium, sondern die Tradition des Liebesgebotes als Grundelement johanneischer Theologie in 1Joh 2.7, 8 im Hintergrund steht. Der 1Joh schließt sich eng an 2Joh 5 an und entwickelt aus dem ‘nicht neuen Gebot’ eine Dialektik von ‘altem’ und ‘neuem’ Gebot. Von hieraus lässt sich auch das Relativpronomen ὅ erklären, das wie in 1Joh 1.1, 3 generalisierend auf die Tradition der johanneischen Schule verweist, ohne sich auf bestimmte vorhergehende Satzglieder zu beziehen; es ist das Liebesgebot, das sich in Gott (oder Jesus Christus) und der Gemeinde als wahr erweist. Warum aber ist das ‘alte’ zugleich das ‘neue’ Gebot? Das Gebot ist ‘alt’, weil es zum Grundbestand der johanneischen Theologie gehört und von Anfang an in den Gemeinden gelehrt wurde. Zugleich ist es ‘neu’, weil es seinem Wesen nach immer aktuell ist und immer wieder neu bewährt werden muss, vor allem angesichts des noch nicht lange zurückliegenden Gemeindeschismas. Diese ontologisch-ethische Interpretation entspricht weitaus mehr dem Textbefund im 1Joh als ein Bezug auf die christologische Variante des Liebesgebotes in Joh 13.34.

Während in der synoptischen Tradition das Liebesgebot in der Gestalt des Doppelgebotes aus der Schrift abgeleitet wird (vgl. die Aufnahme von Dtn 6.4, 5; Lev 19.18 in Mk 12.30, 31), begründet es im Johannesevangelium Jesus selbst. Dies entspricht johanneischer Logik, denn bereits die Schrift zeugt von Jesus (vgl. Joh 5.46), er ist auch Herr der Schrift. Das Prädikat neu für das Liebesgebot (Joh 13.34) verdankt sich ebenfalls diesem Denkansatz, denn die Neuheit liegt nicht in der Anweisung als solcher, sondern allein bei dem, der sie spricht, d. h. der christologische Grundansatz des Johannesevangeliums bedingt die veränderte Konzeption gegenüber den Briefen.Footnote 58

Wiederum ergibt sich ein plausibles theologisches und auch chronologisches Gefälle; erst das Johannesevangelium vollzieht im Rahmen seiner Christologisierung der johanneischen Theologie eine exklusiv christologische Begründung des Liebesgebotes.

4) Vielfach werden die Unterschiede in der Eschatologie zwischen dem Johannesevangelium und dem 1Joh als Beleg für eine frühere Abfassung des Evangeliums gewertet. Man erblickt im Evangelium die ‘genuin’ johanneische Konstruktion einer präsentischen Eschatologie und kann dann in der ‘Re-Apokalyptisierung’ des 1Joh nur eine Angleichung an die herrschende futurische Eschatologie des Urchristentums erkennen.Footnote 59 Gegen diese Sicht ist zunächst ein grundlegender methodischer Einwand zu machen: Ein wirklicher Widerspruch zwischen den eschatologischen Aussagen des Evangeliums und des 1Joh besteht nur, wenn im Gefolge R. Bultmanns u. a. die Mehrzahl der futurisch-eschatologischen Texte des Evangeliums für literarisch sekundär erklärt werden. Dies wäre aber eine petitio principii, da eine zumindest umstrittene und in der neueren Johannesforschung überwiegend als nicht textgemäß angesehene Interpretation des Evangeliums die Grundlage für die Beurteilung der Eschatologie des 1Joh bildete.

Sodann zeigt vor allem 1Joh 2.18–3.3 die Verankerung futurischer Eschatologie im johanneischen Denken. Die mit 1Joh 2.18 einsetzende eschatologische Perspektive geht nun über die Bedrohung durch die Falschlehrer hinaus und öffnet sich für das Universalgeschehen bei der Parusie Jesu Christi. Wieder zeigt der 1Joh ein eigenes Profil, das mit der Etikettierung ‘Begleitschreiben zum Evangelium’ überhaupt nicht erfasst wird; er dokumentiert, dass futurische Eschatologie in universal- und individualgeschichtlicher Perspektive zu den Grundbeständen der johanneischen Theologie insgesamt gehört. Mit der eschatologischen Perspektive und dem Gerichtsgeschehen steht die Sichtbarkeit und Bewährung der glaubenden Existenz in der Liebe und der Gerechtigkeit zur Debatte. Diese Handlungsdimension des Glaubens wird mit drei Imperativen unübersehbar formuliert, es geht um das ‘Bleiben’ (1Joh 2.28: μϵ́νϵτϵ), das ‘Erkennen’ (1Joh 2.29: γινώσκϵτϵ) und das ‘Sehen’ (1Joh 3.1: ἴδϵτϵ).Footnote 60 Während in 1Joh 1.2; 3.5, 8; 4.9 vom bereits erfolgten Erscheinen der Offenbarung, Christi oder der Liebe Gottes die Rede ist, bezieht sich ϕανϵροῦν in 2.28; 3.2 streng auf das zukünftige Offenbarwerden Christi bei der Parusie. Der Begriff παρουσία bezeichnet in der Bedeutung ‘Ankunft als Eintritt der Anwesenheit’Footnote 61 ursprünglich die Ankunft eines Herrschers/Würdenträgers (vgl. 3Makk 3.17) oder die Epiphanie einer Gottheit.Footnote 62 Im johanneischen Schrifttum erscheint zwar παρουσία nur hier (vgl. aber 1Joh 4.17: ‘Tag des Gerichtes’), die Vorstellung des endzeitlichen Kommens Jesu Christi findet sich aber auch in Joh 14.2f., 18, 28; 16.23f.Footnote 63 Eine große Nähe besteht zwischen 1Joh 2.28; 5.14 und Joh 16.23f: ‘Und an jenem Tag werdet ihr mich nichts (mehr) fragen. Amen, amen, ich sage euch: Wenn ihr den Vater in meinem Namen um etwas bitten werdet, so wird er euch geben. (24) Bis jetzt habt ihr um nichts in meinem Namen gebeten. Bittet, und ihr werdet empfangen, damit eure Freude vollkommen sei’. Die freimütige Rede, die Gebetsgewissheit und der Ausblick auf die Parusie bilden offenbar einen geprägten Motivkomplex. ‘An jenem Tag’ wird es keine Fragen mehr geben, denn die Glaubenden sind dann endgültig in den Bereich der göttlichen Wahrheit eingetreten, und ihre Gebete erfüllen sich (vgl. Joh 14.13–14; 15.16).

1Joh 2.28 nimmt den Grundgehalt der frühchristlichen Parusie-Vorstellung auf: Mit dem Kommen Christi verbindet sich ein Gerichtsgeschehen, das mit dem Vergehen des Kosmos einhergeht (1Joh 2.17; vgl. 2.8) und in dem sich die Gemeindeglieder bewähren müssen. Der endzeitlichen Beurteilung in diesem Gericht dürfen die Glaubenden getrost entgegengehen, denn sie hoffen auf die Furchtlosigkeit und den Freimut der Gerechten. Der Terminus παρρησία (‘Öffentlichkeit/Freimut’) findet sich im Neuen Testament 31mal, davon allein 13mal in den johanneischen Schriften (1Joh 4mal; Johannesevangelium 9mal). Die Konzeptionen im Brief und im Evangeliun sind allerdings sehr unterschiedlich;Footnote 64 während im Brief der freie, direkte Zugang zu Gott das Thema ist (vgl. 1Joh 2.28; 3.21; 4.17; 5.14), liegt im Evangelium wiederum eine christologische Konzentration vor. Jesus redet frei und wahrhaftig (vgl. Joh 7.4, 26; 10.24; 11.14; 16.25, 29), so dass man ihm später nicht den Vorwurf machen kann, er habe seine Sendung vom Vater verschwiegen (vgl. Joh 18.20). Die wahrhaftige und freimütige Existenz zeichnet sich durch eine Übereinstimmung von Person, Handeln und Reden aus.Footnote 65 Jesus lebt in der Übereinstimmung mit Gott, der Wahrheit und sich selbst, wie kein anderer kann er das Prädikat der παρρησία für sich in Anspruch nehmen. Demgegenüber dient παρρησία im 1Joh zur Charakterisierung des unmittelbaren, freien Zugangs zu Gott im Gericht (1Joh 2.28; 4.17) oder im Gebet (1Joh 3.21; 5.14), so dass von einem ekklesiologischen παρρησία-Begriff gesprochen werden kann. Dem Freimut der Gerechten steht das ebenfalls zur Gerichtssprache gehörende Motiv des ‘Beschämtwerdens’ der Sünder gegenüber. Die Gemeinde darf sich gewiss sein, im Gericht nicht beschämt zu werden, denn sie gehört der Sphäre der Gerechtigkeit an. Die futurisch-eschatologische Grundausrichtung des Gesamtabschnitts wird durch den Gebrauch von ϵ̓λπίς (‘Hoffnung’) in 1Joh 3.3 unterstrichen, das in den johanneischen Schriften nur hier erscheint.Footnote 66 Die Hoffnung gilt dem Gott, der seine Liebe in der Sendung (1Joh 4.9) und dem sühnenden Werk des Sohnes (1Joh 1.7; 2.2) sowie der Neuschöpfung der Glaubenden als Kinder Gottes erwiesen hat und erweisen wird. Deshalb ist die Gemeinde aufgefordert, sich selbst ‘zu reinigen’, d. h. ein Leben jenseits der Sünde zu führen (vgl. 1Joh 3.4).

Die Spannung zwischen dem gegenwärtigen und dem zukünftigen Sein der Glaubenden prägt nicht nur 1Joh 2.28–3.3, sondern die gesamte Eschatologie des 1Joh. Der Brief betont nachdrücklich die Gegenwart des Heils:Footnote 67 Wer an den Sohn glaubt, hat das ewige Leben (1Joh 5.12; vgl. Joh 3.36); er ist vom Tod zum Leben hinüber geschritten (1Joh 3.14; vgl. Joh 5.24) und ist definitiv aus Gott gezeugtes ‘Kind Gottes’ (1Joh 2.29; 3.1f.). Gegenüber diesen Aussagen sind die futurisch-eschatologischen Aussagen keineswegs ein literarischer FremdkörperFootnote 68 oder ein inhaltliches Dekadenzphänomen,Footnote 69 sondern sie fügen sich organisch in die Gesamtargumentation des 1Joh ein und bringen ein zentrales theologisches Anliegen zum Ausdruck: Gerade weil die gegenwärtige Gemeinde vom Kosmos bedrängt wird, Falschlehrer auftreten und der Teufel die Welt beherrscht (1Joh 5.19), hofft sie auf die bevorstehende Vollendung ihres Heils bei der Parusie Christi.Footnote 70 Der 1Joh zeigt deutlich, dass futurisch-eschatologisches Gedankengut zu den Grundelementen des johanneischen Denkens gehört, das auch im Johannesevangelium keineswegs als Sekundärphänomen anzusehen ist.Footnote 71

Fazit: Die in der Literatur angeführten Argumente für die zeitliche Priorität des Evangeliums gegenüber dem 1Joh können nicht überzeugen. Im 1Joh findet sich kein Zitat aus dem Evangelium, und die vielfach behaupteten theologischen Akzentverschiebungen vom Evangelium zum Brief sind entweder nicht vorhanden oder beruhen auf einer bestimmten Interpretation des Evangeliums, die das gewünschte Ergebnis präjudiziert. Der 1Joh dürfte vor dem Johannesevangelium, aber nach dem 2/3Joh verfasst sein. Als Abfassungszeit ergibt sich ca. 95 n. Chr.,Footnote 72 Abfassungsort war wahrscheinlich wiederum Ephesus Footnote 73 als Sitz der johanneischen Schule. Papias kannte den 1Joh (vgl. Euseb, HE III 39.17), erstmals bezeugt ihn Polykarp (vgl. 1Joh 4.2 mit Polyk, Phil 7.1).Footnote 74

VI. Die Briefe und das Evangelium in der Geschichte der johanneischen Schule

Aus den vorhergehenden Überlegungen ergibt sich als Hypothese: Die beiden Presbyterbriefe spiegeln die judenchristlich geprägten Anfänge der johanneischen Schule, die Konflikte zwischen einzelnen Gemeindeleitern und das Aufkommen einer doketischen Christologie wider. Die Presbyterbriefe führen keinen erkennbaren theologischen Diskurs, sondern sie verharren in persönlichen Machtansprüchen und Symbolhandlungen, sie bleiben in ihrer theologischen Argumentation eher rudimentär und bearbeiten den anfänglichen christologischen Konflikt nicht wirklich. Demgegenüber zeugen der 1Johannesbrief und vor allem das Johannesevangelium von einem neuen Stadium johanneischer Theologiebildung.

Mit dem 1Johannesbrief ist die Formierungsphase der johanneischen Theologie eindeutig beendet, das johanneische Denken bekommt jetzt Systemqualität und tritt in einen umfassenden theologischen Diskurs ein. Die Begrifflichkeit und die Argumentation im 1Joh ist gegenüber 2/3Joh deutlich weiterentwickelt und hat vor allem in der christologischen Kontroverse an Durchschlagskraft gewonnen. Anders als im 2/3Joh wird der theologie-politische Standort des Verfassers/der Verfasser nun umfassend theologisch begründet. Soziologisch dürfte hinter dem 1Joh ein gegenüber den Presbyterbriefen gewachsener Gemeindeverband stehen,Footnote 75 an den sich eine Mehrzahl von Lehrern mit dem ‘Wir’ in 1Joh 1.1–4 wendet und der auch nach der Spaltung (vgl. 1Joh 2.19) lebensfähig bleibt. Der 1Joh bezeugt ein reges gottesdienstliches Leben in der Gemeinde, worauf die Bedeutung des Gebetes (vgl. 1Joh 3.22; 5.14–16) und der Geist-Salbung (vgl. 1Joh 2.20, 27) sowie der Streit um das rechte Verständnis der Sakramente hinweisen (vgl. 1Joh 5.6–8). Über die soziale Schichtung der Gemeinde lassen sich nur wenige sichere Aussagen machen, aber zwei Punkte sind relativ deutlich: (1) Es gab soziale Konflikte zwischen reichen und armen Gemeindegliedern; Reiche prahlten mit ihrem Besitz (vgl. 1Joh 2.16, 17) und verweigerten sich der konkreten, tatkräftigen Geschwisterliebe (vgl. 1Joh 3.17, 18). (2) Die innergemeindlichen Kontroversen über das Sündenverständnis lassen auf ein reges theologisches Interesse und damit auch auf ein gewisses Bildungsniveau schließen. (3) Zumindest die ehemals zur Gemeinde gehörenden Falschlehrer (vgl. 1Joh 2.19) dürften über ein Elitebewusstsein verfügt haben, denn ihre auf dem Weltbild des Platonismus basierende doketische ChristologieFootnote 76 lässt auf intellektuell geprägte Zirkel schließen, die sich möglicherweise der restlichen Gemeinde überlegen fühlten.

Das Johannesevangelium wiederum repräsentiert ein weiteres Stadium johanneischer Theologie, indem nun im Rahmen einer eigenen Jesus-Christus-Geschichte das johanneische Denken präsentiert wird. Das Johannesevangelium bildet den Höhepunkt und Abschluss der johanneischen Theologie. Johannes steht an einem Wendepunkt. Er sieht deutlich, dass seine Zeit Jesus Christus und dem Ursprung des Christentums nur treu bleiben kann, wenn sie das Wagnis einer sprachlichen und gedanklichen Neuformulierung des Christusgeschehens eingeht. Dabei ist dem 4. Evangelisten der Rückbezug auf Jesus von Nazareth ebenso wichtig wie die Neuformulierung der Jesus-Christus-Botschaft für seine eigene Zeit. Ohne den geschichtlichen Jesus, um dessen historisch-geographische Verortung er sich nachdrücklich bemüht, gibt es für Johannes kein Christentum. Zugleich gilt aber: Ohne eine neuartige sprachliche und gedankliche Vermittlung des Christusgeschehens kann Johannes die durch den Falsch- und Unglauben gefährdete Identität seiner Gemeinde nicht stabilisieren, bleibt das Verstehen hinter seinen Möglichkeiten zurück und bringt die Verkündigung keine ‘Frucht’ (vgl. Joh 15.1–8). Diese Neuerschließung vollzieht Johannes als produktive und weiterführende Aneignung der Jesus-Christus-Offenbarung mit seiner Evangelienschreibung. Basis des johanneischen Denkens ist die Einheit von Vater und Sohn (vgl. Joh 10.30; 17.21 u.ö.), Zentrum die Menschwerdung Gottes in Jesus Christus.Footnote 77

Warum wurde das 4. Evangelium geschrieben? Weil die andauernde christologische Debatte in der johanneischen Schule ein eigenes Evangelium erforderte! Wie Jesu Christi Göttlichkeit und Menschsein zu verstehen sind, wie sie sich zueinander verhalten und worin sie sich zeigen, darauf gaben weder das Markus- noch das Lukasevangelium eine hinreichende Antwort.Footnote 78 Das Hervortreten der Christologie im Johannesevangelium ist zunächst durch die Gattung veranlasst, hat aber einen weiteren Grund: Der Evangelist Johannes unternimmt in seinem Evangelium den Versuch, in der/durch die Narration das Wesen des Gottessohnes Jesus Christus in Hoheit und Niedrigkeit umfassend zu bestimmen. Dabei zeigt die gegenüber den Synoptikern sehr starke Betonung der Hoheit und Göttlichkeit Jesu, dass Johannes bemüht ist, ein auch von vielen seiner Gemeindeglieder und ihm selbst geteiltes Grundanliegen der doketischen Lehrer aufzunehmen, zugleich aber inkarnatorisch und kreuzestheologisch zu begrenzen und zu präzisieren.

Die nachhaltige Betonung der Inkarnation, des Menschseins Jesu und des Kreuzes als Ort des Heils ergibt sich zum einen aus dem theologischen Grundansatz und der Logik des johanneischen Denkens, zugleich ist sie aber auch die erzählerisch-theologische Antwort auf die christologische Kontroverse in der johanneischen Schule. Innerhalb des Erzählablaufs des Evangeliums löste der eucharistische Abschnitt mit seiner Betonung der unauflöslichen Einheit von Menschheit und Gottheit in der Person Jesu Christi ein Schisma unter den Jüngern aus (Joh 6.60–71). Dieses Schisma ist ein Reflex der Spaltung innerhalb der johanneischen Schule, die sich an der soteriologischen Bedeutung der irdischen Existenz Jesu entzündete und die sich auf 1Joh 2.19 bezieht.

Johannes unternimmt seine wohl durchdachte und ausgewogene Verhältnisbestimmung von Göttlichkeit und Menschsein Jesu nicht als eigenmächtige Neudefinition, sondern weiß sich in doppelter Weise mit dem Ursprungsgeschehen verbunden. Zum einen vollzieht sich die Entfaltung des Christusgeschehens im Johannesevangelium als geistgewirkte nachösterliche Anamnese (vgl. Joh 2.17, 22; 12.16; 13.7; 20.9).Footnote 79 Die Gegenwart des Parakleten (vgl. Joh 14.26) ermöglicht ein vertieftes Erfassen der Menschwerdung, des Erdenwirkens, des Leidens und der Erhöhung und Verherrlichung Jesu Christi. Zugleich gewährt der Paraklet jenes Erinnern an die Werke und Worte Jesu, die im Johannesevangelium niedergeschrieben sind. Der Paraklet führt die Gemeinde als Beistand, Hermeneut, Lehrer, Fürsprecher, Anwalt, Stellvertreter und Zeuge Jesu (vgl. Joh 14.15–17, 26; 15.26; 16.7–11, 13–15) und vergegenwärtigt darin das einmalige Heilsgeschehen. Neben dem Parakleten verbindet der ‘Lieblingsjünger’Footnote 80 die johanneische Schule mit der authentischen Jesus-Christus-Geschichte. Der Lieblingsjünger ist Traditionsgarant und idealer Zeuge des Christusgeschehens; er wurde vor Petrus berufen (Joh 1.37–40) und ist der Hermeneut Jesu und der Sprecher des Jüngerkreises (Joh 13.23–26a). In der Stunde der Anfechtung bleibt er seinem Herrn treu (Joh 18.15–18) und wird so zum wahren Zeugen unter dem Kreuz und zum wahren Nachfolger Jesu (Joh 19.25–27). Er bestätigt den wirklichen Tod Jesu am Kreuz (Joh 19.34b.35) und erkennt als Erster die eschatologische Dimension des Ostergeschehens (Joh 20.2–10). So schließt sich der Kreis: Mit dem Lieblingsjünger und dem Parakleten vollzieht der Evangelist eine doppelte Verschränkung der Zeitebenen nach vorn und hinten, wobei Ostern jeweils zugleich Mitte und Ausgangspunkt ist. So weiß sich die johanneische Schule in besonderer Weise mit dem irdischen und dem erhöhten Jesus Christus verbunden.

References

1 Die Differenzen zwischen der Johannesoffenbarung und den anderen johanneischen Schriften lassen es als sinnvoll erscheinen, die Offenbarung nicht unmittelbar zur johanneischen Schule zu zählen, sondern sie in einer mittelbaren Verbindung zu den anderen johanneischen Schriften zu sehen, wodurch sich dann auch die vorhandenen Gemeinsamkeiten erklären; vgl. in diesem Müller, Sinn U. B., Die Offenbarung des Johannes (ÖTK 19; Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus, 2. Aufl. 1995) 4652Google Scholar; Roloff, J., Die Offenbarung des Johannes (ZBK.NT 18; Zürich: TVZ, 2. Aufl. 1987) 1920Google Scholar; Lohse, E., ‘Wie christlich ist die Offenbarung des Johannes?’, NTS 34 (1988) 321–38, hier: 326CrossRefGoogle Scholar.

2 Zur johanneischen Schule vgl. Brown, R. E., Ringen um Gemeinde (Salzburg: Müller, 1982)Google Scholar; Cullmann, O., Der johanneische Kreis (Tübingen: Mohr Siebeck, 1975)Google Scholar; Culpepper, R. A., The Johannine School (Missoula, MT: Scholars, 1975) 261–90Google Scholar; Hengel, M., Die johanneische Frage (Tübingen: Mohr Siebeck, 1993) 219ff., 275ff.Google Scholar; Schnelle, U., Antidoketische Christologie im Johannesevangelium (Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 1987) 5375CrossRefGoogle Scholar; ders., ‘Die johanneische Schule’, Bilanz und Perspektiven gegenwärtiger Auslegung des Neuen Testaments (FS G. Strecker; hg. v. F. W. Horn; BZNW 75; Berlin: W. de Gruyter, 1995) 198–217; Schüssler-Fiorenza, E., ‘The Quest for the Johannine School: The Apocalypse and the Fourth Gospel’, NTS 23 (1977) 402–27CrossRefGoogle Scholar; Strecker, G., ‘Die Anfänge der johanneischen Schule’, NTS 32 (1986) 3147CrossRefGoogle Scholar; Taeger, J. W., Johannesapokalypse und johanneischer Kreis (Berlin: W. de Gruyter, 1989) 1120Google Scholar; Zumstein, J., ‘Zur Geschichte des johanneischen Christentums’, Kreative Erinnerung (AThANT 84; Zürich: TVZ, 2. Aufl. 2004) 114Google Scholar.

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4 Conzelmann, ‘Was von Anfang war’, 208.

5 Conzelmann, ‘Was von Anfang war’, 213.

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7 Brown, R. E., The Epistles of John (AB 39; New Haven: Yale University Press, 1982) 90Google Scholar.

8 Klauck, H.-J., Der erste Johannesbrief (EKK XXIII/1; Neukirchen–Vluyn: Neukirchener, 1991) 31Google Scholar; Hahn, ähnlich H., Tradition und Neuinterpretation (Zürich: TVZ, 2009) 370Google Scholar: ‘Der 1.Joh. will gelesen und verstanden werden als Relecture der johanneischen Tradition, näherhin des JEv’; so schon Holtzmann, H. J., Der erste Johannesbrief (HC 4; Freiburg/Tübingen: Mohr Siebeck, 2. Aufl. 1893)Google Scholar 233 zum 1Joh: ‘er begleitet das Evglm als Summe des in ihm niedergelegten praktischen Gehaltes’.

9 Vgl. in differenzierter Analyse Lieu, J. M., I, II, & III John: A Commentary (NTL; Louisville: Westminster John Knox, 2008)Google Scholar 8: ‘I argue in the commentary and below, that 1John nowhere appeals to or assumes knowledge of the Gospel, and indeed that the latter seems unlikely; rather each writing is, largely independently, reworking common or shared traditions’.

10 Diese methodische Forderung stellte bereits Wendt, H. H., Die Johannesbriefe und das johanneische Christentum (Halle: Buchhandlung des Waisenhauses, 1925)Google Scholar 1: auf: ‘Erstens erscheint es mir notwendig, diese Briefe einmal ganz allein aus sich selbst heraus zu erklären, ohne sie gleich unter eine vom vierten Evangelium hergenommene Beleuchtung zu stellen’.

11 Vgl. hierzu Schnelle, U., Theologie des Neuen Testaments (Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 2007) 620–8Google Scholar.

12 Vgl. bereits Bergmeier, R., ‘Zum Verfasserproblem des II. und III. Johannesbriefes’, ZNW 57 (1966) 93100CrossRefGoogle Scholar, hier: 96: ‘ἀλήθϵια impliziert hier nicht die göttliche Wirklichkeit, sondern die rechte Lehre, den wahren Glauben oder wahres Christsein schlechthin’; anders Schnackenburg, R., ‘Zum Begriff der “Wahrheit” in den beiden kleinen Johannesbriefen’, BZ 11 (1967) 253–8Google Scholar.

13 Zur Auslegung von 2Joh 4.5; 3Joh 6 vgl. Schnelle, U., Die Johannesbriefe (ThHK 17; Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt, 2010) 22–6Google Scholar.

14 Neben den Kommentaren vgl. zur Analyse: Lieu, J., The Second and the Third Epistles of John (Edinburgh: T. & T. Clark, 1986) 5165Google Scholar.

15 Dieses Argument gilt vor allem, wenn man wie Klauck, H.-J., Die Johannesbriefe (EdF 276; Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 1991)Google Scholar 126, die Situation der Briefe so beschreibt: ‘Sie setzen alle drei die gleiche, im Grundbestand des Evangeliums noch nicht erkennbare konfliktreiche Gemeindesituation voraus und wurden zur Bewältigung dieses innerjohanneischen Schismas in einer relativ kurzen Zeitspanne verfaßt’. Für den 1Joh ist diese Beschreibung möglich, für den 2/3Joh m. E. nicht, denn: Was tragen sie zur Bewältigung des joh. Schismas aus? Sie fallen massiv hinter die Argumentation des 1Joh zurück und nehmen das umfangreiche theologische Reservoir des Evangeliums in keiner Weise auf!

16 Beutler, Nach J., Die Johannesbriefe (RNT; Regensburg: Pustet, 2000)Google Scholar 144, nahm der 2Joh zwar Gedankengut des 1Joh auf, ‘doch formelhaft erstarrt und gelegentlich bis zur Unverständlichkeit eher ungeschickt miteinander verknüpft, so daß sich auch von dieser Seite her eher eine Abfolge des Zweiten Briefes auf den Ersten als umgekehrt nahelegt’. Von einem ‘Stillstand’ bzw. einer ‘Selbstaufgabe’ spricht auch Rinke, J., Kerygma und Autopsie. Der christologische Disput als Spiegel johanneischer Gemeindegeschichte (HBS 12; Freiburg: Herder, 1997)Google Scholar 320f. Die Annahme einer Erstarrung der joh. Theologie in ihrer Endphase ist möglich, sie hat aber massive innere Voraussetzungen: (1) Die Unfähigkeit des Presbyters Johannes, den theologischen Ertrag seiner Vorgänger anzuwenden. (2) Die faktische Wirkungslosigkeit des Johannesevangeliums, dessen reichhaltige theologische Welt beim Presbyter unbeachtet geblieben wäre. (3) Im Hinblick auf den 3Joh den faktischen Abbruch einer theologischen Argumentation! Alle drei Annahmen erscheinen mir angesichts der theologischen Reichhaltigkeit des Johannesevangeliums und des 1Joh sowie der Wirkungsgeschichte des 4. Evangeliums als unwahrscheinlich und spekulativ.

17 Vgl. Schnelle, Die Johannesbriefe, 6.

18 Vgl. in diesem Sinn (mit Unterschieden in der Einzelargumentation) Wendt, Die Johannesbriefe, 1–7; Strecker, G., Die Johannesbriefe (Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 1989) 28CrossRefGoogle Scholar; Schnelle, Antidoketische Christologie, 65; H. Thyen, “Johannesbriefe”, TRE 17 (Berlin: W. de Gruyter) 195; Hengel, Die johanneische Frage, 123, 156; Frey, J., Die johanneische Eschatologie III (WUNT 117; Tübingen: Mohr Siebeck, 2000) 5360Google Scholar; Popkes, E. E., Die Theologie der Liebe Gottes in den johanneischen Schriften (WUNT 2/197; Tübingen: Mohr Siebeck, 2005) 296304Google Scholar.

19 Vgl. z. Schnackenburg, B. R., Die Johannesbriefe (HThK XIII/3; Freiburg: Herder, 6. Aufl. 1979) 326Google Scholar; Kümmel, W. G., Einleitung in das Neue Testament (Heidelberg: Quelle & Meyer, 19. Aufl. 1978) 394Google Scholar; Bultmann, R., Die drei Johannesbriefe (KEK XIV; Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 1969) 99Google Scholar; Wengst, K., Der erste, zweite und dritte Johannesbrief (ÖTK 16; Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus, 1987) 248Google Scholar; Klauck, H.-J., Der zweite und dritte Johannesbrief (EKK XXIII/2; Neukirchen–Vlyun: Neukirchener, 1992) 99Google Scholar; Beutler, Die Johannesbriefe, 180f.

20 Für einen Bezug von 3Joh 9 auf 2Joh plädieren z. Zahn, B. Th., Einleitung in das Neue Testament II (Leipzig: Deichert, 2. Aufl. 1900) 581Google Scholar; Wendt, Die Johannesbriefe, 23; Jülicher, A./Fascher, E., Einleitung in das Neue Testament (Tübingen: Mohr Siebeck, 7. Aufl. 1931) 235Google Scholar; Strecker, Die Johannesbriefe, 357f., 368; Schnelle, U., Einleitung in das Neue Testament (Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 6. Aufl. 2007) 479Google Scholar; Vouga, F., Die Johannesbriefe (HNT 15/3; Tübingen: Mohr Siebeck, 1990) 18Google Scholar; Vogler, W., Die Briefe des Johannes (ThHK 17; Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt, 1993) 30Google Scholar; Hengel, Die johanneische Frage, 132.

21 Vgl. ferner Iren, Haer I 16,3; III 16,8. Frühe Belege für den 3Joh fehlen; nach Euseb, HE VI 25,10 zählte Origenes 2/3Joh mit Einschränkungen zum Kanon; vgl. auch Euseb, HE III 25,3; zur Diskussion der Probleme vgl. Klauck, Die Johannesbriefe, 25–35.

22 Vgl. Schnelle, Einleitung, 508–11.

23 Abgefasst während der Regierungszeit Trajans zwischen 110–17 n. Chr. Eine Spätdatierung um 170 n. Chr. vertritt Hübner, R. M., ‘Thesen zur Echtheit und Datierung der sieben Briefe des Ignatius von Antiochien’, ZAC 1 (1997) 4472Google Scholar; die Gegenargumente bietet Lindemann, A., ‘Antwort auf die “Thesen zur Echtheit und Datierung der sieben Briefe des Ignatius von Antiochien” ’, ZAC 1 (1997) 185–94Google Scholar. Gegen eine Spätdatierung spricht vor allem, dass es um 170 n. Chr. keinen Sinn macht, sich pseudepigraphisch auf Ignatius zu berufen, um Gnostiker zu bekämpfen! Ignatius kämpft nicht gegen—um 170/180 ja in vielfältiger Form—ausgebildete gnostische Systeme, sondern gegen eine doketische Christologie, die partiell in spätere Systeme übernommen werden konnte, aber damit gerade nicht identisch ist. Insbesondere lassen sich bei Ignatius (wie in den Johannesbriefen) für die Gegner kein protologischer Dualismus und keine Kosmogonie nachweisen, die als das Kennzeichen gnostischer Systeme zu gelten haben. Das Denken der Ignatiusbriefe wurzelt nicht im späten 2. Jh. n. Chr., sondern in der paulinischen/deuteropaulinischen und der johanneischen Theologie.

24 Werden 2/3Joh nach dem Evangelium angesetzt, ergibt sich als Abfassungszeit in der Regel ca. 100–110 n. Chr.; vgl. Klauck, Der zweite und dritte Johannesbrief, 23.

25 Vgl. Vogler, Die Johannesbriefe, 33.

26 Vgl. dazu Klauck, Der erste Johannesbrief, 54f.

27 Grammatisch handelt es sich um eine Generalisierung; vgl. Kühner, R./Gerth, B., Ausführliche Grammatik der griechischen Sprache II/1 (Hannover: Hahn, 4. Aufl. 1955) 61f.Google Scholar; Blass, F./Debrunner, A./Rehkopf, F., Grammatik des neutestamentlichen Griechisch (Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 16. Aufl. 1984)Google Scholar § 138,1.

28 Vgl. dazu mit unterschiedlichen Akzenten Strecker, Die Johannesbriefe, 56–8; Klauck, Der erste Johannesbrief, 59f.

29 Gegen Conzelmann, ‘Was von Anfang war’, 208, der meint, 1Joh 2.13, 14 verwiesen auf die ἀρχή schlechthin.

30 Vgl. nur Bultmann, Die Johannesbriefe, 13; Brown, The Epistles of John, 149ff.; Klauck, Der erste Johannesbrief, 60 (nach ihm vermittelt das ἀπ᾽ ἀρχῆς in 1Joh 1.1 zwischen dem ν ἀρχῇ in Joh 1.1 und dem ἀπ᾽ ἀρχῆς in 1Joh 2.24); Vouga, Die Johannesbriefe, 24f.; Beutler, Die Johannesbriefe, 35f.; Heckel, Th. K., ‘Die Historisierung der johanneischen Theologie im Ersten Johannesbrief’, NTS 50 (2004) 425–43 hier: 434–6CrossRefGoogle Scholar. Dagegen lehnen z. Wendt, B. H. H., ‘Der “Anfang” am Beginne des I. Johannesbriefes’, ZNW 21 (1922) 3842CrossRefGoogle Scholar; Schnelle, Antidoketische Christologie, 66f.; Strecker, Die Johannesbriefe, 57; Lieu, I, II, & III John, 38, eine Deutung von 1Joh 1.1–4 auf Joh 1.1 ab.

31 Conzelmann, ‘Was von Anfang war’, 208.

32 Diesen klaren Befund minimiert Heckel, ‘Historisierung’, 436, der von einer ‘kleinen Änderung’ spricht.

33 Gegen H. Conzelmann, ‘Was von Anfang war’, 211: ‘Man versteht die Ausdrucksweise des Briefes m. E. nur durch die Annahme, daß der Verfasser das Johannesevangelium bereits als feste Autorität vor Augen hat’.

34 Vgl. Lieu, I, II, & III John, 38: ‘For 1 John the opening appeal is not a (preexistent) person but to some thing whose identity and significance is defined by its relationship with the beginning, i.e. its “ab-origin-ality”.’

35 Die mit πϵρί eingeführte Genitiv-Wendung ist als gen. qualitatis aufzufassen (der Logos, der das Leben in sich trägt). Warum der Autor einen Akkusativ vermeidet, lässt sich nicht mehr erhellen; Vermutungen finden sich bei Schnackenburg, Die Johannesbriefe, 60f.

36 Vgl. Beutler, Die Johannesbriefe, 37.

37 Selbst wenn man einen Bezug des Brief- auf den Evangeliumsprolog beim Logosbegriff annehmen würde, ist damit noch nicht über das chronologische Verhältnis 1Joh—Johannesevangelium entschieden, denn Joh 1.1–18 ist (ohne V. 6–8.15) ein Traditionstext; vgl. den Nachweis bei Schnelle, U., Das Evangelium nach Johannes (ThHK 4; Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt, 4. Aufl. 2009), 44f., 52Google Scholar.

38 Vgl. Lieu, I, II, & III John, 8.

39 Vgl. Schnelle, Antidoketische Christologie, 65f.; Strecker, Die Johannesbriefe, 56ff.; Hengel, Die johanneische Frage, 157; Lieu, I, II & III John, 17. Für eine Abhängigkeit des Briefprologs von Joh 1,1–18 plädieren u. a. Bultmann, Die Johannesbriefe, 13; Schnackenburg, Die Johannesbriefe, 51; Balz, H., Die Johannesbriefe (NTD 10/1; Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 1973) 167Google Scholar; Brown, Epistles of John, 176ff.; Klauck, Der erste Johannesbrief, 56f.

40 Vgl. hier vor allem Conzelmann, H., ‘ϕῶςThWNT 9 (1973) 302–49Google Scholar; Schwankl, O., Licht und Finsternis (HBS 5; Freiburg: Herder, 1995) 5073Google Scholar.

41 Vgl. die Skizze bei Frey, J., ‘Zu Hintergrund und Funktion des johanneischen Dualismus’, Paulus und Johannes (hg. v. D. Sänger/U. Mell; WUNT 198; Tübingen: Mohr Siebeck, 2006) 373Google Scholar, hier: 31–42.

42 So aber Klauck, Der erste Johannesbrief, 83, der mit großer Selbstverständlichkeit feststellt: ‘Es bedarf keiner gewagten Hypothesen, um den Rekurs des Briefautors auf die Lichtmetaphorik zu erklären. Ihm stand die reiche Evangelientradition zur Verfügung, die davon förmlich durchzogen wird’.

43 Vgl. Popkes, Die Theologie der Liebe Gottes, 300–302.

44 Zu den relevanten religionsgeschichtlichen Ableitungsversuchen der Paraklet-Vorstellung (Gnosis, Vorläufer-Vollender-Idee; Fürsprecher-Vorstellung, Qumran, Gattung Abschiedsrede) vgl. Betz, O., Der Paraklet (AGSU 2; Leiden: Brill, 1963)Google Scholar; Burge, G. M., The Anointed Community: The Holy Spirit in the Johannine Tradition (Grand Rapids: Eerdmans, 1987) 1030Google Scholar.

45 Neben den Kommentaren vgl. hier: Bornkamm, G., ‘Der Paraklet im Johannes-Evangelium’, Geschichte und Glaube I (BEvTh 48; München: Kaiser, 1968) 6889Google Scholar; Mußner, F., ‘Die johanneischen Parakletsprüche und die apostolische Tradition’, BZ 5 (1961) 5670Google Scholar; Müller, U. B., ‘Die Parakletvorstellung im Johannesevangelium’, ZThK 71 (1974) 3177Google Scholar; Kammler, H.-Chr., ‘Jesus Christus und der Geistparaklet’, Johannesstudien (O. Hofius/H. Chr. Kammler; WUNT 88; Tübingen: Mohr Siebeck, 1996) 87190Google Scholar.

46 Grundlegend hier Mußner, F., Die johanneische Sehweise und die Frage nach dem historischen Jesus (QD 28; Freiburg: Herder 1965) 56ffGoogle Scholar.

47 Dies räumt auch Klauck, Der erste Johannesbrief, 105, ein.

48 Hahn, Tradition und Neuinterpretation, 82ff., versucht die offensichtliche Nichtaufnahme des Parakletkonzeptes des Evangeliums im 1Joh mit der Vermutung zu erklären, der Brief habe ‘das—für ihn nach wie vor dringliche—Problem der Kontinuität der Jesusoffenbarung—ohne Rückgriff auf den Parakleten—in einer anderen, gegenüber der Tradition neuen Weise gelöst’.

49 So u.a. Johnston, G., The Spirit-Paraclete in the Gospel of John (MSSNTS 12; Cambridge: Cambridge University, 1979), 75–7Google Scholar; Strecker, Die Johannesbriefe, 92; Hengel, Die johanneische Frage, 169.

50 Vgl. dazu Schnelle, U., ‘Johannes als Geisttheologe’, NovT 40 (1998) 1731Google Scholar.

51 Vgl. Strecker, Die Johannesbriefe, 330.

52 Die Wendung ἀπ᾽ ἀρχῆς erscheint in 2Joh 5.6; 1Joh 1.1; 2.7a, 13, 14b, 24; 3.8a, 11; Joh 8.44; 15.27 und kann als ein Stilmerkmal der Johannesbriefe gelten.

53 Anders Klauck, Der erste Johannesbrief, 121, der Joh 13.34 bereits bei V. 7 einträgt, obwohl es zu diesem Vers keine wirkliche Übereinstimmung gibt.

54 So z. B. Klauck, Der erste Johannesbrief, 122: ‘Das gleiche soeben noch als ‘alt’ apostrophierte Gebot kann in 8a schon allein deswegen ‘neu’ heißen, weil es im Evangelium von Jesus so genannt wird (13,34)’; vgl. ferner Schnackenburg, Die Johannesbriefe, 111; Beutler, Die Johannesbriefe, 60.

55 So Strecker, Die Johannesbriefe, 108: ‘Daß das Gebot “neu” ist, dies ist “wahr” in ihm und in der Gemeinde’.

56 Vgl. Klauck, Der erste Johannesbrief, 120.

57 Vgl. Popkes, Die Theologie der Liebe Gottes, 141.

58 Vgl. in diesem Sinn auch Strecker, Die Johannesbriefe, 330–2; Popkes, Die Theologie der Liebe Gottes, 130f.; eine entgegengesetzte Entwicklungslinie postuliert z. B. Klauck, Der zweite und dritte Johannesbrief, 50 (vom Evangelium über den 1Joh hin zum ‘nicht mehr neuen Gebot’ des 2Joh).

59 Exemplarisch sei verwiesen auf Klein, ‘Das wahre Licht scheint schon’, 287.

60 Vgl. Beutler, Die Johannesbriefe, 79.

61 Bauer, W., Wörterbuch zum Neuen Testament (hg. v. K. u. B. Aland; Berlin: W. de Gruyter, 6. Aufl. 1988) 1272Google Scholar.

62 Vgl. Diod Sic IV 3,3; SIG3 III 1169,34; Joseph, Ant III 80.202f.; IX 35; XVIII 161.

63 Zur Begründung vgl. Schnelle, Das Evangelium nach Johannes, 251f., 255f., 276f.

64 Vgl. dazu ausführlich Labahn, M., ‘Die παρρησία des Gottessohnes im Johannesevangelium. Theologische Hermeneutik und philosophisches Selbstverständnis’, Kontexte des Johannesevangeliums (hg. v. J. Frey/U. Schnelle; WUNT 175; Tübingen: Mohr Siebeck, 2004) 321–63Google Scholar. Antike Texte zu παρρησία finden sich in: Neuer Wettstein I/1.1 (hg. v. U. Schnelle u. Mitarb. v. M. Labahn/M. Lang; Berlin: W. de Gruyter, 2008) 396–415.

65 Für den Philosophen gilt ebenfalls, dass er sich durch eine mutige Übereinstimmung von Existenz, Lehre und freimütigem Reden auszeichnet; vgl. nur Diog Laert V 5; Dio Chrys 4,58f.; Luc, Demonax 3.

66 Das Verb λπίζϵιν (‘hoffen’) erscheint untheologisch in 2Joh 12; 3Joh 14; ferner in Joh 5.45 (die Juden hoffen auf Mose).

67 Vgl. Vogler, Die Briefe des Johannes, 48.

68 So vor allem Bultmann, R., ‘Die kirchliche Redaktion des ersten Johannesbriefes’, Exegetica, (Tübingen: Mohr Siebeck, 1967)Google Scholar 388f., der kurzerhand 1Joh 2.28; 3.2; 4.17 für Interpolationen erklärt.

69 So z. B. Klein, ‘Das wahre Licht scheint schon’, 325, der in der futurischen Eschatologie des 1Joh nichts anderes als eine Partizipation ‘an der futurischen Eschatologie des durchschnittlichen Christentums’ sieht.

70 Vgl. Frey, Eschatologie III, 94f.

71 Zu den umstrittenen Einschätzungen der Eschatologie des Evangeliums vgl. Schnelle, Theologie, 702–7.

72 Bei der Ansetzung des 1Joh nach dem Evangelium wird der Brief zumeist um 100/110 n. Chr. datiert, vgl. z.B. Wengst, Der erste, zweite und dritte Johannesbrief, 30; Klauck, Der erste Johannesbrief, 49.

73 Vgl. z. B. Wengst, Der erste, zweite und dritte Johannesbrief, 30 (westliches Kleinasien); Brown, The Epistles of John, 102f.; Smalley, S. S., 1,2,3 John (WBC 51; Nashville: Thomas Nelson, 2. Aufl. 2007) 32Google Scholar; Klauck, Der erste Johannesbrief, 49.

74 Weitere Belege bei Klauck, Die Johannesbriefe, 17–25.

75 Vgl. Rusam, D., Die Gemeinschaft der Kinder Gottes (BWANT 133; Stuttgart: Kohlhammer, 1993) 214–8Google Scholar.

76 Vgl. dazu Schnelle, Die Johannesbriefe, 138–45.

77 Vgl. Weder, H., ‘Die Menschwerdung Gottes’, Einblicke in das Evangelium (Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 1992) 363400Google Scholar; Thompson, M. M., The Humanity of Jesus in the Fourth Gospel (Philadelphia: Fortress, 1988)Google Scholar.

78 Den aktuellen Stand der Debatte dokumentieren: M. Labahn/M. Lang, ‘Johannes und die Synoptiker’, Kontexte des Johannesevangeliums (hg. v. J. Frey/U. Schnelle) 443–515.

79 Vgl. dazu Mußner, Die johanneische Sehweise, 45–51.

80 Vgl. dazu Kragerud, A., Der Lieblingsjünger im Johannesevangelium (Oslo: Osloer Universtitäts-Verlag, 1959)Google Scholar; Roloff, J., ‘Der johanneische “Lieblingsjünger” und der Lehrer der Gerechtigkeit’, NTS 15 (1968/69) 129–51CrossRefGoogle Scholar; Lorenzen, T., Der Lieblingsjünger im Johannesevangelium (SBS 55; Stuttgart: Katholisches Bibelwerk, 1971)Google Scholar; Kügler, J., Der Jünger, den Jesus liebte (SBB 16; Stuttgart: Katholisches Bibelwerk, 1988)Google Scholar; Charlesworth, I. H., The Beloved Disciple (Valley Forge: Trinity, 1995)Google Scholar.