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1 Thess 2.7b, c: ‘Kleinkinder, die wie eine Amme Kinder versorgen’

Published online by Cambridge University Press:  26 January 2009

Ulrich Schmidt
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In einer exzellenten Studie hat B. R. Gaventa unlängst Bilder der Weiblichkeit in der paulinischen Theologie erörtert. Sie beginnt dabei mit einer Besprechung von 1 Thess 2.7b, entscheidet sich für die lectio difficilior νήπιοι statt ἤπιοι, und zwar sowohl aus textkritischen Gründen als auch aufgrund der Verwendung des Lexems νήπιος bei Paulus. So wäre ‘infant’/Kleinkind bzw. unmündig zu lesen und τροϕός als ‘nurse’/Kindermädchen bzw. ‘wet nurse’/Amme zu verstehen. So kommt man zu folgender Textfassung:

  1. 2.7b άλλά ἐγενήθημεν νήπιοι ἐν μέσῳ ὑμῶν

  2. 2.7 ὡς ἐάν τροϕὸς θάλπῃ τὰ ἑαυτῆς τέκνα.

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Short Study
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Copyright © Cambridge University Press 2009

In einer exzellenten Studie hat B. R. Gaventa unlängst Bilder der Weiblichkeit in der paulinischen Theologie erörtert.Footnote 1 Sie beginnt dabei mit einer Besprechung von 1 Thess 2.7b, entscheidet sich für die lectio difficilior νήπιοι statt ἤπιοι, und zwar sowohl aus textkritischen Gründen als auch aufgrund der Verwendung des Lexems νήπιος bei Paulus.Footnote 2 So wäre ‘infant’/Kleinkind bzw. unmündig zu lesen und τροϕός als ‘nurse’/Kindermädchen bzw. ‘wet nurse’/Amme zu verstehen. So kommt man zu folgender Textfassung:Footnote 3

  1. 2.7b άλλά ἐγενήθημεν νήπιοι ἐν μέσῳ ὑμῶν

  2. 2.7 ὡς ἐάν τροϕὸς θάλπῃ τὰ ἑαυτῆς τέκνα.

Insofern hier Personen zunächst unter die Kleinkinder gerechnet und unmittelbar danach als Amme, die ihre Kinder versorgt, angesprochen werden, läge eine ‘mixed metaphor’ vor. Gaventa verteidigt diese Auffassung zunächst mit weiteren Beispielen eines kreativen Umgang des Apostels mit Metaphern, dann aber vor allem mit einer Argumentation, welche die Verwendung der Lexeme νήπιος und τροϕός als dem Kontext angemessen erscheinen lässt: Ersteres versteht sie im Kontrast zu den im rückwärtigen Kontext verworfenen hinterlistigen Absichten und somit im Sinn von ‘innocent characters’; und wie sich die Amme den ihr anvertrauten Kindern zuwendet, so fürsorglich wendet sich der Apostel der Gemeinde zu, freilich ebenso lauter.Footnote 4 Insgesamt wertet sie die gemischte Metapher als den ersten paulinischen Versuch, ‘to identify two aspects of the apostolic role.’Footnote 5

Die exegetische Diskussion ist freilich außerordentlich komplex und weist mannigfaltige Schattierungen auf. So sehr etwa J. A. D. WeimaFootnote 6 mit Gaventa in vielen Punkten übereinstimmt,Footnote 7 so bestreitet er doch das Vorliegen einer gemischten Metapher, indem er hinter V. 7b einen Punkt setzt, V. 7b als conclusion des Vorausgegangen sowie V. 7c als introduction des Nachfolgenden versteht und somit die Metaphern separiert.Footnote 8 Ganz anders argumentiert C. Gerber.Footnote 9 Sie lässt mit δυνάμενοι in V. 7a den Teilabschnitt 2.7-9 beginnen, setzt hinter V. 7c einen Doppelpunkt, versteht νήπιοι als Anrede der Adressaten (Vokativ), sieht in ἐν βάρει (V. 7a) sowie in ἐπιβαρεῖν (V. 9b) die Frage der Unterhaltszahlung thematisiertFootnote 10 und kommt zu dem Schluss: Wie sich die Amme nur den eigenen nicht aber den anvertrauten Kindern unentgeltlich zuwendet, so verhält sich Paulus gegenüber den Thessalonichern.Footnote 11 Die liebevolle, unentgeltliche Zuwendung sieht Gerber dann in den folgenden Versen expliziert.

Statt erneut auf alle Details der weit verzweigten Diskussion einzugehen, lassen sich weitere Indizien sammeln, die in eine bestimmte Richtung weisen. So fällt an den drei skizzierten Positionen auf, dass V. 7b anaphorisch verstanden wirdFootnote 12 und V. 7c kataphorischFootnote 13, sodass sich die Hypothese aufdrängt, die gemischte Metapher könnte als Knoten in einem größeren Abschnitt verstanden werden.

In der Tat weist der Kontext einige zirkuläre Strukturen auf: Vom ‘Evangelium (Gottes)’ ist in V. 2, 4 und V. 8, 9 die Rede, dem ‘Kampf’ in V. 2 entspricht ‘Arbeit’ und ‘Mühe’ in V. 9, der παράκλησις in V. 3 korrespondiert παρακαλεῖν in V. 12, es wird ‘Gott als Zeuge’ in V. 5 ebenso angerufen wie in V. 10, und das Wortfeld βάρος begegnet V. 7a und V. 9b.Footnote 14 Folgt man der Annahme Gerbers, dass es bei letzterem um die Frage nach Unterhalt geht, dann zeigt sich auch eine thematische Kohärenz, insofern sich die – verneinte – Anwendung von List und Schmeichelworten gewöhnlich in barer Münze auszahlen soll.Footnote 15

Innerhalb des so angezeigten Zusammenhangs sind gewisse thematische Verschiebungen zu erkennen. Bieten die ersten Verse einige ‘nicht’- und ‘weder-noch’-Formulierungen (VV. 3-6), mit denen Paulus energisch das Vorhandensein unlauterer Motive abwehrt, so benennt er die lauteren Motive erst von V. 7b an Anfangs dominiert der Gedanke der Abhängigkeit von Gott, während diese Rückbindung ab V. 7b in den Hintergrund tritt und der Darstellung dessen weicht, wohin seine Lebensweise führen soll: zur Erbauung der Thessalonicher.

Da sich die gemischte Metapher inmitten des durch die Rekurrenzen und thematischen Verschiebungen konstituierten Zusammenhangs findet, ist zu fragen, wie sie Voriges und Folgendes verbindet. Zu den bereits genannten möglichen Rückbezügen—Thematik der Lauterkeit bzw. des Unterhalts—wird gelegentlich auch ein unmittelbarer Kontrast zu V.7a hinzugefügt, indem man die mit δυνάμενοι eingeleiteten Worte als möglichen Einsatz eines apostolischen ‘Gewichts’ bzw. ‘Ansehens’ versteht.Footnote 16 Da Paulus das Wort ἀπόστολος hier aber zum ersten Mal verwendet, ist es unsicher, ob es bereits so etwas wie Autorität konnotierte.Footnote 17

Jedenfalls dürfte der Rückbezug mit den genannten Optionen nicht ausgeschöpft sein. Zu Beginn des Abschnitts, der mit einem emphatischen ‘liebe Brüder’ anhebt, sind Leiden und Anstrengungen des Apostels thematisch, nicht allein in Philippi, sondern auch bei den Thessalonichern (vgl. die Wendung ‘unter viel Kampf’ [V. 2]). Trotz allem findet der Apostel Mut in Gott (V. 2) und weiß sich wertgeschätzt, indem ihm das Evangelium anvertraut wurde (V. 4). Allein dies richtet ihn auf in seinem Kampf.

Wohl hätten sich Hinterlist und Schmeichelworte sowie die Unterhaltsforderung—und weniger wahrscheinlich, der Einsatz apostolischer Autorität—als Möglichkeiten angeboten, der Beschwernis des apostolischen Dienstes zu entkommen. Doch die negativen möglichkeiten verbieten sich von selbst, da er um Gott als den, der die Herzen prüft (V. 4), weiß; darum kann der Apostel Gott zum Zeugen anrufen (V. 5). Und der Verzicht auf Unterhalt—bzw. Autorität—resultiert aus der gegenwärtigen paulinischen Auffassung seines Dienstes: offensichtlich ist er der Überzeugung, in der gegebenen Situation allein aus der Zuwendung Gottes authentisch sein und seinen Dienst sachgemäß leben zu können.

Insofern lässt sich ein Rückbezug von V. 7b auf die Gesamtheit der vorausliegenden Verse annehmen bzw. auf deren Grundtenor: das Verwiesensein auf die Zuwendung Gottes, auf die Beauftragung des Apostels durch Gott und auf den daraus resultierenden Verzicht auf mögliche Auswege. Eine solche Abhängigkeit von Gott mit dem Lexem νήπιος wiederzugeben, hat durchaus Tradition, etwa in den PsalmenFootnote 18—beispielsweise in der prägnanten Formulierung Ps 114.6 LXX: ϕυλάσσων τὰ νήπια ὁκύριος ἐταπεινώθην, καὶ ἔσωσέν με. Der sich Gott gegenüber als unmündig begreift, erwartet seine Hilfe von Gott.

Sind also Abhängigkeit von Gott und Zuwendung durch Gott mit dem Lexem νήπιος assoziierbar, so ist in der Thematik der ‘Zuwendung’ wohl das Bindeglied zu sehen, das die beiden Teile der gemischten Metapher miteinander verknüpft: Einer, der aus der Zuwendung Gottes heraus lebt, wird zu einem, der Zuwendung schenkt—und zwar eben nicht allein auf einer sachlichen Ebene, wie das eine unter Vertrag genommene Amme tun würde, sondern voller Liebe, wie die Amme ihren eigenen Kindern begegnet. Eben dies wird dann in V. 8 wortreich zum Ausdruck gebracht: ‘Wir hatten Herzenslust an euch’, ‘wir gaben euch teil an unserem Leben’ oder ‘wir hatten euch lieb gewonnen’.

Dieses Grundmotiv, dass Paulus als einer, der Zuwendung von Gott empfängt und sich darum anderen unbedingt und aufrichtig zuwendet, wird durch die ‘mixed metaphor’ offen gelegt und—gedanklich irritierend und anregendFootnote 19—illustriert.

Nicht in metaphorischer Gestalt, sondern rein begrifflich gefasst, lässt sich Vergleichbares in 2 Kor 1.3-7 beobachten.Footnote 20

Hier wie dort wird am Ausgangspunkt des Gedankens das Leiden thematisiert (V. 2; 2 Kor 1.4a, 6a). Dieses wird durch Gottes Zuspruch ‘gewendet’ (V. 2; 2 Kor 1.4a, 5b [durch Christus]) und gereicht schließlich den Adressaten zum Besten (V. 8, 11-12; 2 Kor 1.4b, 6f.). In 2 Kor 1 wird die Existenzweise des Apostels als eines Empfangenden, der zugleich an andere weiter gibt, gleich mehrfach zum Ausdruck gebracht. In 2 Kor 1,4 findet sich die gedankliche Verschiebung vom Empfangenden zum Gebenden in nur einem Satz. Das korrespondiert der unvermittelten Verschiebung vom Kleinkind zu derjenigen Person, welche ihre Kinder versorgt, die in 1Thess 2.7 zu beobachten war.

Was die Kohärenz zwischen beiden Passagen konstituiert, ist freilich mehr das Grundmotiv als eine entsprechende Semantik, wobei die in 2 Kor prominente Wortgruppe παράκλησις auch in 1Thess Verwendung findet (V. 3, 11). Von Kohärenz zu sprechen wird auch dadurch ermöglicht, dass manche 1Thess 2.1-12 bestimmenden Teilaspekte auch in den Anfangskapiteln von 2Kor begegnen: Während die Lauterkeit in 2Kor 2.12-13 und der Einsatz von Autorität in 2Kor 1.24; 2.1-2 thematisiert wird, ruft Paulus überdies in 1.18,23 Gott als Zeugen an.

Somit lässt sich wohl zurecht sagen, dass Paulus mit der ‘mixed metaphor’ in 1 Thess 2.7b seine Existenzweise als diejenige eines Empfangenden, der zugleich weiter gibt, bzw. als einer Person, durch die Gott wirkt, in überraschender Weise zum Ausdruck bringt. Dass er dazu weibliche Metaphorik verwendet, die in Verbindung mit dem Bild des Kleinkindes—nicht nur für damalige Ohren—höchst irritierend klingt, hat Gaventa überzeugend hervorgehoben und Gerber mit ihren Ausführungen zur Verwendung des wortes τροϕός noch präziser gefasst. Diese Beobachtungen werden in ihrer Bedeutung für die paulinische Theologie insgesamt weiter bedacht werden müssen.

References

1 Gaventa, B. R., Our Mother Saint Paul (Louisville/London: Westminster John Knox, 2007)Google Scholar.

2 Gaventa, Mother, 19-20.

3 Diese Lesart wird auch in NA26 und NA27 favorisiert. Für eine ältere textkritische Diskussion, die sich gegenteilig entscheidet, vgl. exemplarisch nur Metzger, B. M., Der Text des Neuen Testaments. Eine Einführung in die neutestamentliche Textkritik (Stuttgart: Kohlhammer, 1966), 235-7Google Scholar.

4 Gaventa, Mother, 25-7.

5 Gaventa, Mother, 27.

6 Weima, J. A. D., ‘“But We Became Infants Among You”: The Case of ΝΗΠΙΟΙ in 1Thess 2.7’, NTS 46 (2000) 547-64CrossRefGoogle Scholar.

7 Weima, ‘“Infants”‘, 557 zur lectio difficilior, 557, 558-9 zum paulinischen Umgang mit Metaphern, 556, 559-64 zu den ‘innocent characters’.

8 Weima, ‘“Infants”’, 555-6, 559-64 zur Interpunktion, 555 zu conclusion und introduction; insbes. 556: ‘a fact that seriously undermines the legitimacy of even referring to them as “mixed” metaphors.’

9 Gerber, C., Paulus und seine ‘Kinder’. Studien zur Beziehungsmetaphorik der paulinischen Briefe (BZNW 136, Berlin/New York: de Gruyter, 2005)CrossRefGoogle Scholar.

10 Gerber, Paulus, 274-94, vgl. auch Bruce, F. F., 1 & 2 Thessalonians (WBC 45, Waco: Word, 1982) 30-31Google Scholar.

11 Dass der ‘Ammenvergleich’ (ebd. 274) diese zweifache Möglichkeit konnotiert und gerade darum eingesetzt wurde, formuliert sie prägnant: Gerber, Paulus, 277, 285.

12 Gaventa, Mother, 20, 26, Weima, ‘“Infants”’, 555, 556; skeptisch meint Gerber, Paulus, 289 von einer gewissen Auslegung, sie ‘müsste erst von den vorausgehenden Sätzen aufgefüllt werden.’

13 Gaventa, Mother, 20, 26, Weima, ‘“Infants”‘, 555, 556, Gerber, Paulus, 282, 285, 286-9.

14 Diese nicht unerhebliche Zahl an Rekurrenzen machen m.E. Gerbers Versuch fräglich, allein auf Grund von ἐν βάρει und ὲπιβαρεῖν einen Teilabschnitt zu segmentieren, zumal sie selbst mögliche Einwände gegen ihren Strukturvorschlag erwägt: Gerber, Paulus, 278.

15 Ebenso Gerber, Paulus, 279.

16 Mit ‘Gewicht’ übersetzt die Lutherübersetzung 1984, mit ‘Ansehen’ die Einheitsübersetzung sowie z.B. Holtzmann, H. J., Die Briefe an die Thessalonicher und Korinther (HC II; 2Freiburg: J. C. B. Mohr, 1982)Google Scholar; dagegen argumentiert Gerber, Paulus, 279 samt Anm. 112, 113.

17 Vgl. nur Gaventa, Mother, 17, 26-27, und Gerber, Paulus, 281.

18 Vgl. nur Weima, ‘“Infants”’, 553, und Gerber, Paulus, 289.

19 Gaventa, Mother, 27.

20 Vgl. Schmidt, U., Nicht vergeblich empfangen. Eine Untersuchung zum 2. Korintherbrief als Beitrag zur Frage nach der paulinischen Einschätzung des Handelns (BWANT 162; Stuttgart: Kohlhammer, 2004) 101-13Google Scholar.